711
-
Gewinne wurden eingeheimst; und wie das konsumirende Volt be- Kreise am Panama . Jäh aber schlug die Stimmung getreu der drückt wurde, das beobachteten auch Leute, die den Alltagsnöthen Empfindlichkeit der Volksseele um, als man zu befürchten begann, entrückt waren und deren ganzes geistiges Leben sich fernab von es sei ein großes Unrecht geschehen; da braucht man an feine wirthschaftlichen Dingen bewegte. Der berühmte Humanist Heinrich Wunder und an keine Agitatoren von mystisch- geheimnisvoller Kraft Bebel von Tübingen , ein Mann aus der Schriftstellergruppe, die sich zu glauben, wie man im Mittelalter an die„ Teufelsbraten" von vor allem für die klassisch- antile Literatur begeisterte, schrieb ein Kerlen glaubte. bernichtendes Urtheil über kaufmännische Machenschaften jener Lage nieder: Die Kaufleute erwerben sich ihren Reichthum mehr durch Wucher, als durch ehrliche Verträge." Und ein anderer Schriftsteller hat ein schlagkräftiges Gleichniß angewandt:„ Wer hat solche Finanz und neue Fünd gehört, als jest in der Welt umfahren und alles an fich ziehen, wie Secias die Wolfen?" Wie sich die Wolken zusammenballen, so sah man die mächtige, durch Wucher und Für lauf" entstandene Kapitalsanhäufung an.
Rapid war die Lebenshaltung der Handwerksknechte niedergegangen. Der relative frühere Wohlstand der gewerblichen Lohnarbeiter war so weit geschwunden, daß man um bessere, nothwendige Verköstigung zwiestödig" werden mußte. Ebenso rapid wie hier proletarisirt wurde, stieg die groß- bourgoife Entwicklung. Dabei vertheuerten Handels- Monopolgesellschaften die Lebensbedürfnisse, ja die Waarenverfälschung war schon im großen Stil im Brauch. In einem Fastnachtsspiel heißt es:
" Dein saffran hast zu Fenedig gefact Und hast rintfleisch drunter gehadt;
Und melst unter negelein( Gewürznelfen) gepets( gebähtes) Brod Und gipst für lorper hin gaiztot, Und fichtenspän für zimmetrinten
Ernste deutsche Kulturhistorifer haben in ihren Werken den Lohnund Streitbewegungen zum Ausgang des Mittelalters eingehende Aufmerksamkeit geschenkt, und vor Jahren schon hat Johannes Janßen mit Bienenfleiß umsichtige archivalische Studien über jene Zeit gemacht, die mannigfache Aehnlichkeiten mit der unserigen aufweist. Und Johannes Janßen war ein gläubiger, positiver Katholik. Gern spielt man ihn von Zentrumswegen wider die„ protestantische Wissenschaft" aus. Ob die Zentrumsgelehrten ihn auch ſtudirt aus ihr erwuchsen die Ausbrüche; nicht nach Agitatorenwillkür haben? Und ob sie aus der Wissenschaft des Vergangenen Schlüsse für die Gegenwart ziehen können oder wollen?
Tust unter mandel pfirfingfern" u. f. tv.
Die Lebensnoth war über die Handwerksknechte gekommen, und wurden sie geschaffen. Man hat gedroht und alle Härte mittelalterlicher Strafen hat man in Aussicht gestellt; und was sich kulturgeschichtlich vollziehen mußte, hat sich doch vollzogen.
Es ist in schweren Zeiten nüglich, der Vergangenheit zu ges denten. Man fann aus ihrer Wissenschaft Trost und Sicherheitsgefühl für die Zukunft schöpfen. Alpha
Kleines Feuilleton.
Längst sind die ehemaligen Meisterbünde und Zünfte zerfallen; bon dem merkwürdigen großen Auftreiber" Heinrich Ruffs aus Worms meldet ein oder das andere Chronik- und ArchivBlatt. Kein bestimmtes Lebensbild dieses Ruffs, eines freien Vertrauensmanns damaliger Arbeiterschaft, läßt sich heute mehr entwerfen. Bald kam die Periode der Reformation, und es tamen die großen agrar- sozialen Erschütterungen des Bauernkrieges. Aber trotz allem, was verschollen ist: ein ungewöhliches Maß von Kraft muß in dem Schneiderknecht und späteren Arbeiterführer gesteckt haben. Sonst wäre die Hasses- Empörung nicht zu verstehen, mit Wenn draußen, im verlöschenden Tageslicht ein Wagen mit -d. Langeweile. Es dämmert in dem langen, schmalen Zimmer. Ser die vereinigten Arbeitgeber ihn verfolgten, und schon damals seinen Laternen vorübergleitet, leuchten die blanken Möbel und traten die Begleiterscheinungen auf, wie wir sie heute besonders Spiegel auf. charakteristisch bei der Soldpresse unseres Unternehmerthums vorfinden; und damit find nicht etwa blos die Organe Stumm's gemeint, lansam zum Fenster. Der dicke Teppich verschlingt den Schall ihrer Auf dem Divan liegt eine Frau. Sie erhebt sich und geht matt, sondern es geht bis in die Reihen jener liberalen Zeitungen, die Tritte. aus Furcht vor den gestrengen Inserenten nicht ja und nicht nein zu Auf der Straße treibt der Wind einzelne dürre, zufammen fagen sich erdreisten. Von den parteilofen" Großstadtherrschern und geschrumpfte Blätter im Ninnstein dahin. Nur wenige Menschen Lofalanzeigern ganz zu schweigen. Die stellen sich völlig todt und kommen vorbei. Selten rollt ein Wagen über den glatten stumm bei so einschneidenden Fragen, wie sie vor uns bestimmend Asphalt, der sich wie erstorbenes, todtes Wasser ausdehnt. auftauchen. Die haben mit vollsverðummenden Schauspielen die Die Frau wendet sich und tastet nach der Mitte des Zimmers. Eine Hände voll zu thun; und es wäre jammervoll kläglich, wenn Ampel zieht sie herunter, das Aufblizen eines Zündhölzchens, ein sich auch jetzt noch die Arbeiterschaft nicht energisch gegen sie mildes, rothes Licht breitet sich aus, das nur schwach bis in die empörte. Ecken dringt. Wenn heute felbst eine Bossische Zeitung" sentimental den Arbeitswilligen, der behindert wird, bemitleidet, und im Prinzip" nichts gegen eine strengere Bestrafung der Heger" und Bedroher hat, wenn sie Ausschreitungen, die in der Verbitterung vorgekommen find, verallgemeinert: so ist dies auch keine fulturgeschichtliche Neuigfeit mehr. Der ausschweifende Haß engherziger Zünftler hat damals schon sich mit der warmherzigen Mitleidstheorie umkleidet. Man hätte einen Nuffs vielleicht durch die Spieße gejagt, wenn man nur an den Vermaledeiten herangekonnt hätte; und dabei hätte man gefeufzt, diese„ erschröckliche Strafe" sei nothwendig im Interesse der armen Frregeführten, die von gefährlichen Auftreibern aufgewiegelt ohne Schuld in Brotlosigkeit und Jammer gerathen. Immer wieder die selbe Geschichte vom Sündenbock der herrschenden Gesellschaft. Man schlachtet den Sündenbock( oder möchte ihn schlachten) und meint, nun ist die Gesellschaft wirklich entfühut. Was hat man mit drakonischen Bestimmungen erreicht? Was mit den äußersten Zuchtmitteln gegen die Vertrauensmänner der Arbeiterschaft?
Ein Damenzimmer. An den Hellblauen Wänden Kalender, Fächer, Tanzkarten, Bleistifte, Tombola- Nippes, alles an RosaBändchen hängend, mit Rosa- Schleifen verziert. Weber Bildern mit Rosa- Sammtrahmen weiße Shawls. Auf den Tischchen, auf dem Bett und auf dem Schreibtisch gestickte Deckchen. Die Frau setzt sich lässig vor den Schreibtisch, schiebt einige Porzellan- Nippes bei Seite und schreibt, nachdem sie sich in dem seitwärts stehenden Schmuckspiegel beschaut hat, mit zierlichen. verschnörkelten Buchstaben: " Liebste Mimi! Ich schreibe schon wieder. Ich weiß nicht, was ich sonst anfangen soll. Mein Mann hat im Regiment zu thun und außerdem mit seinen Pferden. Ich aber habe nichts weiter als jeden Abend Opernhaus oder Gesellschaft. Heute bleiben wir zu Hause, weil meinem Mann nicht ganz wohl ist. Dente Dir, sie mußten heute früh schon um 4 Uhr antreten! Ich habe so gar nichts. Nur Deine Briefe und das bischen Gesellschaft. Nun lass' bald was von Dir hören Deiner Dich liebenden Hertha."
Sie schreibt die Adresse, steckt den Brief in den Umschlag und steht ihn an, sieht ihn an
Ein Dienstmädchen erscheint:„ Wir können den Tisch nicht allein decken. Es wird zu spät, gnädige Frau." Aber wozu habe ich denn mein Personal?" fragt sie gedehnt. Das Mädchen erröthet und geht wieder. Die Gnädige sigt noch vor und sieht ihn an.
"
"
-
-
Theater.
Das Schiller Theater hat am Freitag einen literargeschichtlichen Versuch gewagt und Holberg's Komödie vom politischen Kannegießer" aufgeführt. Der Versuch fonnte nicht voll gelingen, die Welt im politischen Kannegießer" ist der unfrigen zu fern. Doch war die Aufnahme der Posse aus dem vorigen Jahrhundert leidlich günstig.
Wie hätte der Auftreiber Ruffs je zu dem groß gefürchteten Vertrauen in denen Städten" rheinauf und rheinab und am Main , wo damals noch Deutschlands Pulse am fräftigsten fchlugen, gelangen fönnen, wie wäre seine materielle Unabhängigkeit gesichert gewesen, wenn die Gesellschaft nicht durch die Nothwendigfeit hierzu verbunden gewesen wäre. Selbst den Fall zugegeben, dem Brief daß die Persönlichkeit dieses Ruff's imponiren mochte und daß er über eine besondere Gluth der Rede gebot. Geschieht der alte Fehler nicht immer wieder? Begegnen wir ihm nicht auch da, wo er unsere Interessen nicht unmittelbar berührt? Als die Bevölkerung von Paris ihr: Nieder mit Zola!" rief, da hieß es in einem nicht unbeträchtlichen Theil unserer Presse:" Seht die Brunnenvergifter an, die Nochefort, die Drumont und wie die niederträchtigen Heger heißen mögen, fie, fie ganz allein haben die edlen Anlagen des Herzens von Frankreich " vergiftet, Man vergaß, daß durch das Treiben der Reinach und Herz im Panama Paris wirklich mißtrauisch und verbittert werden konnte. Wie rasch aber hat die Stimmung von Baris umgeschlagen, als das Bertrauen auf die militärischen Großsprecher und den Generalstab schwand? Wo ist nunmehr der Einfluß der Rochefort und der Drumont hin? Können sie wirklich Wind und Wetter nach Willkür machen, oder werden Schwankungen der Volksseele nicht auf wirkliche Nothwendigkeiten zurückzuführen sein? Sehr empfindlich ist die Voltsseele. Sie wurde schen durch das Wirken bevorrechteter Verbrecher, wie Arton oder Cornelius Herz es waren.
Holberg ist zu Ausgang des 17. Jahrhunderts geboren. In der dänischen Nationalliteratur nimmt er einen Ehrenplatz ein und gewiß ist er ein derb- kräftiger, germanischer, frohgelaunter Geift. Nur sollte man ihn nicht immerzu den dänischen Molière nennen. Ein Charaktergemälde von so psychologischer Feinheit zu schaffen, wie etwa Molière's" Misanthrop" ist, das wäre im breiten, volksthümlichen Lachen Holberg's unmöglich. Er war der Dichter des Kleinbürgerlichen, germanischen Spaßes. Er konnte die Leiden einer vielbesuchten Wöchnerin, die Franzöfelei seiner Landsleute, das Hoch- hinauswollen gewisser Kreise und die politische Kannegießerei ( ein Begriff, dem wir seiner Komödie zu danken haben) ironisiren. Leicht konnten so Mißtrauen und antisemitische Neigung wider Immer aber blieb es beim grobdeutlichen, beim handfesten Humor. Dreyfus genährt werden. Zu start war der Prozentsatz gewisser l Nie wird das Tragikomische gestreift, wie im Geizigen" etwa von.