Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 105.
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Mittwoch, den 1. Juni.
( Nachdruck verboten.)
Um die Freiheit.
1898
im Namen des Schultheißen Einlaß gefordert hatte. Nicht einmal Antwort hatte er erhalten. Jezt wartete er auf den Dorfschmied, nach dem er geschickt hatte. Was er von dem
Geschichtlicher Roman aus dem deutschen Bauernkriege 1525. Hörigen wollte, erriethen die Leute nur zu gut, und manchem
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mochte das geheime Bangen, gleich ihm über lang oder furz aus seiner Hofstelle gewiesen zu werden, das Herz zusammen schnüren. Das ganze Dorf fonnte es Hart bezeugen, daß er und sein Weib von früh bis spät in jedem Wind und Wetter sich geschunden hatten, um sich ehrlich zu erhalten. Und jetzt dennoch mitten im Winter erbarmungslos auf die Gasse geworfen!
"
Kennet Und tennet Ihr Euer Amt so wenig, daß Ihr nicht wisset, daß Ihr in den Dörfern nicht pfänden, noch sonst amtlich handeln dürfet, es sei denn, daß Ihr dem Gemeinderath Eure Vollmacht gewiesen habt?" Die Ruhe, mit welcher der Dorfmeister sprach, steifte den anderen noch mehr in seinem Hochmuth. Er pfeife auf den Gemeindevorstand und alle Dorfmeister der Welt.
Es war am Vortage der heiligen drei Könige, einem Donnerstage, da man schrieb das Jahr 1525. Troß des rauh-" Der Dorfmeister!" hieß es, und es war wie ein Auffeuchten Nebeltages hatte sich in dem Dorfe Ohrenbach vor athmen, als dieser von dem nahen Dorfplate herkam. Simon einer der ärmlichen Hütten eine große Menschenmenge ver- Neuffer stand in der Vollblüthe der ersten Dreißig. Er war sammelt und wich und wankte nicht. Das Dorf lag in nur mittelgroß von Wuchs, jedoch breit in Brust und waldreicher Umgebung zur Rechten der Heerstraße, die von Schultern, und der Hals trug den eckigen charaktervollen Rothenburg ob der Tauber gen Norden über die mittel- Kopf in freier Haltung. Nach der Bauernsitte, welche Bart und fränkische Hochebene zum Main führte. Eine undurchdring Stiefel dem Adel ließ, war das Gesicht rasirt und zeigte frei die liche Dornhecke umschloß das Dorf, und und auch der lange Oberlippe und den breiten Unterkiefer. Kluge braune Augen Friedhof war durch eine starke Mauer aus Feldsteinen beüberschauten die Menge. Er war erster Dorfmeister, wie festigt. Die Gassen liefen von dem Dorfplate bei der Kirche es sein Vater vor ihm gewesen, der als Wittwer im Altenfrumm und winkelig zwischen den Hofstätten der Bauern, den theil auf dem Gehöft des Sohnes saß. Holzhäusern und Lehmhütten der Hörigen und Tagelöhner Mit ihm kam Wieland der Schmied mit einem wuchtigen hin. Die Bauernhöfe bildeten nach fränkischer Sitte geschlossene Hammer auf der Schulter, der nach ihm gesandte Knecht des Vierecke, so daß man aus dem einstöckigen Wohnhause in die Amtsdieners mit Schwert und Sturmhaube, begleitete ihn. Ställe und Scheunen gelangen konnte, ohne daß man" Ihr habet einen Befehl des Herrn Schultheißen von den Fuß ins Freie zu setzen brauchte. Meistens waren Endsee, den Konz Hart aus der Pacht zu weisen?" fragte diese Vierecke jedoch weder gleichseitig noch recht Simon Neuffer den Amtsdiener. Zeiget ihn vor!" winkelig. Die Leibeigenen waren oft schlechter behaust Was fallt Euch ein?" rief jener erstaunt. als das Vieh der Bauern. Jedenfalls ließen die Wohnräume Ihr nicht den Stöckerlein von Endsee, den Erekutor?" an Reinlichkeit alles zu wünschen übrig, hatten doch Hühner, Enten, Schweine freien Zutritt zu ihnen. Innen gligerten Wände und Decken von Ruß; Rauchfänge gab es nur in den wenigsten Häusern, und wo solche vorhanden waren, be standen sie aus Brettern, die mit Lehm ausgekleidet waren. Seltener noch sah man Fenster aus Glas; ein dickes, ölgetränktes Papier vertrat dessen Stelle. Die Dächer waren vorwiegend mit Stroh gedeckt, das wärmer als Schindeln hielt, und auf den Firsten fehlte ebensowenig ein Storchnest, wie in den Grasgärten der Hollunder an der Scheunenwand. In den Grasgärten mit verkrüppelten Obst bäumen standen auch die plumpen Backöfen. Ueberall Spuren von Vernachlässigung, Verfall und Schmuß. Die Bauern Kreuz und Hagel," fluchte Meister Stöckerlein, das faßen in Erbpacht auf ihren vor Zeiten freien Höfen, die wollen wir doch sehen!" und er befahl dem Schmied, die verHörigen auf ihren wenigen Aeckern in Zeitpacht. Die Geschlechter schlossene. Thür mit Gewalt zu öffnen. Dieser jedoch, dem oder Ehrbaren von Rothenburg , in deren Händen ausschließlich das wirre Haar wie ein Storchnest um das berußte Gesicht das Regiment lag, waren bereits zu der Erkenntniß gedichen, stand, blickte fragend auf den Dorfmeister, und da dieser daß die Bestellung der Felder durch verdroßene, von den Vögten zur Arbeit getriebene Leibeigene viel geringere Erträge lieferte, als die Bewirthschaftung durch Zeitpächter, die scheinbar für sich selbst schafften. Die Stadt hatte deshalb auf ihrem Gebiete, das über sechs und eine halbe Geviert meile mit fünf und vierzig Dörfern umfaßte, ihre Hörigen zum größten Theil als Zeitpächter angesiedelt. Selbstverständlich Der Gerichtsdiener warf ihr einen bösen Blick zu, hielt mußten diese neben allen anderen Abgaben einen es aber dann, dem festen passiven Widerstand gegenüber, auf unverhältnißmäßig hohen Zins entrichten, so daß ihre den er stieß, für gerathener, das Begehren des Dorfmeisters Freiheit im Gegensatz zu derjenigen der Leibeigenen auf zu erfüllen. Mit einem wüthenden Schnaufen riß er das den Privatgütern der Stadtherren und den Besitzungen des amtliche Schreiben, das die Austreibung verfügte, aus seinem Adels und der Geistlichkeit in Wahrheit darin bestand, ver- Gürtel. Während Simon es bedächtig auseinander schlug hungern zu dürfen, wenn sie in Noth geriethen, ohne daß ihre und las, schaute ihm ein jüngerer Mann mit frausem Haar Herren sich um sie fümmerten. Da nun der Ackerbau die über die Schulter. Es war der Gemeindeschreiber Paul wirthschaftliche Hauptgrundlage der Zeit bildete, so mußten Jckelsamer, dessen Bruder Valentin lateinischer Schulmeister nicht nur diese Zeitpächter, sondern der ganze Bauernstand in Rothenburg war. die armen Leute, wie man sie nannte um so mehr bluten, je höher die Bedürfnisse und der Lurus der Herren stiegen.
Die elende Hütte, vor welcher die Ohrenbacher, Männer und Weiber, sich versammelt behatten, herbergte unter ihrem bemosten, schadhaften Strohdache den Hörigen Konz Hart. Das Haus war verschlossen, und der Mann, der vor demselben wie der Bendel einer Uhr hin und herging, erklärte das beklommene Schweigen, mit dem die Leute dastanden. Der Mann, der die auf ihn gerichteten Blicke mit dem Ausdrucke eines übel launigen Kettenhundes zurückgab, war ein Gerichts bote des Centamtes Endsee, zu dem dem Ohrenbach gehörte. Er hatte übrigens außer dem schlechten Wetter noch einen anderen Grund für seine bissige Laune. Denn es war ihm von Konz Hart nicht aufgethan worden, obgleich er!
Dann wird aus der Pfändung nix, und das Rügegericht nimmt Euch wegen Ungebühr gegen die Dorfoberkeit in Straf"", entschied Simon gelassen. Die Dorfgenossen aber gaben durch die Bewegung, die sich unter ihnen erhob, ihrem Oberhaupte ihre Zustimmung zu erkennen.
schwieg, so rührte er sich nicht. Zum Ueberflusse rief ihm noch seine Frau zu, ein hageres, starffnochiges Weib:„ Du thust's nicht, Jakob!" Zu den Dörflern sich wendend, fügte sie hinzu:„ Wenn Ihr Männer seid, dann dürft Ihr's nit leiden, daß der Konz mit Weib und Kindern wie ein Hund aus dem Haus gejagt wird."
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„ Um die Pfändung auszuführen, braucht's aber doch keine Gewalt nit," sagte Simon und gab Stöckerlein das Schriftstück, an dem nichts auszusehen war, zurück. Lasset den Konz in Ruh'! Er ist doch auch ein Mensch und ich will Euch Bürgschaft leisten, daß er bis morgen früh seine Kathe geräumt hat. Der Herr Schultheiß von Wernizer wird's zufrieden sein."
Aber der Exekutor fauchte:" Nix da, gleich muß er' raus. Sein Nachfolger will einziehen. Was? Seit länger als einem Jahr hat er den Pachtzins nit mehr zahlt, auch nit den Zehnten an die Kirche. Die Oberkeit und der Herr Pfarrer wollen auch leben."
„ Und wir können darüber verrecken", schrie es aus der
Menge.