Hlnterhaltungsblatt des Horwärls Nr. 103. Freitag, den 27. Mai. 1898 (Nachdruck verboten.) ez Die Sulumfisfuolzen. Von Georg Hermann . (Schluß.) Nicht weinen. Mausi! Nicht weinen!... Nein? Nicht weinen!... So so so... nicht weinen... so so so... Mausi... ich hatte Dich ja... Du bist... hörst Du? Du... ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht... Nicht? Du bist... jetzt... meine Frau... Wir haben Hochzeit gemacht, ja. die Leute haben zwar gesagt... aber, Mausi... Du weißt doch... wir haben Hochzeit... Der da..." er zeigte auf mich,war auch noch da, er hat Wein getrunken, Wein... so viel Wein... und Bier... Du bist... jetzt... meine Frau, Mausi... komm her zu mir... Du mußt jetzt bei... mir... bleiben... Du sollst nicht weggehen!... Unser Kind... Mach das Fenster auf... es ist so---" Das Mädchen warf sich über ihn und schrie. Ein Schrei war es, durchdringend und kläglich, wie nächtens Lokomotiv - pfiffe durch stille Straßen gellen. Als ich sie von einander trennte, war er verschieden. Das Mädchen konnte ich nicht davon überzeugen, daß er todt war. Sie rieb ihm Brust und Schläfen mit Wasser, rief ihn an, schüttelte ihn, weinte und lachte wie eine Irrsinnige. Nur mit Mühe und nach langem Zureden konnte ich sie ein wenig beruhigen. Mit dem Zimmer war plötzlich eine merkwürdige Ver- ändcrung vorgegangen, jene große Ruhe, welche jeder Todte ausstrahlt, hatte sich eingestellt. Jenes eigcnthümliche Nach- hallen der Geräusche, das bange Tönen und Klingen der Stimmen, das geheimnisvolle, beängstigende Knistern und Wispern der todten Ruhe. Ich ging, einen Arzt zu holen. 25. Mai. Im Bureau brachte am nächsten Morgen die Neuigkeit eine fünf Minuten währende Panik hervor. Jeder Ankömm- ling wurde schon an der Thür begrüßt. Wissen Sie, Lintrow ist gestorben." Lintrow? Was Sie sagen? l Unmöglich!" Ja, Lintrow! Gestern Nachmittag um sechs." Und natürlich gerade jetzt, fünf Minuten nach dem Ersten, wo nian nicht'mal einen anständigen Kranz kaufen kann, weil kein Mensch mehr Geld hat. Das sieht ihm wirk- lich ähnlich!" Nur Lorenz,.Klütoer und der Lieutenant zeigten sich ein wenig ergriffen. Der alte Herr sprach den ganzen Tag über fast garnichts, ließ eine Liste für den Kranz umlaufen und trank still eine Flasche nach der anderen in sich hinein. Er lebte seit dem Zehnten des Monats schon wieder beim Ober- kellenneistcr aus Pump und saß tief bis über beide Ohren in der Kreide. 27. Mai. Der Kranz war ein weißes Wagenrad und auf der Atlas- schleife stand in Goldschrift: Ihrem treuen und unvergeßlichen Mitarbeiter Ernst Lintrow. Die Kollegen. Ruhe sanft!" Er kam, wie vorauszusehen, erst im letzten Augenblick; zehn Minuten später, und Herr Lintrow wäre ohne die Zukunstsfrohen begraben worden. So waren sie aber noch fast vollzählig erschienen, ein ganzer Wald ehrwürdiger Cylinderhüte war plötzlich neben der offenen Gruft auf- gewachsen. Man sah ernst zu Boden und lauschte dem jungen Prediger, der in einer kurzen Rede dem Verblichenen ein ganzes Heer von Kardinaltugenden andichtete, daß, wenn er auch nur knapp die Hälfte davon besessen, sie ihn schon zum unausstehlichsten aller Mustermenschen gemacht hätte. Nach der Beerdigung umringte man das Mädchen, schüttelte ihr die Hand, und trotzdem sie alle um ihr Ver- hältniß zu dem Verstorbenen wußten, war auch nicht einer, der sie nicht mitFrau Lintrow" angesprochen hätte. Gerade über vom Kirchhof war die DestillationZum Trauerseidel", und nach einer Viertelstunde fanden sich die Zukunftsfrohen dort ein. Sie hatten vorher bestimmt, nicht mit Hurrah in ge- schlossencr Abtheilung das Bollwerk zu stürnten, sondern in Plänklerketten und langsam von verschiedenen Seiten her Besitz zu ergreifen, wer zuerst anlangte, sollte dem Wirth ausrichten, er möge nur iininer Tische zusammenstellen, es kämen noch mehr. Das erste Glas spülte man still und ernst hinunter; der eisgraue Heilige klopfte mir auf die Schulter und sagte weh- müthig: Wissen Sie, junger Freund, das Beste ist, man hängt sich auf und geht dann unter die Affen. Seitdem der Tod auf der Welt ist, ist ja kein Mensch seines Lebens mehr sicher I" Bei dem zweiten Glas wich die Spannung. Man kam darin überein, daß Lintrow nur aus Bosheit gerade jetzt gestorben wäre. Er hätte ganz gut noch warten, oder wenn es durchaus sein mußte, es zehn Tage früher ab- machen können. Der Kranz wäre ja garnichts gewesen: Wie Pasemann aus dem Zentralbureau gestorben ist, da hätten Sie'mal den 5kranz sehen sollen! Der Sekretär von der Abtheilung B. hat gesagt, so einen Kranz wie den Kranz hat er überhaupt noch nicht gesehen. Der kleine Lorenz erzählte eine lange enffetzliche Ge- schichte, wie er einst dabei war, als sie jemand lebendig be- graben haben. Hubert, der schon vorher des Guten zuviel gethan, schalt auf die Predigt und rief über den Tisch:Nicht, Pastor, Du hättest uns eine bessere Rede gehalten?" Der Angeredete überhörte die Frage. Der Doktor und der Lieutenant waren bei einem eifrigen Gespräch über Be- festigungswesen ins Feuer gekommen, und jeder nannte den anderen einen krassen Ignoranten. Hubert wurde immer unverschämter. Wissen Sie, das Mädchen hat mir sogar recht gut ge- fallen! Glaubst Du, daß da was zu wollen ist, Klüwer.." Im nächsten Augenblick ein wüstes Durcheinander. Ein Tisch fiel um, Bier lief über die Dielen, Scherben klirrten; alle sprangen auf, aber da lag auch schon Hubert trotz seines Sträubens und Um-sich-schlageus mitten auf dem Bürgersteig. Klüwer hatte nichts abbekommen, doch dem Wirth, welcher schlichten wollte, blutete die Nase. Der Oberkellermeister hatte einen Hieb ins Auge erhalten. Was war denn los? Wie kam denn das?" Dieser freche Beugel erlaubt sich Redensarten über das arme Mädchen!" Ich, an Ihrer Stelle, Herr Klüwer, ich hätte den Burschen ja dczimirt!" schreit der kleine bucklige Lorenz und schlägt mit der Faust auf den Tisch. AlleS pruscht los, lacht, lacht, und selbst der Wirth hält sich trotz seiner blutenden Nase den Bauch. 28. Mai. Wenn jemand eine Stelle verlassen hat und nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werdet: kann, sieht man doch erst, was für ein schlechter Mensch er war.Ich würde es ja nie von Lintrow geglaubt haben, daß er so viel Fehler machen könne." Selbst Aktenstücke, die �er'sein Lebtag nicht gesehen, die in ganz andere Rayons gehörten, hatte er mit Fehlern gespickt... 3. Juni. Der Tag der Entlassung kam heran, die Quittungen waren unterschrieben, und jeder erklärte, daß er zum aller- letzten Mal in einem solchen Bureau gearbeitet hätte. Der Doktor wollte eine Fabrik zur Ausnutzung seiner Er- findungen erbauen. Es war alles fertig, nur der Geldmann fehlte noch. Doch es war ja eine Kleinigkeit, den zu cnt- decken, er könnte schon morgen zehn für einen bekommen. Der kleine Pastor gründete eine periodisch erscheinende ethische Zeitschrift, welche zugleich die Bestrebungen der Temperenzler unterstützen sollte. Klüver und Lorenz traten ihre Stellungen an. Der Lieutenant bezog einen Jngenieurposten; der Ober- kellermeistcr eröffnete eine Kneipe am Wedding. Und Hoffburg, ja, Hoffburg wurde Journalist. Heute rührt kaum noch jemand eine Feder an, doch der Oberkellermeister bleibt in einem Lausen, so viel Bier m»d er hcranschleppen.--- r