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Kleines Feuilleton.
tommenheiten, die jeder Erinnerung anhaften, den Gefragten verantwortlich macht und ihn unter den Verdacht des Meineides oder selbst nur des fahrlässigen Falscheides" bringt. Daß -W.- Unter Frauen. Die Sonne leuchtet durch die weißen jemand sich einer Einzelheit, z. B. eines Besuches auf seinem Vorhänge. Von den hellen Mauern der Nebengebäude zurückBureau, nicht erinnert, kann einem und vielen anderen so unglaublich geworfen, dringt sie noch so start herein, daß sie die Mädchen blendet. erscheinen, daß der böseste Erklärungsgrund der nächstliegende ist. Sie ſizen in einer Reihe an dem Brett, das sich durch das ganze Dazu kommt dann noch besonders die Schwierigkeit der Aufgabe, Bimmer zieht. Auf die weiße Pappe, die von einigen zerschnitten, ,, nichts zu verschweigen". Es ist schon schwer, immer genügend aus- von andern geklebt wird, prallt der gedämpfte und doch glizernde einanderzuhalten, was zur Sache gehört, und was nicht dazu gehört, Sonnenschein. Auch der weiße Sammet und die Holzklöße, die in was also mit Recht unerwähnt bleiben darf; das Zusammenwirken die fertigen Schachteln hineingesetzt werden, leuchten grell. Die dieser Schwierigkeit mit all den Unvollkommenheiten des Gedächt- Mädchen arbeiten still, mit schlaffen Gliedern. Die fertigen Schachteln nisses und außerdem mit falschen Folgerungen, die der Untersuchende stellen sie geräuschlos in das Regal, das sich an den Wänden entlang aus allem Gehörten, zumal aus irgend einer im Gewissensdrang zieht. Wenn sie den Leim, der auf einer kleinen Gasflamme einbekannten, aber ganz unschuldigen Einzelheit ziehen mag, ergiebt siedet, gebraucht haben, schieben sie den Topf weit von sich. eine unübersehbar verwickelte Gefahr.
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Ferner sind nicht nur verschiedene Individuen in ihren Gedächtniß leistungen verschieden, sondern auch ein und dasselbe Individuum ist es zu verschiedenen Zeiten. Erstens aus dem ganz äußerlichen Grund, weil man zu einer späteren Zeit irgend einen wichtigen Punkt erfahren haben kann, der vorher in der Kenntniß fehlte eine für alle Meineidsfragen besonders zu berücksichtigende Sache. Zweitens aber ändert sich der Mensch von Augenblick zu Augenblick überhaupt, und mit seinem Gesammtzustand ändern sich auch speziell seine Erinnerungen. Die nächste forensische Anwendung dieser Einsicht ist die Warnung, Widersprüche zwischen den Aussagen eines Individuums einerseits bei der Voruntersuchung, andererseits bei der Hauptverhandlung nicht von vornherein der Schuld des Angeklagten oder Verdächtigten zazurechnen, sondern dem, was sich inzwischen nach vielen Seiten geändert hat. Selbst ein Wechsel in der Person des verhörenden Richters, sogar in dem den Gefragten umgebenden ,, Apparat" tamu umso eingreifender wirken, als den stetig fluftuirenden, gleichsam sich fort und fort wie Wolken verwandelnden Seelenvorgängen des Gefragten die Person des Nichters und das Gauze jenes Apparats als etwas Festes gegenüberstehen, dem das Bewegliche sich mehr oder minder leicht und oft unglaublich schnell an schmiegt.
Im Gegensatz zur Theorie, die in erster Linie mit dem Sicherinnern und erst in zweiter mit dem Vergessen zu thun bekommt, steht der Praxis dieses näher als jenes. Ein solcher Vertreter der Praris, wie es der eine Untersuchung führende Richter ist, sollte den Fall, daß jemand etwas vergessen hat, immer als den näher liegenden, nicht sofort zu verdächtigenden und zu korrigirenden" betrachten; das fortdauernde und genügend treue Erinnern ist ein ausgezeichneter und nicht sofort von jedem vorauszusetzender Fall. Auch wenn das Gedächtniß fast alle Anforderungen erfüllt, die man an dasselbe zu stellen pflegt; wenn es rasch d. h. aufnehmend, umfassend, vielseitig, dauerhaft und treu ist, so fehlt auch noch die eine entscheidende Eigenschaft, gleichsam der Schlüssel zu allen übrigen, das ist feine, Dienstbarkeit", also sein Bereitstehen auf den Wink unseres Willens.
In der Ecke sitt ein kleines, hageres Mädchen. Sie hat den großen, fragenden Blick der Unzufriedenen, Sehnsüchtigen. Aber ihre Sehnsucht scheint sie nur anzufeuern, nicht zu lähmen, wie es sonst den Sehnsüchtigen geht. Sie arbeitet am flinksten. Ihre langen, trockenen Finger huschen über die Pappe, den Sammt und die Klöße, in den Leimtopf; eine fertige Schachtel fliegt auf das Brett, wo sie trocknen soll. Wenn sie ein Dutzend fertig hat, schreit sie:„ Das zehnte Dutzend ist fertig!.. Das elfte Das zwölfte!" und mm singt sie sogar: Nach Sibirien muß ich jetzt reisen, muß verlassen die blühende Welt." Die Andern wollen eben mitfingen, da geht die Thür nach dem Versandraum auf. Eine start aufgeputzte Frau kommt herein. Mit der groben Schönheit der allzu leppigen prahlt sie bei allen Bewegungen. Run, fingen Sie schon wieder! Immer fir, fir! Sie müssen Ihre Schachteln noch heute liefern," meinte sie ärgerlich. Die Hauptsache is doch, det wir die Sachen fertig kriegen. Wenn wir'n bisken singen, na, det schad't ja woll nischt!" antwortet die Hagere.„ Die Arbeit ist genug Unterhaltung!" verweist die leppige. Die Hagere lächelt und arbeitet im selben Tempo weiter. leppige geht zur Vorarbeiterin, die der Hageren gegenübersißt. Freundlich sagt sie: Nun, Sie haben wohl Jhre liebe Noth. Ja, ja.. es ist ein Jammer, wenn man mit solchen ungebildeten Mädels umgehen muß... Nicht ein bischen Tattgefühl haben sie."
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Die Vorarbeiterin antwortet nicht, sie lächelt mur. Die Hagere bricht aber plößlich los:„ Na, Sie denken wohl, Sie haben Tatt gefühl? Noch lange nicht! Ein gebildeter Mensch spricht nicht in der Gegenwart anderer von Ungebildeten! Ja, ja! Ich kann auch fein sprechen. Und wer sind Sie denn eigentlich? Sie waren ja auch so ein ungebildetes Mädel!"
Die Ueppige bekommt einen dicken Kopf: Sie dumme Jöhre! Bringen Sie et man erst so weit, wie id! Jd habe mir aber selber jebildet!"
Och ja, mit der Sprache?! Die Hagere lacht heifer. Sie haben ja auch am Leintopf gesessen. Und wodurch Sie Frau Chefin geworden sind, wissen wir ,, Sie infamiget Ding.
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Aber Paula!" flingt eine fanfte Stimme von der Thür her. Sie wendet sich nach ihrem Mann um, der ruhig sagt:„ Die Sachen müssen doch bis heute Abend fertig sein..."
Sie geht mit einem Achselzucken hinaus, während der verwachsene Mann ärgerlich und niedergeschlagen die Thür schließt, und die Hagere weiter fingt."
Endlich aber tritt den Erinnerungsunterschieden zwischen verschiedenen Individuen noch ein Unterschied in der sozusagen forensischen Geriebenheit" zur Seite. Auch abgesehen von Betrügerei ist es sehr wichtig, ob jemand feine Aussagen in der positiven Weise des naiven Menschen abgiebt oder aber in der gewundenen Form des Kenners aller hier zu beachtenden Schwierigkeiten. Als vorzüglich interessant wird dabei die Art und Weise bezeichnet, mit der sich ein Richter selbst, z. B. bei einer t. Der Kaffeeverbrauch der Welt wird in einem Aufsatz des Meineidsverhandlung, vernehmen läßt; wer so wie er alle heillen italienischen„ Economista" behandelt. Angesichts der vielen KaffeeSeiten der Sache femmt, wird auch wohl wissen, wie er sich aus- häuser und Staffeeschwestern bei uns zu Lande sollte man es taum zudrücken hat. Er tennt jedes Benn und Aber. Ihm gegenüber glauben, daß der Verbrauch von Kaffee in ganz Europa hinter steht meistens einer aus der Mehrzahl von Menschen, die das nicht bem in den Vereinigten Staaten allein zurückblieb. Das fennt, die ganz dogmatisch Ja und Nein zu sagen pflegt. Wie leicht war auch nicht immer so. 1896 vertranken Europa 5 823 000 da der Erfahrene den Unerfahrenen hineinlegen" tann, ist nicht Zentner Kaffee, die Vereinigten Staaten nur 5 357 600 Bentner. schwer abzusehen.- Im vorigen Jahre dagegen haben sich die Yankees sehr ins Beug gelegt und nicht weniger als 6 363 400 gentner verbraucht, während es die gesammten Europäer, troz vermehrter Bemühungen, nur bis auf 6 103 000 Zentner brachten. In Europa steht in dem Verbrauche der köstlichen Bohnenfrucht Deutschland an erster Stelle mit einem Konsum von 2 727 800 Zentnern; ob das an der Veranstaltung besonders vieler Staffeeklatsche liegt, verschweigt die Statistit. Das zweite Land, Frankreich , bleibt dagegen schon erheblich zurück und hat es 1897 nur auf 1546 200 Bentner gebracht. In England wurden nur 248 400 Zentner verbraucht, etwa ebensoviel in
Wir haben es hier absichtlich vermieden, den Leser an psychologische Einzelheiten zu binden. Doch müssen wir wenigstens hinweisen auf die gerade in den letzten Jahren vielerörterten Fälle von Bewußtseinsstörungen", wie man fie furzweg nennt. Eine That, in bestimmten frankhaften oder auch in hypnothischen Zuständen begangen, hinterläßt im normalen Zustand. teine Erinnerung, und umgekehrt fann etwas, das im normalen Zustand geschehen war, später in einem jener abnormen Zustände aus dem Gedächtniß geschwunden sein. Werden schon solche Fälle vor Gericht oft nicht genug gewürdigt, so fehlt erst recht die Achtsamkeit auf die Folgerungen, welche die Lehre von diesen Dingen inbezug auf stetige Uebergänge zwischen dem Normalen und dem Abnormen ziehen konnte. Gerade die Fälle eines theilweisen Vergessens find die allerheitelsten.
Wer sich über diese Dinge näher unterrichten will, wird ohnehin zu berläßlichen eingehenderen Darstellungen aus der Fachwissenschaft greifen. Für unsern jezigen Zwed genügt folgende Busammenfaffung. Das Gedächtniß ist kein Taubenschlag noch auch ein Sammelfasten; die Erinnerungen fönnen nicht so, wie sie hineingefommen, und oft gar nicht daraus hervorgeholt werden. Sie find den Einbrüden, denen fie entstammen, nicht gleich, sondern mur ähnlich, und diese Aehnlichkeit verringert sich, insbesondere durch das„ Verblassen" der Erinnerungen, durchschnittlich mit der Zeit immer mehr. Besondere Anlagen und Umstände tönnen dies noch bis ins Aeußerste verschlimmern und können andererseits weit bessere Leistungen hervor bringen; aber gerade diese günstigen Fälle verdienen unsere Berwunderung viel mehr als jene ungünstigen.— H. S.
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Musik.
-er- Sommer- Oper im Theater des Westens . Mit einer für Berlin neuen Oper eröffnete Direktor Morwis am Sonntag eine drei Monate währende Spielzeit. Aus seiner Novelle Die schwarze Kaschta" hat Victor Blüthgen ein Opernbuch herausgezimmert, und Herr Georg Jarno schrieb dazu eine Mufit, die uns für die Belesenheit ihres Autors in den ergiebigen Bartituren Meyerbeer's , Wagner's und Mascagni's ausreichende Garantien giebt. Die Aufführung gereichte dem heurigen Ensemble des Direktors Morwis zur Ehre. Der Mezzosopranstimme der Frl. Göttlich( Kaschka) wohnt besonders in den tiefen und mittleren Lagen ausgiebiger Wohllaut inne; in das hohe Register mischen sich allerlei widerstrebende, trüb herbe Elemente. In schauspielerischer Hinsicht schienen manche Momente von einer hoch poetischen Natur getragen. Herrn Schrötter's( Peter) Tenor bewährte sich besonders in hoher Lage, deren Erzeugung