Anterhallungsblatt des Vorivärts Nr. 89. Freitag, den 6. Mai. 1898. (Nachdruck verboten.) Dev SchMsjuttge. 15] Eine Seegeschichte von Peter Egge . Einzig autorisirte Uebersetzung von E. Brausewetter. Sie haben Wohl noch niemals eine große Stadt ge- sehen, Venn?" Ja, Sie haben doch Wohl nichts dagegen, daß ich Sie Benn nenne?" Nein, Frau Kapitän, Sie können mich doch nicht..." Frau Kapitän 1 Warum sagen Sie so? Mein Name ist Merry." Er wurde verwirrt, sehr verwirrt. Sie schritten eine Weile still dahin. Er wollte etwas sagen, ihr seine Dankbarkeit de- weisen, ihr etwas Gutes thun. Er hatte das Bedürsniß, ihr seine Gefühle zu zeigen; nicht, um wieder etwas zu fordern, sondern damit sie wissen könne, wie hoch sie ihm stand um ihr zu huldigen. Aber er vermochte nichts zu sagen, er fand keine Form für das, was er ausdrücken wollte. Er schritt mit dem Ge- fühl dahin, unhöflich zu sein, weil er so schiveigsam war. Hier warten wir auf den Car," sagte sie, und sie blieben stehen. Thirty- Street war hier ziemlich still. In der Ferne vernahmen sie das Getöse des Cars, der sich näherte. Das Klingeln, das bald unterbrochen wurde, bald sich wieder fort- setzte, meldete ihnen, wenn er an einer Straßenecke Halt machte und wenn er wieder weiter rollte. Endlich brauste er in gewaltiger Schnelligkeit daher. Lärm und Getöse und schrilles Geklingel erfüllten die ganze Straße. Die Frau schwenkte ihren Muff. Da kreischten die Bremsen schrecklich, das Klingeln hörte auf, und der Car machte halt. Die Kapitänin und Benn stiegen in den geheizten Wagen, und er rollte mit demselben Getöse wie vorhin weiter. Ein paar Herren saßen neben der Thür. Sonst niemand. Die Kapitänin ging an ihnen vorüber und setzte sich in die hinterste Ecke, und Benn folgte ihr. Er sah, wie die Herren sie einen Augenblick fixirten, und ward von einem Gefühl des Stolzes erfüllt, mit einer so jungen, hübschen und eleganten Dame gesehen zu werden.... Der Kondukteur kam heran und stellte sich vor sie hin. Die Kapitänin zog ihre grünseidene Börse und bezahlte. Während dessen saß Benn unbeweglich und starrte verlegen und peinlich berührt vor sich hin. Endlich sagte er:Ich habe leider noch kein Geld bekommen Frau M Merry." Er stammelte, und seine Stimme bebte. Da fühlte er, wie sie die Hand, die ihr zunächst lag, drückte, langsam, aber ivarm. Und sie lächelte. Wollen Sie denn die Ausgaben bezahlen, die Sie um meinetwillen haben, Benn?" Sogleich begriff er, daß er eine Dummheit gesagt hatte: Er war heute ja ihr Diener, er bekam Bezahlung für seine Arbeit. Aber ihr Lächeln und ihr Händedruck bereiteten ihm eine so große Freude, daß er seine Dummheit nicht bereute. Er dachte daran, wie gut und liebevoll sie war, daß sie ihn sicher, o, ganz sicher gern hatte, da sie ihm erlaubt hatte, sse Merry zu nennen. Und wie schön nahe sie ihm war! Er fühlte nicht die Bank, auf der er saß, die Häuser tanzten am Fenster vorbei. Leute strömten in allen Richtungen. Kinder liefen umher und rutschten auf den gefrorenen Rinn- steinen. Er sah alles, wie in einem Nebel, sah es, ohne es zu erfassen. Das Leben draußen auf der Straße war etwas, das ihn nichts anging. Er gab sich einem namenlosen Wohlbehagen hin und wünschte, die Fahrt möchte noch lange, sehr lange dauern. Da kreischte die Bremse unter dem Car, und die Schnellig- keit ließ ruckweise nach. Die Kapitänin und Benn stiegen aus und gingen hinüber zu einem Pserdebahnwagen. Sie fuhren durch die Hamilton-Avenue und darauf eine Seitenstraße hinauf. Der Wagen war fast voll von Menschen und der Platz knapp genug. Benn hatte eine fast feindselige Empfindung gegen all' diese Leute. Sie beraubten ihn der Freude, mit ihr allein zu fein. Das Leben draußen begann ihn zu interessiren. Es wurde lebhafter, je weiter sie fuhren. Die Gebäude wurden größer und schöner. Plötzlich blieb der Wagen stehen. Die Thür wurde zur Seite geschoben. Ein kalter Luftzug fuhr herein. Die Leute stiegen auS und ein. Die Thüre wurde wieder zugerissen, und die Pferde trabten weiter. Endlich auf einem Platz, aus den diese Straße ausmündete, stiegen alle aus. Kälte, Lärm und ein wüstes Durcheinander schlug ihnen entgegen. Die Pferdebahnen, Arbeitskarren und Equipagen kreuzten durcheinander. Tausende von Menschen wimmelten umher. Von den Kais, den Werkstätten und Fabriken am Fluß her ward die Luft von Hämmern und Stöhnen und Schlägen er- fällt. Und über allen Häuptern brauste der Eisenbahnzug, droben auf der Brooklyner Brücke mit gleichmäßig dumpfem Donnern dahin. Geben Sie mir Ihren Arm, Benn!" Er that es, und sie liefen und gingen über die Pserdebahnlinien, die in allen Richtungen den Platz überquerten. Mehrmals mußten sie stehen bleiben,, um nicht Übersahren zu werden: aber sobald der Weg frei war, liefen und gingen sie in derselben Richtung, wie vorher weiter. Sie zog ihn fest mit sich. Er wußte nicht, wie lange sie auf diese Weise dahingeeilt waren. Endlich erreichten sie die richtige Pferdebahn und stiegen ein. Von neuenr rollten sie davon. Nur ein Mädchen mit ein paar kleinen Kinddern saß in einer Ecke des Wagens. Setzen wir uns in die Nähe des Osens I Hier zieht es," sagte die.Kapitänin. Sie thaten es, und wieder konnte er ihre Nähe mit Ruhe genießen. Er fand, sie wären so bekannt und vertraut ge- worden. Es war noch keine Stunde, die sie zusammen der- bracht hatten, und doch eine unbestimmbare lange Zeit, un- bestimmbar, weil sie eben so wenig nach Stunden, wie nach Tagen gemessen werden konnte. Als der Kondukteur kam. um das Fahrgeld zu verlangen, war er wieder verlegen darüber, daß sie für sie Beide be- zahlte. Sie waren wieder allein mit dem Mädchen und den Kindern. Sie ergriff seine Hand, die auf dem Knie lag, und behielt sie. So blieben sie eine Weile sitzen, ohne einander anzusehen und ohne etwas zu sagen. Eine alte Frau kam herein und stieg um ein Weilchen wieder aus, ein Mann sprang hinten auf den Wagen und hüpfte an der nächsten Straßenecke wieder ab. Aber Merry und Benn blieben Hand in Hand sitzen. Er hatte sich an die Wand gelehnt und starrte unter den halbgeschlossenen Augenliedeni hervor, gerade vor sich hin. Seine Brust ging schwer, und sein Kopf stieß leicht gegen die Wand, jedesnial wenn seine Pulsadern schlugen. Äie lieb sie mich haben muß. war das einzige, was sein verwirrtes Hirn zu denken vermochte. Dann kamen sie in einen Tunnel hinein. Dichtes Dunkel umgab sie. und der rollende Laut des Wagens nahm plötzlich und ungeheuerlich zu. Sie drückte feine Hand fester. Aber er riß sie los, umschlang Merry mit seinen Armen und drückte sie mit leidenschaftlichem Kuß an sich.-- Die Kinder weinten. Als der Wagen wieder in das Tageslicht hinausrollte, saß er einige Schritte von ihr entfernt und blickte zum Fenster hinaus. Er wagte nicht, nach ihr hinzusehen, merkte aber doch, daß sie sich niederbog, um ihren Muff aufzuheben, der herabgefallen war. Er hörte, wie das Kindermädchen in Babycnglisch den Kleinen, die noch immer schluchzten, beruhigend zusprach. Er drückte die Stirn gegen die kalte, feuchte Fensterscheibe. Dann wischte er die Feuchtigkeit mit der Hand ab und legte diese auf seine heißen Wangen. Das hitzige Pochen des Blutes ließ nach, und das Zittern des Körpers wurde schwächer und langsamer. Ein großes Gebäude, höher als die anderen, stieg plötzlich empor. Er blickte aus und laS die goldenen meterlangen Buchstaben: Hotel Central. Aber der Wagen rollte weiter, immer weiter, an dem Zentralpark vorbei und noch weiter. Endlich stand die Kapitänin aus. Der Wagen hielt an, und sie stiegen aus. ,.....:.-i..i v'L-.