Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 98.
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Donnerstag, den 19. Mai.
( Nachdruck verboten.)
Der Schiffsjunge.
Eine Seegeschichte von Peter Egge .
( Schluß.) ,, Nein, das glaub' ich nicht. Er hat wohl eine Menge mit seiner Frau zu schaffen. Die sollte heute Nachmittag nach Dieppe reisen."
" So..o? Ja, die versteht sich zu amüsiren!" Benn erhob sich langsam und ging hinaus. Die eine Hand hatte er unwillkürlich gegen die Brust gepreßt. Nein, es konnte nicht sein, daß sie abgereist war, um ihn zu verlassen... Es konnte nicht alles vorbei sein... Sie verband eine gute Absicht damit, daß sie für einige Tage fortreiste vielleicht hatte sie einen Plan... Ja, er wollte auf alles eingehen, was sie auch vorschlug, es mochte sein, was es wollte, wenn sie nur nicht für immer von einander getrennt sein sollten, wenn es nur nicht ganz vorbei war... Er wollte gern Seemann bleiben.
Er setzte sich auf die Spiere und athmete auf.
Sie fam wohl wieder... vielleicht in einigen Tagen.. vielleicht schon morgen. Sie hatte nicht mit ihm gesprochen, bevor sie abreifte, weil sie keine Gelegenheit dazu gefunden hatte. Vielleicht bekam er einen Brief von ihr... vielleicht schon heute Abend. Vergebens suchte er sich zu beruhigen. Die Angst lag schwer und drückend auf seiner Bruſt. Er verrichtete seine Arbeit rein mechanisch, und seine Augen schienen an allem vorbeizusehen, was er vornahm, und an allen, mit denen er sprach. Er arbeitete den ganzen Nachmittag auf Deck, aber der Lärm vom Hafen tönte zu ihm herüber, wie ein Getöse aus einer fernen Welt.
Die Leute saßen und aßen Abenbrot, als der zweite Steuermann tam und die Briefe vertheilte. Benn erhielt sechs und bemerkte sogleich einen mit französischer Briefmarte darauf. Er steckte die übrigen fünf schnell ein, lief aufs Deck hinaus zur Kambüse hin und guckte durch's Fenster hinein. Niemand war darin. Der Steward mußte achterwärts gegangen sein zum Essen.
Da schlich er sich schnell hinein, riß den Brief auf und Yas ihn unter dem Licht der Hängelampe. Seine Hände zitterten, der Athem saß ihm wie ein Knoten im Halse, und sein Herz pochte stark und schnell. Noch bevor er die ersten Zeilen zu Ende gelesen hatte, mußte er sich niedersehen, um weiterlesen zu können.
,, Lieber Benn!
1898
Leben, dem ich entgegengehe, freuen, als zu erfahren, daß aus Dir etwas Tüchtiges geworden bist... daß Du in der Welt vorwärts gekommen bist.
Ich weiß nicht, ob es mir geglückt ist, alles zu sagen, was mir am Herzen liegt. Ich bin so elend und verwirrt, daß es mir nicht möglich ist, zu schreiben, was ich am liebsten sagen möchte. Gebe Gott , Du möchtest glücklicher werden, als ich. Lebe wohl! mein inniggeliebter Benn! M."
Er blieb figen und starrte den Brief eine Weile an, ohne weinen zu können. Dann kam ein schwaches Stöhnen hervor, und er zerdrückte den Brief zwischen den Fingern.
Die Thür öffnete sich, und der Steward kam in Morgen. schuhen über die hohe Schwelle mit einem Tablett und einigen Tassen in den Händen.
,, Bist Du es, Benn?" Er richtete seine blinzelnden Augen auf den Jungen, der auf der Bank in der Ecke zusammengefauert Hockte." Was Teufel, fehlt Dir denn, Freundchen? He?"
Benn schluchzte.
mak, Steht etwas unangenehmes in dem Brief?"
Als Benn den Brief erwähnen hörte, fuhr er auf und zerriß ihn in lauter fleine Stücke und Feßen. " Jesses, mäßige Dich, mein Junge! Mäßige Dich! Ist Deine Mutter vielleicht krank geworden?" Keine Antwort.
" Jst Deine Mutter vielleicht krant geworden?" " Ja," erwiderte Benn. Ach Gott, wäre ich nur weit fort!" Er schluchzte und rang die Hände.
„ Na, na, nimm es nur mit Ruhe auf! So lange sie noch am Leben ist, ist auch Hoffnung vorhanden, weißt Du." Und gleich darauf: Du willst nach Hause, nicht wahr?" " Ja, ja, jekt gleich!"
"
Nur immer Ruhe, mein Junge. Wir haben einen guten Schiffer; er wird Dich schon abmustern. Ja, das thut er sicher." Und der Steward seufzte tief und schlarrte zur Thür hinaus, die er hinter sich zumachte.
O, wie schändlich sie sich gegen ihn benommen hatte!.. Wie hartherzig und gemein sie war! Sie hatte ihn niemals geliebt... Sie hatte nur gelogen und geheuchelt und sich nur mit ihm amüsirt und nun schleuderte sie ihn fort, weil er ihr im Wege war.
-
Er ballte die Hände und fing an, in dem kleinen Raum schnell umherzulaufen, als wenn er sie verfolgen wollte. Er stampfte auf den Boden, als hätte er ihr damit wehthun fönnen. Sie selbst und all die Stunden, die er mit ihr verbracht hatte, erschienen ihm in seiner Erbitterung im häßlichsten Lichte. Aber als die schlimmste Wuth vorbei war, setzte er Ich glaube, lieber Benn, es bleibt uns nichts weiter sich wieder, und sein Weinen wurde so weh und schmerzlich, übrig, als von einander zu scheiden. Du bist der einzige als hätte er das Beste verloren, was er auf der Welt besaß.... Mensch, den ich heiß und innig geliebt habe, und darum Der Steward fam wieder herein.
fannst Du wohl begreifen, wie schwer ein solcher Beschluß„ Na, ja, Benn, nun hab' ich mit dem Schiffer gesprochen mir geworden ist. Aber ich kann nichts anderes thun. Auf und ihm erzählt, wie es mit Dir steht. Du kannst morgen der ganzen Rückreise habe ich darüber nachgegrübelt, wie Vormittag abgemustert werden. Ja, wir haben einen guten unsere Zukunft sich gestalten soll. Unser Leben ist jetzt ver- Schiffer. Er spricht nicht viel. Das kann man nicht anders zweiflungsvoll, aber einen der Pläne durchzuführen, sagen. Aber er ist gut. Geh mun in Deine Koje. Du sollst die Du wohl sicher im Stillen ausgedacht hast, würde sehen, Deine Mutter ist ganz gesund, wenn Du nach Hause noch verzweiflungsvoller sein. Wie unglücklich sind wir nicht kommst." auf der Rückreise gewesen, und eine abermalige Reise würde Um fünf Uhr am Tage darauf wurde seine komische wohl gerade ebenso ausfallen... Ach Gott, Benn, Du findest vielleicht, das klingt kalt und hart. Aber wir sind gezwungen, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Deine Zukunft würde zerstört werden, wenn Du länger Seemann bliebest. Da blüht fein Glück für Dich. Ich bin die Weltere von uns beiden und habe die meiste Erfahrung und Verantwortung. Darum habe ich für uns beide die Wahl zu treffen. Du findest vielleicht, es ist feig und hartherzig von mir, unser Verhältniß zu brechen, ohne nur vorher mit Dir gesprochen zu haben; aber ich will uns beiden nur das Peinliche und Aufregende eines Zusammen- König Ring" hinüberruderte. treffens ersparen, das mir stattfindet, um Abschied zu nehmen.
,, Reise nach Hause, Benn, und vergiß mich! Jetzt hassest Du mich vielleicht; aber dereinst wirst Du anerkennen, daß ich recht gehandelt habe, unser Verhältniß zu brechen. Du wirst es anerkennen, wenn nicht früher, so doch dann, wenn Du ein erfahrener Mann und mit einer braven Frau glücklich geworden bist.
Lieber Benn, nichts würde mich mehr in dem langen
ES
Schiffskifte über die Neeling geholt und ins Boot hinabgelassen. Alle Kameraden halfen dabei. Mancher saftige Wik wurde gemacht. Aber keiner war verlegend für Benn. zeigte sich, daß alle an Bord seine Freunde geworden waren. Divind hatte ihm seine Mundharmonika geschenkt. Benn sollte sie annehmen, sonst wäre er ihm böse. Und von Jens Christian hatte er eine feine Thaumatte bekommen.
Alle standen auf der Spier und blickten über die Neeling dem Boote nach, als Divind Benn und seinen Koffer zu
,, Das war wirklich der flotteste Schiffsjunge, mit dem ich noch zusammen gefahren bin," meinte Jokum und lachte. ,, Es war nicht recht aus ihm flug zu werden; aber ein netter Kerl war er doch," sagte Jens Christian.
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