Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 88.
14]
Donnerstag, den 5. Mai.
( Nachdruck verboten.)
Der Schiffsjunge.
Eine Seegeschichte von Peter Egge . Einzig autorisirte Uebersetzung von E. Brause wetter. „ Ist bei Dir zu Hause vielleicht etwas Trauriges pajfirt." „ Nein."
Sei nicht so schwermüthig Junge. Morgen gehen wir achter zum Kapitän und kriegen Geld. Und dann gehen wir ans Land und amüsiren uns."
Benn sagte nichts.
Romm, geh mit hinein!"
" Ich möchte hier noch ein Weilchen stehen. Ich komme bald nach," fügte er hinzu, um den andern loszuwerden. Oivind ging hinein und Benn blieb zurück. Der Abend erschien ihm so schön, und der Mond strahlte noch immer mit derselben trostreichen Klarheit, wie früher.
XII.
1898.
Am Tage darauf arbeitete Benn im Zwischendeck. Der Ballast sollte heraus. Um 2 Uhr kam der Steuermann zu ihm hinunter:
„ Na, Benn, zieh Dir' ne feine Joppe an. Du sollst mit der Frau an's Land, um ihr tragen zu helfen. Zieh' Deinen Landanzug an!"
Ein fast ängstliches Gefühl des Glücks durchströmte Benn: Sie hatte ihn also nicht vergessen! Er hatte sich gestern nicht geirrt, als sie ihm zunickte.
Er sprang in die Roof hinauf, wusch sich und zog sich in fieberhafter Eile an. Die ganze Zeit sah er in Gedanken sie in ihrem schweren Pelzmantel in der Kajüte ſizen und auf ihn warten. Er brauchte keine zehn Minuten, sich umzufleiden. Sobald er fertig war, betrachtete er sich schnell im Spiegel. Seine Haut war feiner und weicher geworden, weil er sich nicht täglich mit dem salzigen Wasser gewaschen hatte, und sie hatte eine bräunlichere Farbe bekommen, als früher. Er legte die Hände auf seine heißen Wangen. Gott ! wie heiß er war! Dann drehte und wandte er sich, um und hinten stand. Es war so lange her, seit er ihn angehabt hatte, daß er ihm ganz neu erschien. Die weiten, eleganten Beinkleider hatten im Koffer oberhalb der Knie Falten befommen. Er streckte und zog an ihnen, um die Falten fort zu bekommen. Die Schuhe machten ihn halb verrückt vor Freude: Sie waren noch gerade so blank, wie damals, als er sie in Arendal eingepackt.
Die Kajütenthüre öffnete sich. Er drehte sich herum und sah den dicken, breiten Steward in Morgenschuhen dahergewatschelt kommen. Als er zu Benn hinfam, blieb er zu sehen, wie sein neuer blauer Anzug ihm von vorn plöglich stehen und guckte ihm mit seinen furzsichtigen Augen blinzelnd ins Gesicht.
Halloh, Benn! Stehst Du hier? Lieft Du nicht Deine Briefe, Kerlchen? Du bekamst ja eine halbe Million!" " Ich habe sie gelesen!"
,, So, na, wie steht's denn daheim!"
" Danke, gut!"
,, Und willst Du nicht heut' Abend schreiben?" ,, Nein, ich glaube, ich schiebe es bis morgen auf." " Du"- er senkte die Stimme- willst Du mir bei einem kleinen Zettelchen an meine Frau helfen, dann nimmt es der Kapitän morgen früh mit." " Ja, gern."
Dann gingen sie in die Kambüse hinein.
" Ich backe bald, Benn, und dann sollst Du einen Kuchen für Deine Mühe haben."
Der Steward flappte seinen Bäckertisch von der Wand herab und setzte den Ständer darunter. Dabei redete er unaufhörlich, weihte Benn in seine häuslichen Verlältnisse ein, erzählte lang und breit von seinem Sohn Ole und von seiner Frau Martha, die so brav wäre. Das Meiste hatte Benn schon früher gehört.
Als die Schreibgeräthschaften vorgesucht waren, ließ er Benn den Brief der Frau lesen, dann gab er ihm jeden Sat an, der geschrieben werden sollte und ließ ihn Benn formen, wie er wollte.
Sie blieben noch sizen, lange nachdem der Brief fertig war.
Der Steward ward dessen gar nicht müde, ihn durchzu buchstabiren.
Als er endlich mit dem Lesen fertig war, rief er: " In Jesu Namen, was willst Du, der so schön schreibt, auf der See? Es kann ganz fein sein auf See, so lange man jung ist; aber man wird selten glücklich dabei. Ja, ja, das ist wahr!"
Es trat Stille ein. Benn zog den Brief der Mutter hervor und las ihn. Dann steckte er ihn wieder in die Tasche. Seine Seele war nun ruhig und leicht, und er dachte mit Freuden an die Briefe, die noch ungelesen in der Koje lagen. Der Steward war in Gedanken versunken und blies große Rauchwolken in den Raum hinein.
Nur
Benn dachte sich, seine Kameraden müßten nun zur Ruhe gegangen fein, es war so still auf dem Schiff. den Michel, der in der Koje zunächst der Kambüfe lag, hörte er eine schwermüthige, wehmuthsvolle Weise summen: „ O, Seemann , der auf dem Ozean fährt,
Halt stets Deinen Sinn dem Herrn zugekehrt!" Als Benn später in die Roof hineinkam, schliefen alle. Nur Jens Christian, der die Wache hatte, saß auf seiner Kiste und nickte im Schlafe. Als Benn hineinkam, fuhr er auf, setzte sich aber wieder, als er sah, daß es nur Benn war.
Der Junge zog sich aus und troch in seine Stoje. Dann nahm er feine Briefe vor. Er legte sich mit der Hälfte des Körpers auf die Kiste hinaus, um besser sehen und sie alle durchlesen zu können.
Und dann dazu der breitkrempige Hut! Den hatte er gekauft, um so seemännisch, wie möglich, auszusehen.
Er warf noch einen kurzen, flüchtigen Blick in den Spiegel, schleuderte ihn dann in die Koje hinein und lief zur Thüre hinaus.
Als er zum Mittelschiff tam, entstand eine Verwunderung und ein Staunen unter den Kameraden. Er schritt über alte Blanken, Taue und Kloben davon.
der
,, Seht nur den Benn an! Wie flott der ist!" So fein, wie der Schifier selbst!"
" Und den Hut hat er in die Augen gedrückt!" " Ja, wie all' diese Studentenlaffen!"
Du trifft die Frau oben bei dem Steamkarsen," sagte Steuermann und lachte und nickte ihni zu.
Benn war bald am Lande und lief. Einige Kameraden sahen ihm fast neidisch nach. Einer rief:
,, Sie ist noch an Bord!" Benn blieb einen Augenblick stehen. Aber da lachten fie alle laut los, und er lief weiter.
Es war falt. Kleine Tümpel, tiefe Löcher und Pferdespuren lagen festgefroren da. Der Junge glitt mehrmals aus, ohne jedoch zu fallen, sprang über die alten Bretter, die aufgestapelt waren, und über die Anker- und Drahttaue, die von den Schiffen ausgingen.
Als er um die Ecke bog, wo die Straße begann, hörte er plötzlich auf zu laufen: Dort ging fie auf und ab und wartete auf ihn.
Er versuchte seine Athemzüge zur Ruhe zu zwingen, bevor er sie erreichte.
Sie fam ihm entgegen, reichte ihm die Hand und sagte
Lächelnd:
,, Na, Benn, haben Sie heute geweint?"
Gew-eint? Nein." Er wurde verlegen und ein wenig erstaunt. Sie gingen ruhig im Promenadenschritt dahin. " Ich meine, ob Sie noch immer schwermüthig sind?" ,, Nein, seit Frau Kapitän mir versprachen ,, Sagen Sie mir, Sie haben doch wohl mit den Leuten nicht von der Abmusterung gesprochen?"
"
,, Nein." Er fühlte sich fast gekränkt, daß sie so etwas befürchtete, und fügte in etwas affeftirt beleidigtem Ton, ohne sie anzusehen, hinzu:
" Ich bin niemals indiskret, Frau Kapitän!"
Sie lachte, als hätte sie das Gefünftelte in seinen Worten gefühlt. Das Lachen verdroß ihn. Er fühlte sich gedemüthigt, fam sich klein vor in den Augen der Geliebten, und die Thränen traten ihm in die Augen
Sie sah es und sagte: