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wegen des weiteren an den Leutinger: Und ist vergönn'| Unwiffenheit, Ausbeutung und Gesetzgebung Unterdrückten und mir ein vertraulich Wörtlein, Hauptmann Geyer," bat dieser. ihre Erhebung auf die Höhe des allgemeinen Menschen­der Freiheit und Gleichheit alles dessen, Kaspar schob Florian einen Stuhl an das Bett und folgte thums, Und Menschenantlig trägt. der schwarzen Hofmännin aus der Kammer. niemand hat dies schöner und " Versprich mir, Hauptmann, daß Du es nit übel aus- an den Uebersetzer seines Romans ins Italienische, Herrn Daelli in wirkungsvoller dargelegt als der Dichter selber in einem Briefe Tegen willst, was ich Dir sagen möchte," begann Simon. Es Mailand . Dieser Brief lautet: liegt mir schon lang auf dem Herzen; aber izt, wo der Sturm verunglückt ist, muß es heraus."

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Was zum allgemeinen Besten dienen soll, mag mir immerhin bitter schmecken, das thut nichts," erwiderte Florian Geyer , der sich unterdessen gesetzt hatte. Also sprich frei von der Leber weg!"

" Schau, das Unglück in der verwichenen Nacht wär' nimmer geschehen, wenn Dich der Ausschuß nit weggeschickt hätte." ,, Du willst doch nicht etwa sagen, daß die Hauptleute den Sturm vorher geplant hatten und ich absichtlich nach Rothen­ burg geschickt wurde, weil sie meinen Widerspruch gegen ein so thörichtes Unternehmen befürchteten?" fragte Florian Geyer mit großen Augen.

" Das just nicht; aber sie wollten damit nit warten, bis Du zurückkamst. Schau, es glaubt halt jeder die Sach' ebenso gut zu verstehn wie Du. Sie sind halt eifersüchtig auf Dich. Weil sie ein Ansehen unter den Bauern gewonnen haben, so möchte jeder in allen Stücken der Erste sein, und Neid und Ehrgeiz fressen an ihren Herzen und Du stehst ihnen im Wege."

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Hauteville- House, den 18. Oktober 1862. Sie haben recht, mein Herr, wenn Sie mir sagen, das Buch Die Armen und Elenden" sei für alle Völker geschrieben. aber habe ich es für alle. Es wendet sich an England so gut wie Ich weiß nicht, ob es von allen gelesen werden wird, geschrieben an Spanien , an Italien so gut wie an Frankreich , an Deutschland so gut wie an Irland, sowohl an die Republiken, wo Sklaven ges halten werden, als auch an die Monarchien, wo es Leibeigene giebt. Die Schwären der Menschheit, die großen Schwären, die den Erdball bedecken, halten nicht inne vor den blauen und rothen Strichen der Landiarten. Ueberall, wo der Mann in Unwissenheit und Verzweiflung schmachtet; überall, wo das Weib sich verkauft, und des wärmenden Herdes ermangelt, flopft das Buch" Die um Brot zu haben; überall, wo das Kind des lehrreichen Buches men und Elenden" an die Thür und sagt:" Macht mir auf, ich bringe Euch etwas.

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In der noch so trüben Periode der Zivilisation, die wir gegenwärtig durchmachen, bedeutet der Elende" und der Mensch dasselbe; er leidet unter allen Himmelsstrichen und klagt in allen Sprachen.

reich. Ihr schönes Italien trägt auf seinem Antlig alle Arten von, Ihr Italien ist so wenig von dem Uebel frei, wie unser Frank­Elend. Haust das Banditenthum, eine wilde Abart des Pauperismus, ,, Darum möcht' ich sie nicht schelten, Bruder Neuffer; nicht in Ihren Bergen? Wenige Nationen sind von den Eiter­denn das ist nur menschlich," entgegnete Florian Geyer mit beulen des Mönchthums so furchtbar zerfressen, wie Ihr Land. Ruhe. So lange ihre Herren ihnen das Mark aus den Trotz Rom , Mailand , Neapel , Palermo , Turin , Florenz , Siena , Knochen quetschten und sie wie das Vieh behandelten, wie Pisa , Mantua , Bologna , Ferrara , Genua , Venedig , trotz Eurer ruhm hätten sie sich da als Menschen fühlen sollen? Jezt erwacht vollen Geschichte, trop Eurer imposanten Ruinen, prachtvollen Dent­der Mensch in ihnen und sie wollen daher nicht minder mäler, stolzen Städte, seid Ihr Nothleidende wie wir. Wunder­gelten als diejenigen, zu denen sie früher aus ihrer Ent- werke und Ungeziefer. Gewiß ist Italiens Sonne über alle Begriffe würdigung mit fnechtischer Furcht und Erbitterung auf- herrlich, aber ach! unter dem schönen blauen Himmelsdom wandeln schauten. Wir wollen uns dessen freuen; denn die Freiheit Menschen in Lumpen. Bei Euch wie bei uns herrschen Vorurtheile, Aberglaube, gedeiht nicht, wenn der Mensch ohne Selbstgefühl ist. Ueber- Thyrannei, Fanatismus, blinde Gesetze, die sich zu helfershelfern heben sie sich in ihrem gährenden Freiheitsdrang, nun so wird der Unwissenheit hergeben. Ihr könnt nie die Gegenwart und der Most sich schon klären. Schlimm wäre es, wenn sie meinen Zukunft genießen, ohne daß der bittere Nachgeschmack der Ver­ehrlichen Absichten mißtrauten." gangenheit Euch die Freude verdirbt. Die soziale Frage lautet für Euch ebenso, wie für uns. Es sterben bei Euch weniger Leute Hungers und mehr an der Malaria; Eure soziale Hygiene ist nicht weiter vorgeschritten als unsere; ist der Obsturantismus in England protestantisch, so ist er in Italien katholisch, aber trotz der Ver­schiedenheit der Benennungen ist der vescovo identisch mit dem bishop. Die Bibel schlecht erklären oder das Evangelium falsch verstehen, kommt auf eins heraus.

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Nein, nein, das thun sie nicht," versicherte Simon leb­haft. Aber diese Eifersüchteleien zernagen die Einigkeit und daran scheitern die besten Rathschläge. Wir verpassen die günstigen Gelegenheiten und stärken damit bloß die Feinde. Das kann und darf nit so fortgehen. Einer, der einen starten Willen hat, muß sie zum allgemeinen Besten zwingen. Und der wärest Du, Hauptmann Geyer. Wenn Du im Ausschuß an Dein Schwert schlägst, sie werden murren, aber Du sollst sehen, sie gehorchen." ( Fortsetzung folgt.)

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Die Armen und Elenden.

In der Weltliteratur giebt es nur wenige Bücher, die ihren Werth und ihren erzieherischen Einfluß über die Zeitperiode hinaus behalten, in welcher und für welche sie geschrieben sind. Dichter und Schriftsteller, die von der Mitwelt bewundert wurden, ruhen vergessen und verschollen auf dem großen Friedhofe der Literatur. Aber die Sprüche Salomo's wie die Berpgredigt, Homer's Helden­gefänge wie Betrarta's Liebesflagen, Shakespeare's Dramen und Goethe's " Faust" werden wie des Helden Don Quixote Jerfahrten und Abenteuer erst in kommenden Zeiten Gemeingut der Menschheit werden, wie fie bisher leider nur Gemeingut nur Gemeingut einer Winderheit waren. Und warum? Weil sie uns die Goldader des Allgemein Menschlichen bloßgelegt haben: des Menschen Lust und Leid, sein Lieben und Hassen, sein Fühlen und Denken, sein Hoffen und Kämpfen ist es, was in diefen Schöpfungen die Jahrhunderte überdauert; wo der Dichter nur den Einzelmenschen, mur die Kämpfe und Gedanken und Gefühle einzelner Menschen uns schildert, da bergehen seine Werke mit den Kämpfen und Anschauungen der Zeit­perioden, die sie schildern, denen sie dienen.

Und ganz besonders gilt das von der jüngsten Kunstform der Dichtung: dem Roman, vor allem dem Tendengroman. Victor Hugo's Roman, Die Armen und Glenden"*) ist ein solcher; sehen wir von den Partien ab, in denen der Dichter historische Vorkommnisse( z. B. die Schlacht von Waterloo, das Julitönigthum, die Julirevolution) schildert, so haben wir es mit einem Roman zu thun, der im Rahmen einer engbegrenzten Zeit den Kampf führt für die Erziehung und Befreiung aller durch Armuth,

Soll ich noch mehr Beweise bringen, noch vollständiger diese schaurige Uebereinstimmung erläutern? Habt Ihr keine Bedürftigen? Blickt nach unten. Keine Schmarozer? Seht nach oben. Bittert nicht vor Euren Augen wie vor den unsrigen die grauenvolle Waage, auf der sich der Pauperismus und das Schmarogerthum ein so leidenvolles Gleichgewicht halten?

Wo ist Eure Armee von Schulmeistern, die einzige Armee, die der Zivilisation gefällt? Wo find Eure unentgeltlichen und obligatoris schen Schulen? Kann in dem Vaterlande Dante's mud Michelangelo's jedermann lesen? Habt Ihr aus Euren Kasernen Prytaneen ge= macht? Habt Ihr nicht wie wir ein großes Kriegs- und ein lächer­lich winziges Unterrichtsbudget? Habt nicht auch Ihr den passiven Gehorsam, der so leicht soldatischen Charakter annimmt? Sabt Ihr nicht einen Militarismus, der so konsequent ist, auf Garibaldi zu schießen, d. h. auf die Fleisch gewordene Ehre Italiens ? Unter­ziehen wir Eure Gesellschaftsordnung einer Prüfung; fehen wir zu, was sie in bezug auf die Hauptsache, die Fürsorge für das Weib und das Kind, leistet. Nach dem Quantum Schutz, den sie diesen beiden schwachen Wesen angedeihen läßt, mißt man den Werth einer Zivilisation. Ist nun die Prostitution weniger grauenerregend in Neapel wie in Paris ? Welches Quantum Wahrheit ist in Euren Gesetzen enthalten, und wieviel Gerechtigkeit spenden Eure Gerichtshöfe? Seid Ihr etwa so glüdlich nicht zu wissen, was die fürchterlichen Wörter: Vindicta, Ehrlosigkeitserklärung, Buchthaus, Schaffot, Henker, Todesstrafe bedeuten? Sehen wir ferner zu, wie es mit den Prinzipien, Eures Staatswesens steht. Habt Ihr eine Regierung, die begreift, daß Moral und Politik identisch find? Es kommt bei Euch vor, daß Helden eine Amnestie gewährt wird!

In Frankreich hat man etwas Aehnliches gethan. Laßt uns doch einmal über die verschiedenen Arten Elend eine Musterung halten, bringe jeder herbei, was er hat; so werden wir sehen, daß Ihr so reich seid, wie wir. Giebt es nicht bei Euch wie bei uns eine religiöse, von dem Priester ausgesprochene, und eine soziale, von dem Richter verhängte Verurtheilung? O großes, italienisches Bolt, Du gleichst dem großen, französischen Volke. Ach, liebe Brüder, Ihr feid wie wir Elende".

*) Dieser Roman erscheint gegenwärtig mit Illustrationen des Münchener Malers J. Damberger in der Jüustrirten Romanbibliothek In freien Stunden", die zur Verdrängung der Schund­literatur aus den Arbeiterkreisen in gut ausgestatteten Wochen­heften von 26 Seiten von der Buchhandlung Vorwärts, Aus der Tiefe der Finsterniß, in der wir und Ihr schmachten, Berlin , zum Preise von je 10 Pf. Herausgegeben wird. seht Ihr Edens lichte und ferne Pforten nicht viel deutlicher als wir.

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