Anterhaltungsblatt des Horwärls Nr. 163. Sonntag, den 21. August. 1898 (Nachdruck ü-rtotsa) 591 Mm die Fveiheik. Geschichtlicher Roman aus dem deutschen   Bauernkriege 1325. Von Robert Schweichs l. Vor Thau und Tag war er auf dem Wege nach Heil- bronn. Er erreichte es ohne Fährlichkeiten, wenngleich häufig aufgehalten. Denn in allen Dörfern, durch die er kam, wurde er einem scharfen Ausfragen unterworfen über das Wer. Woher, Wohin? Der Anblick des weiten, an Wein und Korn reichen Thales. in dem Heilbronn   liegt, verscheuchte die düsteren Bilder so mancher Brandruinen wie der der Weibertreu, als er, gleich hinter Weinsberg   links abbiegend. nun zwischen goldig flimmernden Rebenhügeln gegen die Stadt hinunterritt. Wendel Hipler   erwartete ihn bereits in der Herberge zum Falken, wo ihn Max unter Papieren vergraben fand. Es war die erste Begegnung beider in ihrem Leben. Prüfend schauten sie einander in die Augen und dann reichten sie sich gleichzeitig die Rechte und ein kräftiger Händedruck bezeugte ihr gegenseitiges Vertrauen. So, wie Jhu   da vor mir steht, habe ich mir, nicht Eure Züge, wohl aber den inneren Menschen, der aus ihnen spricht und den ich ja schon aus Euren Briefen an Florian Geyer  und aus Eurer Antwort auf meine Einladung kenne, vor- gestellt," sprach der Kanzler mit Wärme und nöthigte Max, sich zu ihm zu setzen, worauf er fortfuhr:..Und nun, lieber Doktor, erzählet mir. wie die Dinge in Rothenburg   aus- schauen. Der Monzingen   hat mich schon seit längerer Zeit ohne Nachrichten gelassen." Max Eberhard berichtete so unparteiisch wie möglich über die Vorgänge in seiner Vaterstadt. Hipler. der ihm auf- merksam zuhörte, äußerte, als er schwieg, mit einem Seufzer: Es ist ein Unglück, daß der Blick dieser freien Städte nicht über ihre Ringmauern hinausgeht. Sie gleichen den Austern in der Schale. Die ganze Welt draußen mag zu gründe gehen, wenn nur ihr eigenes Ich unbeschädigt erhalten bleibt. Aber wir wollen ihre Schalen aufbrechen; sie müssen sich in das Ganze einfügen. Sftur so kann der unseligen Zerstückelung des Reiches durch den Egoismus ein Ende gemacht werden." Verzeihet mir die Bemerkung, Herr Kanzler," äußerte Max.Habet Ihr der Zerstückelung nicht selbst einen Vor- schub geleistet, indem Ihr den Götz von Berlichingen   zum obersten Hauptmann der Odenwäldler und Neckarthaler wählen ließet, während die Wahl Florian Geyer's   die damals zu Weinsberg   versammelten Heerhaufen der Bauern zusammen- gekittet haben würde?" Scheinbar habet Ihr recht," nickte Hipler   ihm zu.Aber es brauchte eines Mannes, der den Feinden Vertrauen einflößt und sich einer gewissen Beliebtheit bei den Bauern erfreut. Diesen Anforderungen entsprach der Götz. Persönlich schätze ich keinen Mann höher als den Ritter Florian, und auch ein bewährter Kriegsmann ist er. Allein die Bauern kennen ihn nicht und bei ihrem Hasse gegen den Adel würden sie ihn nicht als obersten Hauptmann angenommen haben. Ich durfte es wagen, den Götz ihm vorzuziehen, weil ich gewiß weiß, daß Geyer der Sache der Freiheit seine Person bereitwillig unterordnet. Um der Freiheit willen wird er selbst seine moralische Geringschätzung des Ritters mit der eisernen Hand schweigen heißen. Darin bin ich mit ihm einverstanden, daß in dem neuen Reiche, das wir aufrichten wollen, die Standesunterschiede aufhören müsien. Aber man darf ihnen nicht mit Gewalt ein Ende machen; man muß sie allmälig absterben lassen." Und wie wollet Ihr dies zu Wege bringen?" fragte Max gespannt. Ich will's Euch andeuten," erwiderte Wendel Hipler   mit einem leisen Lächeln.Denn ich bin sicher, daß Ihr mich alsdann um so nachdrücklicher bei den Berathungen über die neue Reichs- ordnung, die morgen ihren Anfang nehmen sollen, unterstützen werdet. Die bei Würzburg   jetzt lagernden ostftänkischen Haufen haben zu diesem Behnfe zwei Abgeordnete geschickt, Bauern zwar, aber mit großer Erfahrung und mit einem ungewöhn- lichen Verstände begabt. Es bewahrheitet sich auch hier wieder. I daß in Zeiten großer Bewegung sich stets die geeigneten be- deutenden Männer heranbilden. Run wohl; den Neckar   ver» tritt Hans Berle von hier, ein feiner politischer Kopf. Aus dem schwäbischen Oberlande sind keine Abgeordneten eingetroffen. Sie können keinen Mann entbehren, wie sie schreiben, da der Truchseß von Waldburg   sich gegen sie zu wenden scheine. Sie haben es aber nicht bei einer Entschuldigung bewenden lassen, sondern allerlei Vorschläge für die neue Reichs- ordnung eingesandt. Die fränkischen Haufen haben dasselbe gethan. Schauet diesen Haufen Geschriften! Es ist manches Brauchbare darunter. Ich werde sie morgen vor- legen und darüber berichten. Das beste ist unstreitig ein aus die zwölf Artikel gestützter Entwurf meines Freundes Weigand, des Amtskeller von Miltenberg  . Doch das Reden trocknet die Kehle aus. Entschuldigt mich einen Augenblick." Einen Glockenzug oder eine andere Vorrichtung,� um einen dienstbaren Geist herbeizulocken, gab es in der Stube nicht, wie solche damals überhaupt in den Zimmern der Gast- Höfe fehlten. Die Zimmer dienten nur zur Nachtruhe. Wendel Hipler   machte sich daher selbst auf die Suche nach einem Auf- Wärter. Es dauerte eine ziemliche Weile, bis er einen solchen fand, und wieder verfloß eine geraume Zeit, bis derselbe. mürrisch, in seiner anderweitigen Arbeit gestört worden zu sein, Wein und Becher brachte. Wendel Hipler   erzählte unter- deffen seinem jungen Freunde von Weigand, seiner schrift- stellerischen Thätigkeit für die Bewegung und seiner geistigen Bedeutung. Nachdem er dann die Becher mit einem guten Neckarwein gefüllt, mit Max angestoßen und beide getrunken hatten, nahm er wieder das Wort in folgender Weffe: Um also auf unseren Gegenstand zurückzukommen! Aus welchen Quellen strömt die große Macht der Geistlichkeit, der Fürsten   und des Adels, wenn nicht aus ihren Einkünften aus den indirekten Steuern, den Zöllen, Geleiten und der Gerichts- Herrschaft. Wohlan, diese Quellen hören im neugeordneten Reiche zu fließen auf. Es wird keine Zölle und Geleite mehr geben, noch Umgeld, außer den Zöllen, welche erforderlich sind, um Brücken. Wege und Stege zu unterhalten. Alle Straßen werden frei sein. Dazu soll fortan alles weltliche Recht, das bisher im Reiche gebraucht wurde, ab und todt sein und das göttliche und natürliche Recht allein gelten. damit der arme Mann so viel Zugang zum Recht habe, als der Oberste und Reichste. Nach diesem Rechte sind auch alle Städte und Gemeinden zu reformiren und alle Bodenzinse ablösbar. Erwäget Ihr dieses alles Punkt für Punkt, so werdet Ihr mir zugeben, daß damit die Prälaten zu einsachen Predigern, die Fürsten   und Herren zu größeren oder kleineren Grundbesitzern, die Patrizier zu ein- fachen Bürgern werden und zwar alle unter einem Haupte, dem Kaiser, dem keine andere Steuer als alle zehn Jahre einmal die Kaisersteuer entrichtet wird. Das neue Reich wird nur aus lauter Freien und Gleichen bestehen." Das ist in der That unbestreitbar," rief Max lebhast. Ihr merket schon, daß ich den römischen Juristen, die Ihr ja nicht sonderlich liebt, obgleich Ihr auch einer seid, dabei an den Kragen gehe," fuhr Hipler fort.Eine Reform des Rechts und der Gerichte, so wie deren Verfahren ist ohne dem nicht denkbar. Daher verlange ich, daß kein Doktor des römischen Rechts zu einem Gericht oder in eines Fürsten Rath zugelassen werde. Es soll überhaupt an jeder Universität nur drei Doktoren das Recht geben, um sie vorkommenden Falles zu Rathe ziehen zu können. Dasselbe ist von den Geistlichen zu fordern. Kein Geweihter, hohen oder niederen Standes, darf in des Reiches Rath sitzen oder als anderer Fürsten   und Gemeinden Rath gebraucht werden; keiner kann ein weltliches Amt bekleiden." Dazu sage ich von ganzem Herzen Ja und Amen." sprach Max mit glänzenden Augen. Nun aber die Fundamente! Alle Geweihten hohen und niederen Standes und Namens werden resormirt und erhalten ziemliche Nothdurft; ihre Güter fallen zu gemeinem Nutzen. Auch alle weltlichen Herren iverden resormirt, damit der arme Mann nicht über christliche Freiheit beschwert werde. Gleiches, schleuniges Recht, ich wiederhole es, dem Höchsten wie dem Geringsten. Gegen ein ehrlich Einkommen sollen Fürsten   und Edle die Annen schützen und sich brüderlich halten, und da- mit sie fürder nit schaden können, sind alle Bündnisse der