Anterhaltlmgsblatt des vorwärts Nr. 85. Sonntag, den 1. Mai. 1898. (Nachdruck verboten.) Der S�iMsjutrgv. 11� Eine Seegeschichte von Peter Egge . Einzig autorisirte Uebersetzung von E. Brausewetter. vm. Einige Stunden später war der Himmel wieder klar. Die Wolken hatten sich unten am westlichen Horizont gesammelt: eine Masse glühender Brände, die nach und nach erloschen, während die dunkelgrünen Wogen sie in vielen kurzen, glitzernden Blinken widerspiegelten. Eine Weile, nachdem die letzte Gluth erloschen, sank die Asche zu einem grauen Streifen zusammen. Die Dunkelheit trat sehr schnell ein, und Himmel und Meer wechselten die Farbe. Große, weiße Sterne traten an dem dunkelblauen Gewölbe hervor. Das Meer, das kleine Wellchen hatte, be kam helle Streifen. Aber der Luftraum war ein träum- schwangeres Dunkel, das kühlend wirkte nach dem heißen Tage. Benn ging nach seinem Kopfkissen und legte sich auf eine alte Matte an Backbord nieder. Schon mehrere Wochen hatten die Leute wegen der schrecklichen Hitze nicht in den Kojen oder in Kojendecken liegen können. Sie schliefen gern unter freiem Himmel, auf dem Roofdach oder unter der Back. Benn wälzte sich auf dem Rücken herum und starrte in das leuchtende Sternengewimmel hinauf. Je länger er hinsah, desto mehr wurden ihrer, und desto heller ihr Glanz. Und das Meer wiegte ihn weich und sauft und summte seine monotone Weise dazu, wundersam ergreifend, bezaubernd. Er hatte in diesem Augenblick eine unbestimmte Ahnung, daß er sich einst, wie sehr er jetzt auch das Seeleben verabscheute, danach zurücksehnen würde, nach dem Meer in den stillen Nächten, an klaren Tagen, zum Meer in Freude, in Trauer und Roth. Er verlieh seinen Gedanken nicht einmal in seinem Innern Worte,' er ließ sich nur in etwas Süßschmerzliches hineingleiten, in etwas, dem er nicht widerstehen konnte, wenn er auch gewollt hätte. Er legte sich auf die Seite und schloß die Augen. Die Thränen perlten in ihnen hervor, und er ließ sie fließen, wie sie wollten, über das Gesicht und den Hals herab... Liebe, gute Mutter... ich habe keinen größeren Wunsch, als daß Du verstehen möchtest, was ich nun fühle... ich bin nicht mehr derselbe, siehst Du, wie damals, als ich von Hause fort- reiste, vor ein paar Monaten... Du lächelst: aber ich bin doch nicht mehr derselbe... Ich bereue, nicht gerade, weil ich bestraft wurde... aber ich bereue... vielleicht, weil ich Dich betrübte. Heute bin ich so froh gewesen... Jemand ist gegen mich gut gewesen, wie Du es immer warst... Ach, ich hätte Lust, ihr zu danken... ganz still auf den Kniecn zu ihr hin zu kriechen, dort, wo sie sitzt, und die Wange ganz leicht an ihr Knie zu schmiegen... ohne mich dagegen zu drücken, ver- stehst Du... nur weil sie so gut ist, so gut, wie Du... Liebe, liebe Mutter, Dich würde es erfreuen, wenn ich es thäte... Ich weiß. Du sagst: sei gut auch gegen sie und auch gegen alle diejenigen, die Dir nichts Gutes gethan haben ... Ach. Mutter, wenn ich sie doch froh machen könnte, denn auch sie ist nicht glücklich... „Du schläfst nicht, Benn. Worauf denkst Du?" Es war Oivind. der Wache hatte. Benn drehte sich auf den Rücken herum und blickte hinauf. Die Sterne flössen ihm infolge der Thränen ineinander. „Woran denkst Du?" murmelte Benn, um ettvas zu sagen. Oivind setzte sich auf das Deck und sagte flüsternd:„An die Schiffersfrau. Ist sie etwa nicht schön?" Benn anttvortete nicht. „Allzu schön für einen Seenmnn," murmelte Oivind. Kleine Pause. „Du findest sie vielleicht nicht besonders hübsch, Du?" Hub er wieder an. „O doch!" Oivind schwieg und dachte:„Er ist wohl so an feine, schöne Damen gewöhnt." Benn legte sich aui die Seite herum schloß die Augen und wünschte, schlafen zu können. Er fühlte, den Faden in seinem Brief an die Mutter würde er doch nicht wiederfinden.— IX. Die warmen Tage und die sanft kühlenden Nächte folgten einander im Passat so regelmäßig, wie die Wogenschläge in einer stillen Nacht auf dem Meere. Der Junge lebte sein eigenes Leben. Er war mit seiner Verliebtheit beschäftigt und mit seinen Briefen an die Mutter. Sie kamen bisweilen über ihn wie eine Inspiration, wenn er allein am Steuer oder auf Auslug stand, und sie wurden oft zu einer warmen Lobrede auf Frau Merry. Er wußte, daß er so nicht an seine Mutter schreiben konnte; aber so hätte er am liebsten geschrieben. Seine Verliebtheit bereitete ihm mehr Freude als Trauer. Ein Lächeln oder freundliches Nicken von ihr genügte, um ihn für einen ganzen Tag froh und heiter zu machen. Etwas anderes, das ihn auch in dieser Zeit beschäftigte, war die Natur. Es war, als wenn eine neue Fähigkeit in ihm emporgewachsen wäre, oder als wenn eine wenig entwickelte einen kräftigen Stoß.vorwärts erhalten hätte. Manchmal stand er ganz ergriffen und starrte auf das Meer hinaus. Da gab es Nächte mit dem gespensterhasten Schein des Mondes über der Himmelswölbung oben und über dem Meere unten, gleich einem unheimlichen Gespenst bewegte sich der Ausluger vorn auf der Back hin und her. Das Takelwerk und die Reeling zeichneten ihre schwarzen Silhouetten auf der See neben dem Schiff ab, und diese halbe Schute segelte lautlos dahin, ohne abzufallen oder vorbeizueilen. Und dann gab es Nächte ohne Mond und Sterne. DaS kalte, blanke Perlmutter des Heeres durchschnitten schwarze, geheimnißvolle Furchen. Aber rings um die Schutenwände glitzerte das silberweiße Meerleuchten, eine tiefe, schäumende Fcuermasse. Vorn auf Luvwart sprühten große Funken hinein, fielen rieselnd aufs Deck, zerbarsten, und es sprangen viele ganz kleine Fünkchen wie leuchtende Johanniswürnuhen nach Lee hinüber. Es gab Tage mit Sturm und Tage mit Stille, Tage mit weiß und blau und grau.-- „Seht den Venn, wie er da wieder steht und glotzt," rief Jokum. Venn schlug sogleich den Blick nieder. „Er glaubt, wir haben bald Land," meinte Jens Christian, der eine sehr geringe Meinung von Benn's Ver- stand hatte. „No, er glaubt sin Moder kommt auf dem Steamer." Der Engländer zeigte hinaus, als sähe er ein Dampfschiff am Horizont. Einer seiner Kameraden gaffte in der Richtung hinaus, in die er zeigte und Tom rief: „Seht, der erwartet ooch sin Moder auf dem Steamer," und lachte in seiner heisern Weise. „Nein, Benn bewundert die Schönheit der Natur, aber davon versteht Ihr Thranjacken natürlich nichts", sagte Jokum höhnisch und mit gemacht wichtiger Miene. „Teufel auch!" murmelte Jens Christian.-- Eines Morgens auf Tagwache. Die Sonne stieg roth und rund. groß und strahlend aus der Tiefe enipor. Das Meer und die Wolken flössen in Feuer und Blut, und der ganze Osten war ein einziger großer, brennender Krater. Eine matte Brise füllte die Segel, und die aufgehende Sonne goß eine eigenthümliche braunrothe Farbe über sie aus, sodaß sie lohfarben zu sein schienen. Die ganze Wache bis auf den Steuerer spülte Deck. Die Leute hatten die Hosen aufgekrempelt bis zu den Knien und klatschten barfuß in dem lauen Wasser umher. Das Kratzen der Schrubber und das Spülwasser, das durch die Speigatten in die See hinaus lief, war der einzige Lärm an Bord. „Benn, geh' in meine Kammer und hole zwei Schiffs- besen. Von den kleinen. Du weißt, die wir dazu gebrauchen, um die Malerei und das Glas abzuttocknen. Mach' aber � keine nassen Flecke auf den Boden und geh' leise, sodaß Du niemand weckst," sagte der Steuennann. Er hielt Benn an der Blousc fest, damit er nicht davonlaufen sollte, bevor er alles gehört hätte. Venn ging und trat so leise wie möglich in die Messe. Die Thürcn zu den verschiedenen Kabinen waren verschlossen, ausgenommen diejenige, welche zu der des Steuermannes
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15 (1.5.1898) 85
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