5Th. 92.Mittwoch, den 11. Mai.1898(Nachdruck verboten.)Oer Silziffsjtmge.18] Eine Seegeschichte von Peter Egge.Einzig autorisirte Ucbersetzung von E. Brausewetter.Oivind keuchte athenrlos und feuerroth im Gesicht mitdem Rinderbraten in einer Blechschüssel herein. Dann griffer nach dem Messer, der Gabel und dem Teller und siel überdas Essen her.Venn setzte sich auf seinen Koffer in der Ecke und sah,mit welch' fieberhaftem Eifer sie sich versorgten. Der lockendeDust von frischem gebratenem Fleisch errcgie ihn. Es war solange her, seit er dergleichen gegessen. Aber er hielt sich dochzurück. Er wußte, daß der Brauch an Bord dem Schiffsjungenvorschrieb, sich als letzter zu nehmen.„Immer Geduld, Oivind! Der Weihnachtsabend ist nochlang, Gott sei Lob," sagte Michel.„Sowas Hab' ich noch nie gesehen— Junge I Wart', bisdie Erwachsenen sich erst versehen haben!" rief Jokum.„Sehtseine Augen— akk'rat wie bei'ner Eule!" Er ließ sich miteinem wohl versehenen Teller auf seinen Kasten niedergleiten.Dann nahm er einen großen Zuckerklumpen von seiner Reis-arütze, warf ihn nach Oivind und traf ihn mitten auf dieNase. Der Klumpen zerfiel, und der Zucker umsprühte ihnwie ein Staubregen.„Maul auf I" schrie Zökum gleichzeitig.Oivind schnappte furchtbar, rieb seine Augen und belecktemit feiner langen, spitzen Zunge den Mund, um nicht desZuckers verlustig zu gehen.Die Roof hallte von so gewaltigem Lachen wider, daßnran hätte meinen können, sie müßte auseinanderspringen. Eswollte gar kein Ende nehmen. Mehrere, die mit ihren Tellernauf dem Schoost da saßen, mußten sie auf den Tisch setzen,unl sich auszulachen.Zökum schrie durch all' das Lachen hindurch:„Laß den Zucker in die Augen fließen, dann wirst Du soklaräugig, daß Du hernach gerade durch Deine Hirnschalehindurchsehen kannst."„Seht, wie er grinst, seht, wie er grinst," rief Tom.Benn lächelte ebenso sehr über das Lachen derKameraden,>vie über Oivind's Gesicht. Er hatte die Empfindung,der einzige Nüchterne in einer Schaar betrunkener Menschen zusein.Endlich trat Stille ein, wurde aber wseder und wiedervon einem unterbrochen, der in dem Gedanken daran, wielächerlich der Jungmann aussah, als er sich den Mund beleckte,wieder auflachte.Eine ganze Weile vernahm man keinen anderen Laut,als das Geräusch der Messer und Gabeln auf den Tellern.Dann sagte Michel und schielte wohlwollend nach der Eckehin, wo Benn saß:„Es ist ein großer Unterschied zwischen dem Jungmannund dem Schiffsjungen hier an Bord."Benn fühlte, daß ihn alle ansahen. Er starrte auf seinenTeller herab, der in seinem Schoost stand, und aß ruhigweiter.„Ja, er macht nicht zuviel Spektakel." lachte emer.Benn hörte einen anderen seinem Nebenmann zufliistern:„Hat er sich auch ordentlich Essen genommen?"Da erhob sich Jens Christian im Gefühl seiner Würdeals Aeltester in der Roof, sah Benn an und ließ seine starkeStimme ertönen:„Hast Du Dir Essen genommen, Venn? Wenn nicht,dann komm'ran! Es ist genug da, Junge I"„Danke, ich bin versehen!"Benn sah nicht auf.„Iß nur," rief Jokum,„desto kräftiger wirst Du, Junge!"Noch fühte Benn die höhnischen, neugierigen und lachendenGesichter auf sich gerichtet. Jens Christian's Worte rührtenihn. Erfühlte, die plumpe An, in der sie hervorkamen, ver-deckte eine steundliche Gesinnung, der Jens Christian keinenanderen Ausdruck zu geben vermochte. Er gerieth in eineweiche, unsichere Stimmung.Er setzte seinen Teller auf den Tisch, satt und schwer vonder ungewohnten Kost, und begann in der Koje nach einerFlasche Sherry zu suchen. Sie war eigentlich für ihn undOivind bestimmt, wenn sie an den Weihnachtstagcn allein anBord blieben.„Habt Ihr Lust auf ein Glas Sherry?"«Ja. ja!"„Her damit!"„Benn ist noch ein Junge!"Die Flasche machte die Runde, und jeder bekam ein Glas.Es waren noch zwei bis drei übrig, als sie zurückkam und dietrank Venn aus.Einige Kameraden begannen plötzlich eifrig durcheinanderzu reden. Es klang wie der heftigste Streit, obwohl eigent-lich alle einig waren. Schließlich erklärten sie, Benn wäreder einzige vernünftige Kerl in der Roof; denn nur er seischlau genug gewesen, am Weihnachtsabend etwas spendirenzu können.Der Wein belebte Venn. Er hatte Verlangen nach mehr— immer mehr. Wenn er doch trinken und sich amüsirenkönnte heut' Abend, sich so amüsiren, wie er es noch nie inseinem Leben gethan hatte!„Seht her, Leute! Der Steward stand in der Thürsund hielt drei Flaschen in die Höhe.Ein Freudenruf von allen rings um den Tisch be-grüßte sie.„Zwei Wisky und ein Portwein. Feine Sachen, Jungens!"„Das ist wirklich der nett'ste Schiffer, mit dem ich nochgefahren bin," sagte Jens Christian mit Ueberzeugung.„Abererst soll der Steward ein Glas haben!"„Danke, aber das muß schnell geschehen; denn ich Hab'wenig Zeit!"Er goß es auf einmal hinunter und eilte dann davon.„Frohe Weihnachten!"Die Flasche machte die Runde, bis jeder einenSchnaps und ein Glas Portwein bekommen hatten. Bennfühlte den Branntwein wie Feuer durch die Kehle fließen.Er drückte sich in eine Ecke und legte die Berne auf seinenKoffer. Er wünschte, die Kameraden möchten einen recht tollenEinfall bekommen, sie möchten tanzen, sich auf den Kops stelle»oder dergleichen.Man schob die Teller auf dem Tische zusammen undzündete die Pfeifen an.„Na, es ist wohl am besten, wir nehmen nun die Briefevon den Mädels vor," sagte Jokum. Er war ein wemg stolzdarauf, daß alle von seiner Verlobung wüßtem„Lies Duerst, Jens Christian." Er wußte, daß der Kamerad mit demBrief ohne Hilfe nicht Wohl zurecht kam.„Nein, ich will nicht zuerst lesen."„Na, denn Du, Michel!"„Nein!"„Na, ich werd' denn man lesen!" sagte Jokum.Und dann las er mit lauter Stimme, aber mit kleinenPausen dazwischen, denn die Buchstaben ivaren nicht immerdeutlich:„Geliebter Jokum.Ich danke... Dich villemals für Deinen Brief, den ich be»kommen habe, worin ich sehe.. Du bist wohl und... gesund...sowie auch ich und meine Mutter, mit welcher wir müssen..»Gott danken dafür..."„Das ist wirklich hübsch geschrieben von so einem jungenMädchen," sagte Jens Christian aufrichtig.„Sie hat gar nichtso wenig Verstand!"Jokum wurde ganz stolz und gerührt.„Das Hab' ich ja auch immer von Anna gesagt."„... Es geh'n schreckliche Nachrichten um.. von Sturmund Unglück und... der Jonas Olsen, Du weißt... der,mit dem Du fuhrst.. Damals, als Du.. Deckjung warstist über Bord gegangen..."„Nee, der Deckjung, nun ist er über Bord gegangen I"„Nein, so was!"„Na, da kriegt er genug zu trinken, wo er nu liegt."„Ja, er trank, was er kriegte, der Kerl!"Es entstand eine kleine Pause, ehe Jokum fortfuhr.„... ist über Bord gegangen im... Kanal und d'rumkann ich nicht froh genug sind, daß Du in New-Jork bist,lieber Jokum... Du mußt Dich.. vor Bier und...Branntwein in Acht nehmen... Weihnachten, daß Du Dich