Anterhaltungsblatt des UonvärtsNr. 91.Dienstag, den 10. Mai.1898(Nachdruck verboten.)Der Srfjiffsjmrge.17]Eine Seegeschichte von Peter Egge.Einzig autorifirte Uebersetzung von E. Brausewetter.XIII.Morgens fünf Uhr am Weihnachtsabend...Auf. Jungen!"Benn erwachte in seiner Koje und sah den Wachwrann,Jens Christian.„Ja, ja. nun komme ich... nun bin ich wach... nunkannst Du ruhig gehen und Dich hinlegen." murmelte Bennschlaftrunken.Jens Christian folgte seinem Wort, und bald hörte Bennihn in der Koje schnarchen.Der Junge sollte jeden zweiten Morgen hinauf, um denBoden zu waschen, und er mußte fertig sein, bevor er zu-sammen mit den Leuten auf Deck zur Llrbeit antrat.Der Reif lag weiß und glänzend auf der Wolldecke, indie er sich eingehüllt hatte, und große, blanke Wassertropfenrannen an den Wänden der Koje herab. Die kleinen Fensterwaren völlig und dick befroren, so daß das dämmernde Tages-licht nur schwach hindurchscheinen konnte. Die Lampeunter dem Oberlichtfenster flackerte unruhig. Es fehlte darinan Oel.Benn blieb noch einige Minuten liegen. Die Kälte hatteihm sogleich in schlechte Laune versetzt. Er entsann sich,daß heut' Weihnachtsabend sei, und mußte an die Heimathdenken. Und das bedrückte ihn, machte ihn unruhig. Seitdem Ausgang mit Merry konnte er sich nicht mehr so beidem Gedanken an zu Hause erfreuen, ihn nicht mehr so ge-nießen, wie früher.Er schob die alten Erinnerungen bei Seite und ermahntesich selbst, endlich aus der Koje herauszuspringen und sich indie Kleider zu werfen. Er streckte die Arme unter der Deckevor, und die Kälte durchrieselte seinen ganzen Körper.Da riß er sie mit einem Ruck herunter und spranghinaus auf den Boden. Die Zähne klapperten ihm im Munde,und seine Glieder zitterten, sodaß er sie kaum in die Kleiderhinein bekam.Er nahm den warmen Südwester und seinen zwei Ellenlangen Shawl und lief hinaus.Das Deck und die Takelage waren mit Eis bedeckt,blankem, klarem Eis in den verschiedensten Formen, und einbeißend kalter Luftzug vom Meere her schlug ihm entgegen.Das Licht der Laternen und der Leuchtthurm kämpften mitdem hervorbrechenden Tage. Es war kein Leben zu sehen,kein Laut zu hören.Er eilte in die Kambüse hinein und machte unter demKaffeekessel Feuer. Es lag noch einige Gluth vom Feuer desWachtinanns im Herde. Dann kletterte er auf das Roofdachnach dem Bootshaken, sprang auf Deck herab, lief nach demSchöpfkübel und Wascheimer, legte sich über die Reling undstieß mehrere Male mit dem Bootshaken unten in das harteEis, um ein Loch zu schlagen. Er fluchte halblaut vor Un-geduld.Der Schöpfkübel war zugefroren, so daß er nur wenigWasser aufnahm, und der Strick daran war ein einziger langerEiskluinpen, der schniolz, wenn er ihn durch die Hände gleitenlies. Sie brannten vor Kälte. Er fühlte sie schließlich gar-nicht mehr, bekam Angst und schlug mit ihnen wieder undwieder gegen die Reling. Dann holte er den Schöpfkübel aufund ab, auf und ab mit einer Geschwindigkeit, welche dieAngst hervorrief. Vielleicht waren seine Hände bereits er-froren IEndlich hatte er den Wascheimer voll Wasser und Eis-klumpen und sprang nun in die Roof hinein, von derselbenAngst gejagt.Hier warf er sich auf eine Kiste nieder und rieb seineHände wie ein Rasender. Sie waren schmutzig, roth und ge-schwollen. Der Schmutz war an der dicken, arbeitszerrissenenHaut festgefroren.Er bekam kein Leben in sie, und seine Angst nahm zu;vielleicht endete es damit, daß sie für sein ganzes Leben ver-dorben waren! Und die Erzählungen der Kameraden vonkaltem Brand und anderem Matroscnelend fielen dem armenJungen ein. Er steckte seine Hände in den Wascheimer undhielt sie lange darin.Als er so eine Weile gesessen hatte, begann er die Käme-raden zu betrachten. Sie lagen mit Hosen und Jacken undmit Decken darüber. Ihre behaglichen Stellungen unter denwarmen Decken und ihre tiefen, gemeßenden Athemzüge er-bitterten ihn, ließen ihn noch stärker seine Einsamkeit, feineAngst und seinen Schmerz empfinden.Endlich begannen seine Hände warm zu werden. Erhatte in ihnen ein Gefühl, wie wenn tausend Nadeln prickelten,und seine Angst verschwand.Er legte sich auf die Kniee und wusch den Boden auf.Seine Stimmung wurde aber nicht besser, sondern immerschlechter, weil feine Hände schmerzten und so häßlich waren— weil er nicht länger froh und hoffnungsvoll an zu Hausedachte, weil er in den Weihnachtstagen an Bord nichtsAnderes als graues Einerlei zu erwarten hatte, und weil erüber Weihnachten Merry nicht treffen sollte. Das alleslastete und drückte auf ihn wie eine einzige große Last.Er dachte lange an Merry. Zwei ganze Tage waren seitihrem letzten Beisammensein verflossen. Er hatte es von ihrso hart, so egoistisch gefunden, daß sie sich in den Weihnachts-tagen so sehr dem Gesellschaftsleben hingab. Aber das warja dumm von ihm... Sie mußte wohl die Einladungen an-nehmen, die sie erhielt.Als er mit seiner Arbeit fertig war, lief er in die Kambüsehinaus nach warmem Waffer und Soda und wusch sichordentlich und lange die Hände. Dann rieb er sie mit Lilien-milch ein. Merry hatte ihm das angerathen, und er hatte siefür einen Theil des Dollarscheines gekauft, den er von ihrbekam. Er hatte ihr das Geld noch nicht zurückgegeben.Er steckte die Flasche wieder unter fein Kojenpolster undging achter, um den Steward zu wecken.--Infolge der Kälte bekamen die Leute an diesem Tagekeine andere Arbeit, als Taueseilen unten auf dem Zwischen»deck. Das Deck zu spülen, davon konnte keine Rede sein,denn das Wasser fror, bevor man es nur zur Reeling hinauf-bekam. Und in der Takelung konnte auch nicht gearbeitetwerden, denn die Finger wurden so steif, wie Nägel, bevorman zum Mastkorb hinaufkam.Die Leute versammelten sich in dem Lichtstrcifen, derdurch die Vorderluken hineinfiel, die einzige Luke, die beidieser Kälte offengehalten wurde. Uebrigens war es imganzen Zwischendeck achtcrwärts stockfinster.Eine frohe, gespannte Erwartung hatte alle ergriffen.Nur nicht Benn. Sie schwatzten von den Weihnachtsbriefen,die einige gestern bekommen hatten, andere heute erwarteten.Sie hatten vereinbart, daß keiner den Brief von der Liebstenvor Abend nach der Grütze öffnen dürfte, dann sollte er lautvorgelesen werden.Bisweilen ließ einer von ihnen sein Tau los und hüpfteim Dunkeln achterwärts bis zur Großluke und focht mit denArmen, um sich zu erwärmen. Dann legte er wieder Handan die Arbeit und redete von dem Brief seines Mädels.Müde und erfroren stand Benn mit den Stricken zwischenseinen rothen, steifen Fingern und trampelte mit den Füßen.Oivind hatte versprochen, ihn zu einer Weihnachtsgesell-schaft bei einer norwegischen Familie mitzunehmen. Aber derGedanke daran bereitete ihm keine Freude. Die Dunkelheitringsum und das frohe Geschwätz der Kameraden war ihmgleich zuwider. So oft es ging, machte er, sich auf Deckzu schaffen. Es war ihm eine wahre Erleichterung, dort obenzu sein.Die große rothe Wintersonne war am Himmel hervor-gekommen und ihre Strahlen durchbrachen das Eis an derTakelung, so daß es m allen Farben funkelte.Von Mittag ab waren die Leute frei. Sie wuschen sichsorgfältig und besserten ihre Kleider aus— alles unter Geschwätz und Lachen und einem gegenseitigen Behilflichsein.infolge dessen sich Benn noch einsamer und überflüssigerfühlte.Er hatte zu nichts Lust, aber putzte sich doch heraus. DieKameraden sollten nicht sagen können, der„Lord" wäre soträge, daß er sich nicht einmal zum Fest waschen und putzenmochte!--