Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 79.
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Freitag, den 22. April.
( Nachdruck verboten)
Der Schiffsjunge.
Eine Seegeschichte von Peter Egge . Einzig autorifirte Uebersetzung von E. Brause wetter.
Der Sturm und die Wogen wurden einen Augenblick fast still, als sammelten sie Kraft zu einem neuen Angriff. Inzwischen ertönte draußen hißiges Gerede, schwere Seestiefelschritte auf dem nassen Deck und eine Stimme, die brüllte.
Die Thüre wurde ein wenig geöffnet und der Jungmann steckte den Kopf herein:
„ Na, macht, daß Ihr kommt, sonst liegt sie mit dem Tafelwert auf dem Waffer."
„ Halt's Maul!" schrie Jens Christian wüthend. Die Thüre wurde wieder zugeschlagen. Und nun war es, als hätten die andern Luft für ihre Erbitterung bekommen.
Berdammte Schute!" rief Jokum. Niemals giebt's Ruh hier an Bord!"
Solch' ein Geplack und so' ne Schinderei Tag und Nacht wie auf der Schute hab' ich mein Lebtag noch nicht gesehen," sagte Michel gedämpft, aber wüthend.
„ Lavieren und seilen und festmachen! Weiter hört man nichts hier an Bord; aber wir werden schon nach New York kommen, und dann bleib' der Teufel noch einen Tag länger an Bord!"
Es war wieder Jens Christian's Riesenstimme. Benu gab ihnen im stillen recht: War es so, Seemann zu sein, wie hier an Bord, dann würden es wohl nicht viele
werden.
Dennoch wurde ihm bei ihren Flüchen und Verwünschungen ganz unheimlich zu Muthe. Sie flangen fürchterlich, diese Flüche, und außerdem waren die Kameraden niemals so hart gegen ihn, als wenn sie wüthend waren.
1898.
Das Segel war bleischwer vom Wasser, und der Sturm spannte es mit solcher Kraft, daß es jeden Augenblick in Fetzen reißen konnte. Rafften die Leute sich zu einem gewalt famen Ruck auf, um es aufzuhiffen, setzte sich der Sturm noch stärker hinein.
Jens Christian sang" wie in Wuth aus", und die andern bekamen Kraft von seinem taktfesten Schrei. Leises Stöhnen preßte fich bei jedem Ruck hervor, den die Arme machten. Sechs Mann hängten sich an die Tauenden, so daß sie einen großen Klumpen bildeten, und die rollende Schute warf sie auf Deck hin und her, während die Beine, die in den Knieen gebeugt waren, mechanisch mittrippelten.
Es war ein Ringen zwischen dem Sturm und den Menschen. " Gut! Hinauf und festgemacht!" rief der Kapitän. " Herrje, er ist ja selbst draußen!" hörte Benn Jokum murmeln.
Benn stürzte durch das Dunkel davon, voll Angst, nicht der Erste zu sein: der Schiffsjunge sollte am weitesten hinaus auf die Raa. Der Schweiß lief ihm bereits am Gesicht herab, und er fühlte eine schreckliche Schwere in den Beinen, während er über dem Wasser hinaufkroch. Es war, als wenn sie nicht weiter wollten.
Unter ihm drängten die Kameraden ihm nach, und er durfte ihnen nicht im Wege sein. Er hatte das Gefühl, als wenn man ihn jagte. Er erwartete jeden Augenblick Schelt= worte zu hören, weil er nicht schnell genug hinauf fam.
Endlich lag er ganz weit draußen außerhalb der Schute über der Raa. Diese Stellung erschien ihm anfangs fast als Ruheposten. Er blickte über die schnaubenden Ungeheuer hinaus. Sie thürmten sich auf, als wollten sie dadurch größeres Gewicht erlangen, bevor sie sich über die Schute wälzten. Einzelne streckten ihre langen Zungen, unter die Raa hinauf, um ihn hinunter zu lecken; aber sie reichten nicht hoch genug. Jedesmal in der Pause, bis so ein Ungeheuer tam, starrie er auf Deck hinab und auf die See dicht daneben, und es war ihm, als stände die Schute still, während das Wasser, weiß und grün, in rasender Geschwindigkeit achterwärts dahinjagte.
" Hinauf damit!"
Endlich hatte er seine Delkleider an und war als erster zur Thür hinaus. Er schloß sie vorsichtig wieder hinter sich. Das Sieden, Brausen, Kreischen und Stöhnen schlug ihm sofort in dem Dunkel entgegen, in das er hinaustrat. Von einer so undurchdringlichen Finsterniß hatte er noch gar keine Endlich lagen alle Mann auf der Raa mnd rollten das Ahnung gehabt. Er hielt sich fest und wechselte den Halt Segel auf. Sie thaten es mit einer gewissen Ruhe, als gälte mit jedem Schritt, den er auf das Schiff hinans that. Er es Kräfte zu sparen zu dem großen Griff: das Segel auf legte den Kopf einen Augenblick zurück, damit der hinab- die Raa hinaufzuheben. Der Steuermann schrie: gedrückte Südwester ihn nicht hindern sollte, in die Höhe zu sehen: alle Lappen, welche die Wache ohne Und alle Mann zogen. Einmal ums anderemal ertönte Hilfe fertig bekommen hatte, waren abgeschlagen. Nur das der Ruf des Steuermanns, und ebenso oft zogen sie mit vers Großsegel und die Focke standen noch da. Die entkleidete zweifelter Anstrengung. Aber die nasse steife Masse rührte Tafelung zeichnete sich gegen die jagenden Wolten gleich vielen, sich fast nicht. schwarzen, wirren Strichen ab. Und es schien, als heulte der Sturm aus Wuth darüber, daß er die Verwirrung dort oben nicht noch größer machen konnte, daß er nicht alles zersplittern und zerreißen konnte, in so feine Stücke, wie den Schaum, der um Mast und Raaen tanzte.
Während Benn sich nach dem Achter hinarbeitete, guckte er einen Augenblick über die Reeling.
Die Wogen waren große, schwarze Ungeheuer, die gegen die Schute auftürmten. Sie rannten gleichsam um die Wette, die ersten da zu sein; sie brüllten mit gierig, weit auf geriffenem Schlunde, der von grünem Schaum erfüllt war, daher, und ihre großen, weißen Zähne leuchteten in der Dunkelheit.
Er unterschied auf dem Mittelschiff einige Gestalten. Ahoi! A- halt! A- streckt!"
Benn hatte ein Gefühl, als wenn sein Körper auseinandergesprengt würde. Er biß unwillkürlich seine Zähne so fest zusammen, daß sein ganzer Kopf schmerzte, und ohne sich dessen selbst bewußt zu sein, preßte er einen Fluch hervor, einen so gemeinen Fluch, daß er ihn sonst niemals in den Mund genommen hätte. Er flammerte sich an das harte Segel mit seinen fast gefühllosen Fingern all voll Furcht, loszulassen und und hinunterzustürzen. Er fühlte ständig die Tiefe unter sich. Er begriff, wenn er jetzt da hinabglitt, heute Nacht, war er reltungslos verloren. Nicht eine Boje, nicht einmal ein Holzstück oder Tauende würden die Kameraden ihm nachwerfen. Sie würden an ihrem Segel schuften, als wenn nichts geschehen wäre, denn sie wußten, daß hier Rettung unmöglich war.
Das Segel wollte nicht auf die Raa hinauf und mußte festgesurrt werden, wie es war.
Er drehte sich um und sah vier bis fünf seiner Kameraden, die auch endlich in ihre Kleider gekommen waren und hinter Benn lief hinter den Anderen auf das Deck hinab. Nun ihm herkamen. Da ließ er seinen Halt los und trippelte einige sollte das Fockjegel hinauf. Er zog wieder an den Tauen Schritte schnell über das glatte Deck hin. Aber die Schute und zappelte und fiel, wenn er gehen oder springen sollte. legte sich ganz über, so daß er sich völlig hinüberbiegen mußte, um nicht zu fallen und nach See hinunter zn gleiten. Dann wieder auf, wenn die Schute zurück wollte. Endlich bekam er ein Tauende zu fassen, an dem zwei zogen, und griff mit aller Kraft zu.
„ Laß los, Schafskopf, an der andern Seite!" schrie der eine wüthend.
Seine Gemüthsstimmung war ein Hin- und Herwanken zwischen einer Wuth, in der er alles und alle verfluchte, und einer Selbstaufgabe, in der er weinend rufen mochte:
" Herr Gott, macht mit mir, was Ihr wollt, werft mich über Bord, aber befreit mich nur davon, mich weiter so plagen müssen!"
zu
Aber er schrie nicht und weinte nicht.
Eine Stunde, nachdem er auf Deck gekommen war, kroch müde zum Umfallen, vom Fock herab und dachte:
Benn ließ los, flammerte sich fest an die Pumpenräder, indem er weiter glitt, und lief trippelnd zu seiner Mache hin über, die bereits in voller Arbeit war.
er,
"
Du weigerst dich, noch weiter hinaufzuklettern! Du