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Nur irren fich die Priester. Jene heiligen Pforten liegen nicht hinter, sondern vor uns.
Ich faffe jezt das Gesagte zusammen. Dieses Buch" Die Armen und Elenden", ist nicht weniger ein Spiegel für Euch, als für uns. Natürlich! Spiegel werden gehaßt, weil sie die Wahrheit sagen; das hindert aber nicht, daß es nüßliche Gegenstände sind.
Was mich anbelangt, so habe ich für alle geschrieben, mit inniger Liebe für mein Vaterland, aber ohne Frankreich mehr im Auge zu haben, als andere Länder. Je älter ich werde, desto mehr vereinfache ich mich und desto mehr werde ich Patriot der Menschheit.
So will es auch die Tendenz unserer Zeit und das Ausstrahlungsgesetz der französischen Revolution; die Bücher müssen, um der zunehmenden Erweiterung der Zivilisation zu entsprechen, auf hören, exklusiv französisch, italienisch, deutsch , spanisch, englisch zu sein und europäisch, ja jogar rein menschlich werden. Woraus sich eine neue Logit der Kennst ergiebt, gewisse neue Regeln der literarischen Technik, die alles abändern, sogar die ehedem recht engherzigen, ästhetischen und sprachlichen Anforderungen an den Schriftsteller, Anschauungen, die wie alles andere sich erweitern müssen.
In Frankreich haben mir gewisse Kritiker zu meiner größten Freude den Vorwurf gemacht, ich hielte mich nicht innerhalb der von ihnen so genannten Grenzen des französischen Geschmacks; ich wünschte nur, ich hätte dieses Lob verdient.
Alles in allem genommen, thue ich, was ich fann; empfinde schmerzlich das allgemeine Weh, und bemühe mich, Abhilfe zu schaffen. Ich habe nur die geringe Kraft eines Menschen und sage zu allen: Helft mir!
Dies ist es, mein Herr, was Ihr Brief mich bewog, Ihnen zu fagen; ich sage es für Sie und Ihr Vaterland. Wenn ich das Thema so ausführlich behandelt habe, so wurde ich dazu durch eine Stelle Ihres Briefes veranlaßt. Sie schreiben mir: Es giebt Italiener und zwar viele, die da sagen, das Buch„ Die Armen und Elenden", sei ein französisches Buch, das uns nichts angeht. Mögen die Franzosen es als ein Geschichtswert lesen, wir lesen es als einen Roman. Ach! ob wir Italiener oder Franzosen find, das Elend geht uns alle an. Seitdem die Geschichte erzählt und die Philosophie denkt, ist das Elend das Kleid der Menschheit; es wäre wohl Zeit, daß man endlich diesen Plunder herunterrisse und das nackte Bolt, statt mit den scheußlichen Lumpen der Vergangenheit, mit dem großen Purpurgewand der Zukunftsmorgenröthe umhüllte... Victor Hugo .
Kleines Feuilleton.
Gefängen nähert fich das tremolo dem Triller. Die Melodien selbst bewegen sich in Intervallen, die fast völlig denen unserer diatonischen Tonleiter gleichen. Abweichungen vom Grundton kommen vor, aber nur, weil es an Instrumenten wie Stimmgabeln fehlt, ihn festzus stellen. Die indianischen Gesänge werden unisono gesungen, sie bewegen sich natürlich in Konsonanzen von zwei bis drei Oktaven, da Sänger mit verschiedenen Stimmlagen, wie Tenor, Baß. Sopran mitwirken. Musiktheoretisch von großer Bedeutung und auch bei dem gegenwärtig unter den Psychologen geführten Streit über den Begriff der Konsonanz lebhaft erörtert ist folgende Thatsache: Man hat versucht, die Indianergesänge auf dem Klavier getreu darzustellen und spielte fie dann den Sängern selbst vor. Diese erkannten sie nicht wieder. Erst als sie durch ein paar zur Begleitung hinzugesetzte Akkorde harmonisirt wurden. waren die Sänger ganz überrascht und meinten, jetzt flängen sie natürlich". In der That sind die Gefänge harmonisch gebaut und können zum theil sogar auf unsere Tonstala zurückgeführt werden. Es ist also falsch, die Harmonie als ein Ergebniß der Kulturmusik aufzufassen; sie ist ein wesentliches Mittel, ein Element des musikalischen Ausdrucks. Auch die Rhythmen stehen an Komplizirtheit der modernen Musit oft nicht nach und werden bisweilen durch Körperbewegungen markirt. Daß die Indianergesänge nicht, wie man früher wohl annahm, Improvisationen sind, hat man jezt auch mit Hilfe des Phonographen festgestellt. Es besteht sogar eine Art Büreaus, in denen tüchtige Sänger angestellt sind, die hie heiligen Gefänge unverändert zu erhalten haben. Gute Sänger werden oft glänzend bezahlt.
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Theater.
Im Neuen Theater hat sich nun die neue, berfrömmerte Direktion Nuscha Buze- Beermann eingeführt. Nicht mehr arge fran zösische Leckereien, sondern gute deutsche Hausmannskost soll den Besuchern vorgesetzt werden. Man begann mit dem patriotisch- brandenburg'schen Drama Reichsfürst und Landesherr" von E. v. Weitra . Man soll gegen dies Werk nicht aus Haubigen schießen. Das ist richtig. Auch nicht einmal aus fleinkalibrigem Gewehr. Der Anfangsversuch des Neuen Theaters hat in gewissem Sinne nur eine soziale Bedeutung. Die künstlerische und schriftstellerische Impotenz des Menschen, der sein Hurrah- Drama unter dem Namen Weitra veröffentlichte, könnte Mitleid' erregen. In einem jammervollen Kaufmanns- und Reporterdeutsch wird der große Kurfürst" verherrlicht; und jedenfalls ist in dem dröhnenden Jambenschauspiel der Meisterrekord erreicht, so weit die Knechtseligkeit in Frage kommt. Warum soll's heutzutage, da alles zum Sport wird, nicht auch ein Wettkriechen auf diesem Gebiet geben? Arg ist nur an dieser Erscheinung die lauernde Spekulation, die derlei, den flehenden Blick nach oben gerichtet, für deutsche Familienkost ausgeben möchte; und beschämend ist ferner die refignirte Haltung des Publikums, das zwar die Geschmacklosigkeit nicht mit Beifall be lohnt, sich aber gegen das Widrige nicht mehr empört. Bedeutende Dramaturgen haben geirrt; aber das findische Hurrah- Drama ist von der Art, daß für einen Menschen von Taft kaum ein Frrthum möglich ist. Also bleibt die Annahme spekulativer Absichtlichkeit übrig. Ein ganz neues Ensemble hat sich ebenfalls vorgestellt, Herr Holthaus, ein Heldendarsteller, dem gutes nachgerühmt wird, spielte die überragende Rolle des Siegers von Fehrbellin . Es wäre unbillig, ihn und die anderen Sprecher nach den radaupatriotischen Szenen zu beurtheilen, in denen sie mitzuwirken hatten.
gk. Judianer- Gesänge. Es ist bekannt, eine wie große Rolle der Gesang in dem Leben der Indianer spielt. Sie singen vor allem bei religiösen Zeremonien. Die Männer fingen beim Aufbruch zum Kriege, in der Gefahr, nach dem Siege, bei der Arbeit; und die Frauen ermuthigen durch Gesang die in den Kampf ziehenden Männer. Erst in jüngster Zeit aber hat man begonnen, diese Gefänge auf ihren musikalischen Charakter hin zu prüfen. Alice Fletcher faßt jetzt die bisher gewonnenen Ergebnisse im„ Journal of Americain Folk- lore" zusammen. Die Stämme, um die es sich hier handelt, stehen nicht mehr auf der niedrigsten Stufe der Kultur, ihre Musik ist daher nicht völlig primitiv; aber es fehlt noch jede akustische Theorie, und die Ergebnisse gewinnen gerade dadurch eine besondere Bedeutung. Instrumente wurden nur drei in Gebrauch Metropol Theater! Welch voller Klang! Und die gefunden. Trommel, Knarre und eine Art Flageolett. Trommel Tamtamschläge der Reklamejournalisten! Nun weiß ich wenigstens, und Knarre dienen zur Begleitung des Gesanges und zur Be- was echt weltstädtisch. Echt weltstädtisch ist die Vereinigung von tonung des( Tanz-) Rhythmus. Dagegen wird das Flageolett, Faunen und Nymphen, von unseren geldkräftigen Börsen- und Lebeein ziemlich rohes Instrument von acht bis zehn männern und ihren parfumduftenden Freundinnen. Das alles im Tönen im Diskantschlüssel von jüngeren Männern zu Solo Brunftheater vereinigt und darüber ein Meer von elektrischem Licht borträgen benutzt, wobei auf starkes Vibriren des Tones besonders gegossen! Werth gelegt wird. Einem Theil der Gesänge liegt ein bestimmter, So stand's im enthusiastischen Lokalblatt schwarz auf weiß in der Regel sehr einfacher Text zu grunde. Das Verhältniß von gedruckt. Also muß es wahr sein, wie es wahr ist, daß nunmehr Wort und Melodie ist so eng, daß niemals, wie bei uns, dieselbe die vielgehegte Kunst im Tingeltangel ein würdiges Aihl gefunden Melodie zu verschiedenen Versen eines Liedes gesungen wird. hat. Und es stand noch allerlei Nedisches schwarz auf weiß gedruckt Daneben giebt es aber auch viele Lieder, in denen Worte, in den allerrespektabelsten, durch Alter ehrwürdigen Blättern. Auf die einen Sinn gäben, überhaupt nicht vorkommen, sondern der Bühne ein Feenglanz und die geen eine farbenprächtige Mädchennur Laute. Es ist dies ein primitiver Versuch, Geschaar( 60 Mart Monatsengagement) und das Auge des entzückten fühle durch bestimmte Laute zum Ausdruck zu bringen. Buschauers darf frei umherschweifend anatomische Studien" machen. Die Laute werden ebenso wenig wie die Worte den Me- Aber Tantchen, Tantchen Schwerdtlein! Todien willkürlich und wechselnd untergelegt; sanften Melodien ent- Das Frauenparadies", so lautet der Titel der neuen Sprechen z. B. stets aspirirende Silben wie he, ha, hi. Man ver- Ausstattungspoffe, die im Metropol- Theater zur Eröffnung gegeben gleiche etwa die Liebesseufzer, in die ein junger Indianer seine Ge- wurde. Herr Schulz ist vom Zentral- Theater ans frühere Lindenfühle preßt: Hi- dha ho ha hi- a he- ha he!... Hi- ah he! Theater übersiedelt. Der Ausstattungsrummel soll also einen etwas in ihrem reicheren Tonfall mit den tieferen schweren Lauten eines reicheren Rahmen erhalten und darum sind noch etliche Modelle zu Trauerliedes: 1- ah dha- ha ah- i dha- he ah- ha ha ah! anatomischen Studien mehr", um im„ pitanten Beitungsstil" au Uebrigens werden bei den Indianern derartige Laute auch bleiben, engagirt worden. Sonst ist die Geschichte dieselbe geblieben zwischen die Worte gesett oder ihnen angehängt, um wie im Zentral- Theater; über Musikern und Dichtern, über einen erwünschten Rhythmus zu erzielen. Da die Lieder Soubretten und Komikern, die ie insgesammt„ nig tau leggen" in der Regel im Freien und bei Trommelbegleitung gesungen werden, haben, thront der Erhabene, der Damenschneider. Man so wird die Stimme dabei so start angestrengt, daß sie jede Aus- ist geistig müde geworden von den Kalauern, dem drudsfähigkeit verliert. Es giebt daher im allgemeinen teine Unter Singsang, den forcirten Anstrengungen einzelner Kräfte, schiede von piano und forte, crescendo und decrescendo; nur bei mit ihrer Spezialnummer doch einigermaßen auf sich aufmerksam Sologefängen ohne Trommelbegleitung und noch gewöhnlicher bei zu machen. Die dünnen Späße mit dem schönen Kommis Isidor Liebesliedern werden solche Abstufungen beobachtet. Dem Aus- von Gerson( Gerson ist das Paradies der Frauen), auf den druck dient das tremolo, durch dessen verschiedene Ausführung Asmodine, die Gattin des lebemännischen Teufels v. Satansky veretwa die Liebeserregung, der Galopp des Pferdes, das Trotten des sessen ist, werden zu Tode geritten, und dann kommen die FarbenWolfes über die Prärie u. s. w. dargestellt wird. In religiösen schaustüde mit ihrem schwülen Reiz. Nach dem zweiten Bild die
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