Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 84.
10
Freitag, den 29. April.
1898.
„ Und dann ist das Steuern noch langweiliger, als sonst.
( Nachdruck verboten.) Nicht wahr?"
Der Schiffsjunge.
Eine Seegeschichte von Peter Egge . Einzig autorisirte Uebersehung von E. Brause wetter.
VII.
Vollständige Windstille und eine schreckliche Hite. Oben der Himmel blau und mild. Unten schlief das Meer blank und blau und ohne Kräuselung in der glühenden Mittagsfonne.
Merry Schnor" war ein kleines Fleckchen, der lebende Mittelpunkt in der großen, ausgestorbenen Welt. Irgendwo am Horizont hoben sich ein paar schneeweiße Wolfen grell gegen den Hintergrund ab, als wären sie von einer derben Hand dort ausgesprengt. Auf der anderen Geite lag ein schwarzer Rauchstreifen von einem Dampfschiff, das seit langer Zeit verschwunden war. Er wurde immer matter in der Farbe, ganz grau und verschmolz schließlich mit dem Blau.
Merry Schnor" gehorchte heute nicht dem Steuer. So langsam, daß es gar nicht sichtbar war, ohne Rücksicht auf den Rompaß, trieb sie im Kreise herum. Alle Segel waren auf; aber sie hingen, ohne sich zu rühren, wie nasse Tücher, die zum Trocknen aufgehängt sind.
Längs jeder Plante des Verdecks lag ein Streifen geschmolzenen Peches, auf dem die darüber Gehenden ausglitten. Der Theer tropfte und rann langsam hinunter, und die Anmalung bildete große Beulen, die sprangen, und alle Butter an Bord war flüssig wie Milch.
Die glühende Hige hatte alles Lebende zum Schweigen gebracht. Die Matrosen gingen ganz bedächtig, wenn sie das Deck überschreiten mußten. Plauderten sie bei der Arbeit, geschah es still und gedämpft, wie in einer Kirche. Auf jeden Laut wurden sie aufmerksam, als wäre er etwas Neues, Fremdes, und fie machten Bemerkungen darüber.
O, ich bin noch so neu, daß mir nichts langweilig erscheint."
Eine kleine Pause. Sie blickte zerstreut in ihr Buch. Ihre Augen suchten ohne Intereffe die Stelle, wo sie aufgehört hatte. Sie las mit müder Miene einige Zeilen und richtete daun den Blick auf das Meer hinaus. Plöglich blickte sie auf: Es ist wahr, Sie haben mir noch nicht erzählt, warum Sie Seemann wurden."
Sie lächelte so schlau, als wollte sie sagen:„ Ich habe das nicht vergessen," und hielt den Blick auf sein Gesicht gerichtet.
"
Darüber ist nichts zu erzählen," sagte er und sah bald hinaus, bald in den Kompaß hinab. Daß sie heute mit dieser Frage kommen würde, hatte er am wenigsten erwartet. Er fühlte, daß sie ihn anstarrte, daß ihr Lächeln schwand, ihr Blick ernst und forschend wurde, wie es oft der Fall war. Seien Sie tein Geheimnißkrämer."
Pause.
Da drehte sie mit raschem Griff den kolossalen Regen schirm herum, so daß sie ihm wieder verborgen war. Rein Wort, tein Nicken.
Beleidigt! Puh!... Warum log er nicht? Es hatte doch feinen Zweck, fie zu fränken. Sie war doch wirklich so freundlich und wohlwollend gegen ihn gewesen, etwas wunder lich war ja ein solcher Einfall von ihr, aber all' diese Menschen hier waren ja so wunderlich. Wenn sie ihm nur noch einmal fragen wollte:
Er wartete und wartete. Nein, fie blieb versteckt. Er wurde ganz verstimmt, fast ängstlich und war mehrmals im Begriff auszurufen: Frau Kapitän!"
Bald kam ein Matrose und löste ihn ab. Als Benn forts ging, hielt er ihr den Kopf zugewandt, so lange noch eine Wahrscheinlichkeit vorlag, daß sie seinen Gruß bemerken könnte. Aber sie blickte garnicht auf.
Ein Weilchen später war sie genöthigt, den Schirm wieder umzusehen, sodaß er sie wieder sehen konnte. Aber sie las nun eifrig, blickte nicht auf, und ihr Gesicht war hart und unzu gänglich. Der Junge hatte ein Gefühl, als wäre der einzige Lichtpunkt in seinem traurigen Leben erloschen. Dieses Er eigniß schmerzte ihn und setzte ihn zugleich in Erstaunen. Es Manchmal kam der dicke, breite Steward aus der Rom - war so plöglich, so unerwartet gekommen. Er fonnte es faft büse, lehnte sich an die Wand und schüttelte energisch den Kopf, nicht glauben, daß die kluge, hübsche Dame sich durch ihn be. so daß die Schweißperlen ringsum aufs Deck herabregneten. leidigt fühlte. Dann wischte er sich Hals und Geficht ab. Oder er fam mit einem Kübel Waschwasser oder Speiseresten angeschleudert und goß ihn über die Reeling, so daß es im Wasser platschte. Alle blickten auf. Selbst" Jack", der sich im Schatten des Kajütenganges verkrochen hatte, hob das eine Auge ein wenig Daß sie so hart sein fonnte! Es würde vielleicht lange auf. Dann schlummerte er weiter, bis jemand über ihn hin- Zeit vergehen, bis er wieder mit ihr reden könnte.... Er wegschreiten mußte, um in die Kajüte hinabzugelangen. Dann unterdrückte seine Rührung mit aller Gewalt und dachte vers hob er wieder ein wenig das eine Auge und schlief weiter. wirrt daran, wie leicht ihm das Weinen kam, seit er sich an Benn stand am Steuer, nur mit einem Hemde, einer Bord befand. Hose, Schuhen und einem alten Strohhut bekleidet, der von In der Roof saßen einige von der Freiwacht beim Raffee. der früheren Mannschaft liegen geblieben war. Die Hitze Er trant schnell eine halbe Tasse und ging dann hinaus, da hatte ihn stark angegriffen und erschöpft. Sein Gesicht und er fürchtete, den Kameraden seine Bewegung zu verrathen. Auf feine Hände waren sonnverbrannt; aber die Farbe war Deck wußte er noch weniger, wo er hin sollte. mehr kränklich, als frisch. Das magere, Hohläugige Aussehen, das er während der vierzehn Tage, da sie in der Nordsee lagen, bekommen hatte, war noch nicht verschwunden. Wie er dastand und sich bald auf der einen Hüfte, bald auf der anderen ruhte, sah er fast wie ein Rekonvalescent aus.
Bor ihm, sechs bis sieben Schritte entfernt, auf der BackbordSeite lag Frau Merry Olsen und las. Sie hatte sich eine Matte untergelegt, um nicht mit dem Pech in Berührung zu tommen. Ein mächtiger Regenschirm war über sie aus gespannt. Mehrmals, wenn die Sonne fie traf, weil die Schute sich drehte, stellte sie den Schirm um, so daß sie wieder Schatten bekam.
Benn hatte es aufgegeben, die Schute auf dem Strich zu halten. Er begnügte sich damit, das Steuer richtig zu stellen und überließ es dann ihm selbst, für den Kurs zu sorgen.
Seit er zum Steuer gekommen, war die Rapitänin für ihn hinter dem Schirm verborgen gewesen. Plötzlich drehte sie fich aber herum: die Schute war so sehr um die Runde getrieben, daß die Sonne sie traf. Und nun sah er sie da liegen und zu ihm hinaufgucken.
" Heut' ist es leicht zu steuern!"
" Es ist ganz unmöglich, Frau Kapitän."
Benn, geh hinauf auf die Fockraa und nimm die Seisinger auf, die herabhängen," sagte der Steuermann.
Der Junge tletterte hinauf. Während er über der Raa lag, hörte er Jokum bemerken:
" Nein, seht den langen Gorilla da oben. Nehmt Euch in acht, sonst bekommt Ihr ihn noch auf den Schädel!"
Alle lachten und guckten in die Höhe. Nun begannen endlich Benn's Thränen zu fließen. Er wagte nicht achterwärts zu sehen, ob sie noch dort lag und den Hohn seiner Kameraden hörte. Wieder überkam ihn das Einsamkeitsgefühl, unter dem er in den ersten Wochen an Bord so gelitten hatte. In diesem Augenblick winkte ihm keine frohe Hoffnung. Auch das Vers sprechen der Frau, für seine Abmusterung zu sorgen, konnte ihn in diesem Augenblick nicht trösten.
Dann guckte er in die Höhe nach weiteren losen Seifingen und wurde eine auf der Marsraa gewahr. Er ließ sich gute Zeit, damit seine Erregung sich erst legen konnte und die Thränen fort waren, bis er hinabstieg.
Eine leichte Röthe stieg am Horizont in Nord- Nord- Ost auf. Sie wurde immer dichter und breitete sich aus, wälzte fich dick und schwarz, wie von einer Feuergluth in der Tiefe herauf. Die kleinen weißen Wolten waren groß und rauch