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Jen Das Verge
Das Vergeffen.
( Nachdruck verboten.)
ftand überreichlich gemessene sechs Fuß hoch in seinen Bundschuhen und ein topfartiger Filzhut, den zwei Hahnenfedern schmückten, setzte seiner Länge nach ein Bedeutendes zu. Unter dem schmalen Hutrande streckte sich eine schlechtverheilte Narbe Im gewöhnlichen Leben gehört ein gutes Gedächtniß zu den bis zur Nasenwurzel hervor und setzte sich auf der rechten meistbewunderten Dingen, obschon es an sich noch durchaus nicht für Wange fort. Die Nase krümmte sich wie ein Geierschnabel eine besondere geistige Größe spricht und oft geradezu mit einem zwischen dunkelen runden Augen und unter ihr sträubte sich geringen Grad der sonstigen Fähigkeiten des Geistes verbunden ist, und obschon von wissenschaftlicher Seite behauptet wurde, daß das ein starker Schnurrbart. Ein kurz gehaltener Vollbart umEin kurz gehaltener Vollbart um schloß Wangen und Kinn. Diese Abweichung von der Bauern hier keine fachwissenschaftlichen Beiträge liefern, sondern auf einige Diese Abweichung von der Bauern- Bergessen eigentlich wunderbarer sei als die Erinnerung. Wir wollen fitte erklärte sich daraus, daß der lange Lienhart manche Reise praktische Bedeutungen des Gegenstandes hinweisen, die häufig überals Landsknecht gethan, bevor er in seinem nahen Heimathdorfe sehen werden. Schwarzenbronn von seiner Kriegsbeute einen Hof erstanden hatte. So gut wie alle Gerichtsverhandlungen sind von den GedächtnißEr war nicht nur groß, sondern auch starkfnochig und seinem leistungen derer abhängig, die da vernommen werden. Alle diese Gliederbau entsprach das mächtige Schwert an seiner Hüfte. Mit Betheiligten sind nicht nur in ihren Erinnerungsfähigkeiten überhaupt ihm kam ein etwa vierzigjähriger Mann in bürgerlicher Tracht, unter einander verschieden, sondern auch insbesondere in ihrem Verhältniß zu dem, woran sie sich erinnern sollen. Der eine hat mit dessen bartlofes Gesicht mit hervorstehenden Backenknochen den fraglichen Dingen berufsmäßig zu thun und bildet dafür in sich einen Ausdruck von Verbissenheit hatte. Er war ohne Wehr. ein Fach- und Berufsgedächtniß aus, der andere steht ihnen fern; Der lange Lienhart aus Schwarzenbronn mußte wohl unter der eine führt ein einfaches Leben mit geringem Verkehr und den Bauern ein bekannter und beliebter Mann sein. Denn spärlichen Ereignissen, der andere hat täglich Dußende von Menschen, er wurde bald hier, bald dort an die Tische gerufen und der Briefen, Zeitungen u. f. w. abzufertigen; der eine war bei der AnBecher ihm entgegengehalten. Er that jedem Bescheid und gelegenheit, um die sich's handelt, ganz eigens betheiligt, der andere seine Aeußerungen erregten jedesmal ein Lachen. Unter streift sie nur durch eine flüchtige Beziehung. Inmitten der täglichen solchen Umständen dauerte es eine Weile, bis er zu dem und im ganzen doch recht typischen Vorgänge bei einem Gericht liegt Tische gelangte, an dem der Dorfmeister von Ohrenbach mit es nun nahe, die einen Menschen wie die anderen zu behandeln, auf die Erinnerungen eines Fernstehenden gleichviel Gewicht zu legen wie seinen Freunden saß. auf die eines Sachkenners und auf die eines wenig beschäftigten Menschen gleichviel wie auf die eines viel beschäftigten.
" Sind lauter gute Freunde," bemerkte Simon, ihm die Hand schüttelnd. Aber Du kommst halt spät."
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Dafür hab' auch ich einen guten Freund mitgebracht, den Frizz Büttner aus Mergentheim ," erwiderte der lange Lienhart, sich niederlassend, und stampfte mit dem ihm zu nächst stehenden Becher auf den Tisch, um den Wirth herbeizurufen.
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Was Euch anliegt, das liegt auch mir an," fagte Frik Büttner bedeutsam. Simon hieß ihn willkommen und Mezler und Buchwalder nickten ihm zu.
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., Und jetzt, was schaffet Ihr, lieben Freunde?" fragte der Lange Lienhart, die Beine weit von sich streckend, nachdem der Wirth eine Kanne Wein und zwei Becher gebracht hatte. Wir tönnen wohl ungescheut reden, machen doch die Leut' einen Mordlärm, daß die Todten davon aufwachen könnten."
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Wir sprachen davon," erklärte Leonhard Megler,„ daß allerwärts Zeichen am Himmel geschehen, die darauf weisen, daß eine große Aenderung kommen wird. Ihr habet wohl auch davon gehört, daß am Rhein am lichten Mittag ein groß Getümmel und Krachen von Waffen in der Luft wie von einer Feldschlacht ist vernommen worden?"
Num tritt ein Zeuge oder Angeklagter oder Kläger vor Gericht, der entweder von der Angelegenheit nur wenig kennen gelernt oder den Eindruck von ihr mitten in einer Fluth von anderen Eindrücken bekommen hatte. Die blassen Erinnerungen eines solchen Ausfagenden reichen zur Ergründung des Falles nicht aus, und mun werden von den Führern der Verhandlung, dem Richter, Staatsanwalt, Vertheidiger u. s. w., mannigfache Mittel aufgeboten, um den verschiedenen Gedächtnissen nachzuhelfen. Welche nicht nur rohen, sondern auch unzweckmäßigen Mittel in früheren Zeiten einer„ peinlichen" Rechtspflege angewendet wurden, das erzählt uns die Geschichte; daß die moderne Rechspflege darüber hinaus ist und daß fie auch weit gelindere Beeinflussungen verbietet, wissen wir. Jnsbesondere find Suggestivfragen" verboten: Fragen, welche eine gewünschte Antwort bereits in sich enthalten und sie dadurch dem Gefragten wie einen Zwang auflegen.
Solche Mittel sind um so gefährlicher, als jeder vor Gericht Gefragte den Fragenden, insbesondere dem Richter, als einer Autorität gegenübersteht; und was Autoritäten für die meisten Menschen gelten, ist bekannt. Die geringe Erinnerung, die jemand an den fraglichen Fall hat, soll nun während der Verhandlung, inmitten des ganzen Apparats eines solchen Vorgangs, vervollkommnet Nehmen wir nun auch an, daß jene Suggestivfragen" " Dran! Dran!" rief der lange Lienhart, der eine tiefe, durchaus vermieden werden: wie weit können wir uns darauf verlassen, daß die Aenderungen, die jetzt in dem Gedächtniß des Gestarte Stimme hatte. Mich lüftet's längst, mein altes Eisen fragten vorgehen, nicht nur ihm die richtigen zu sein scheinen, sondern wieder einmal zu lüpfen. Wem meint Ihr, daß es gelten es auch wirklich find?
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werden.
foll? Den Pfaffen und Junkern allein? Das wär' gefehlt. Wenn wie uns bemühen, einen vergangenen Eindruck in uns Die schlimmsten, das sind die Deutschordensherren, deren wiederzuerweden, zu refonstruiren oder, technischer gesprochen, zu Hochmeister zu Mergentheim sigt wie eine Spinne, die ihr reproduziren, so ist das meistens meistens eine recht umständliche Neg übers ganze Reich gesponnen hat. Die sind Pfaffen und Sache. Wir beginnen etwa damit, daß wir uns irgend Ritter zugleich und drücken ihre Unterthanen doppelt.
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" Ja, das sind die schlimmsten", beträftigte Frizz Büttner. Darum sagen wir Deutschherrischen auch: Unterm Krummstab ist gut wohnen. Daß sich Gott erbarm'!"
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Loset", fiel der lange Lienhart ein. Statt der Heiden spießen sie Hafen, gebratene Kapaunen, Rebhühner, Enten." Kleider aus, Kleider an,
Essen, trinken, schlafen gan,
welche begleitenden Umstände jenes Eindrucks zurückrufen, und an diese suchen wir hinwieder das Bild des fraglichen Eindruds, das Ziel unserer Umwege anzuknüpfen. Aber schon beim Zurüdrufen dieser Begleitumstände begehen wir unvermeibliche Fehler, und ebenso ist das Anknüpfen daran abermals nichts Unfehlbares. Selbst erfahrene Kunstkenner wissen, wie schwer über ein Gemälde, das sie gesehen haben und nicht mehr wieder vor sich sehen, zu urtheilen ist. Noch mehr: nicht nur nach dem Empfangen jenes Eindruds leisten wir Unvollkommenes, sondern auch bereits während feines Empfangens. Wir sind im allgemeinen, soweit es Ist die Arbeit, so die deutschen Herren han." fich nicht um besonders ausgebildete Fähigkeiten handelt, schlechte Nu, ist das nicht Mühsal genug für so einen schwarzen und haben doch auf die Form seiner Stirne oder die Farbe feiner Beobachter. Wir sehen einen Bekannten ungezählte Male vor uns Streuzträger?" spöttelte Kaspar und seine Baſe lachte. Fri Augen niemals recht acht gegeben; da braucht nicht erst das GeBüttner warf ihr einen unfreundlichen Blick zu und knirschte, dächtniß nachlaffen, damit wir es nicht wissen. 28ir sind aber nicht den eben ergriffenen Becher so start wieder hinstellend, daß nur schlechte Beobachter, sondern auch schlechte Beschreiber; wir der Wein auf den Tisch floß: Verwichenen Juni haben Sie sollen fagen, wie eine Sache ist oder war, und mun vermischen mir mit ihren Pferden, Hunden und Jägerburschen ein Korn- wir unsere Kritik der Sache, unsere Wünsche u. f. w. mit feld in Grund und Boden gestampft. Und nicht blos mir den Thatsachen, nach denen man uns fragt, auch wenn es sich allein. Aber wir müssen es leiden, sind wir doch hörige Leute. Unsere Frucht- und Krautäder achten sie als Alesung für ihr Wild, das sie über die Maßen hegen, und greift einer zum Knüppel oder gar zum Handrohr, um es zu scheuchen: in den Thurm mit ihm und da mag er verfaulen!"
Lautner erblaßte, so daß Käthe ihn erschreckt fragte, was ihm fehle? Seine Brust wogte, er wollte sprechen; allein Kaspar tam ihm zuvor. Des Mädchens achtete er nicht. ( Fortsetzung folgt.)
nicht um Parteilichkeit handelt. Der Untersuchende hat bekanntlich gerade gegenüber diesen subjektiven Verfälschungen, diefem Hineinsehen des Gedachten in die Erinnerung, einen besonders schweren Stand. Ist all dies schon dann ein heilles Ding, wenn der Gefragte fich selber überlassen wird, so ist es erst recht ein solches, wenn irgend ein anderer in seine Erinnerung eingreift. Die meisten gerichtlichen Aussagen werden unter Eid abgegeben. Das mag nun ein der Wahrheit Mittel gegen absichtliche Verfälschungen fein; ob aber auch gegen unabsichtliche, ist eine andere Frage. Es tann geschehen, daß der dem feierlichen Eid entgegengebrachte Res spekt geradezu verwirrend wirkt; und es tann geschehen, daß jemand diese Möglichkeit durch Bedrängung des Gefragten ausnügt. Es lann aber ferner auch geschehen, daß jemand für die Unvoll