Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Str. 193.
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L
Sonntag, den 2. Oktober.
( Nachdruck verboten.)
I,
1898
Aufmerksamkeit hatte sich Laurent, der zwischen seiner Großtante und seinem Vetter Dobouziez saß, übrigens nicht zu beklagen. Letterer richtete nur das Wort an ihn, um ihn eindringlich zu ermahnen, stets der Pflicht eingedenk zu bleiben und der Stimme der Weisheit und Vernunft Gehör zu schenken; abstrakte Worte, mit denen der Junge, der eben erst zur Firmung gegangen war, nichts Rechtes anzufangen wußte.
Das Leichenbegängniß, das Herr Guillaume Dobouziez dem armen Jacques Paridael ausrichten ließ, war ganz dazu angethan, dem Veranstalter die Anerkennung seiner Standes- Die gute Großtante hätte für ihr Leben gern ihrer aufgenossen und die Bewunderung der kleinen Leute einzutragen. richtigen Theilnahme herzlichen Ausdruck gegeben, wenn sie Alles was recht ist, das hat er gut gemacht," war die ein- nicht mit Recht gefürchtet hätte, daß ihre Güte von der Tischstimmige Meinung der gaffenden Zuschauer. Er hätte gesellschaft als lächerliche Schwäche gedeutet werden möchte. wahrhaftig für sich selbst kein besseres verlangen können: Sie hätte sich dadurch nur eine Blöße gegeben und der Waise ein Begräbniß zweiter Klasse( allerdings mit Fort mehr geschadet als genügt. So bezwang sie lieber ihre Rühfall der Leichenträger, aber wer kennt sich denn in rung und begnügte sich, dem Untröstlichen gut zuzureden und diesen Dingen so aus, um die feinen Unterschiede ihn darauf aufmerksam zu machen, daß ein fortgesettes Wehzwischen den einzelnen Abstufungen herauszufinden?), flagen auf diejenigen, die fortan bei ihm Vater- und Mutterfeierliche Seelenmesse unter Mitwirkung des Kirchenchors, stelle vertreten sollten, den Eindruck eigensinniger Unart machen aber ohne anschließende Absolution und Segenspendung mußte. Aber mit elf Jahren versteht man von der schweren ( wozu denn auch eine Zeremonie verlängern, die die Kunst der Selbstbeherrschung noch herzlich wenig, und aus Leidtragenden aufregt und die anderen langweilt), so und so diesem Grunde trugen die halblaut geflüsterten Ermahnungen viel Meter schwarze, mit Silberfransen verzierte Draperie und der braven Frau auch nur dazu bei, den Thränenstrom des so und so viel Pfund gelbe Wachskerzen. Kindes reichlicher fließen zu lassen.
Der verstorbene Paridael hatte es sich bei seinen Lebzeiten garnicht träumen lassen, in dieser vornehmen Weije begraben zu werden. Wie hätte der arme Teufel auch solche Ansprüche machen können!
Furchtsam und zitternd, wie ein Vögelchen, das aus dem Neft gefallen, musterte Laurent durch den Thränenschleier, der seine verweinten Augen umflorte, mit scheuen Seitenblicken die Tischgenossen.
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Nüchtern und korrekt in jeder Beziehung, den hageren Base Lydia, Herrn Dobouziez's Ehehälfte, thronte ihrem Oberkörper in den soldatisch anliegenden, mit einem rothen Gemahl gegenüber. Es war eine zwerghafte, unförmlich aufOrdensbändchen geschmückten Gehrock gezwängt, schritt Herr geschwemmte Person, welt und verrunzelt wie eine getrocknete Dobouziez, der trotz seiner fünfundvierzig Jahre den leicht Pflaume, mit schwarzem, glänzendem Haar, das, glatt gescheitelt, ergrauten Kopf steifnackig emporrichtete, in nervöser Ungeduld die niedrige Stirn bis zu den buschigen, dunklen Brauen hinter seinem Mündel, dem fleinen Laurent, dem bedeckte, die zwei große, hervorquellende Glogaugen von Ein ausdrucksloſes Geeinzigen Sohn des Verstorbenen, her. Der Junge gab sich kohlschwarzer Farbe beschatteten. seinem wilden, hysterischen Schmerze schrankenlos hin. Vom ficht, männlich harte Züge, schmale, farblose Lippen und eine Sterbehause an hatte er nicht einen Augenblick zu schluchzen Stumpfnase, unter der sich vereinzelte schwärzliche Härchen aufgehört, und in der Kirche vermochte er erst recht nicht, breitmachten. Die Stimme hatte einen unangenehmen Kehlan sich zu halten. Der wimmernde Ton der Todtenglocke im Thurm und das abgehackte schrille Klingeln der Ministranten ließen ihm in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrechen, das seinen kleinen Körper wie im Fieber schüttelte.
Better Guillaume, der ehemalige Offizier, der ganz und gar nicht rührselig und ein abgesagter Feind jeglichen Gefühlsüberschwangs war, verlor angesichts dieses fassungslosen Schmerzes, der sich in aller Oeffentlichkeit so überlaut gebärdete, schließlich die Geduld.
laut, der an das mißtönende Gegacker eines Perlhuhns gemahnte. In seelischer Beziehung ein Bild nüchterner, platter Alltäglichkeit: hier und da ein gutmüthiger Zug, aber keine Spur von Feingefühl und theilnehmendem Verständniß, dabei ein fleinlicher, von engen Horizonten begrenzter Geist, der über die eigene Nasenspige nicht hinaussieht.
Guillaume Dobouziez, der schneidige Ingenieur- Offizier von ehedem, hatte sie des Geldes wegen geheirathet. Die Mitgift der Tochter des Brüsseler Trikotagefabrikanten, der ,, Alle Wetter, Laurent, nimm Dich zusammen!... Sei doch sich vom Geschäft zurückgezogen hatte, gestattete dem Offizier, bernünftig!... Steh auf!.. Set' Dich!.. Vorwärts!" Das nachdem er seinen Abschied genommen, seine Fabrik zu waren die aufmunternden Worte, die er dem Jungen ohne gründen und dadurch den ersten Grund zu seinem ansehnUnterlaß ins Ohr tuschelte. Aber aller Liebe Müh' war lichen Vermögen zu legen. 2 umsonst. Alle nasenlang störte der Kleine durch sein Geheul Mit größerem Wohlgefallen, faft mit einem gewissen und lebhafte Geberden die untadelige Ordnung der feierlichen Vergnügen ruhte Laurent's Blick dagegen auf Regina oder Handlung, die obendrein noch einzig und allein zu Ehren Gina, dem einzigen Kind des Dobouziez'schen Ehepaares. feines Papas veranstaltet wurde. Die schlanke, rassige Brünette mit den ausdrucksvollen Als Mann, der an alles dentt, hatte Herr Dobouziez, schwarzen Augen, dem üppigen, leichtgewellten Haar und bevor sich der Leichenzug wieder in Bewegung setzte, seinem dem tadellos geformten Gesichtsoval war ein paar Jahre älter Mündel ein Zwanzigfrantstück, ein Fünffrantstück und ein als der kleine Paridael. Die feingeschnittene Adlernase mit Frankstück in die Hand gedrückt. Ersteres war für den nervös zitternden Flügeln, der sprechende, eigenwillige den Klingelbeutel, die beiden anderen für die Kollette Mund, das prächtige, grübchengezierte Sinn und der rosige, bestimmt. Aber der Kleine bewies bei Vertheilung der durchschimmernde Teint, der den matten Farbenton einer Spenden, daß er so tölpelhaft war wie er aussah: Er Kamee zeigte, liehen dem schönen Gesicht bestrickenden Liebsteckte das Goldstück, allem Herkommen entgegen, in die reiz. In seinem ganzen Leben hatte Laurent noch kein Armenbüchse, gab das Fünf- Frankstück dem Küster und das schöneres junges Mädchen gesehen. Frankstück dem Pfarrer. Und auf dem Kirchhofe wäre er um ein Haar in das offene Grab gestürzt, als er sich anschickte, die Hand voll gelber Lehmerde in die Gruft zu werfen, die mit solch unheimlichem Poltern auf den Sargdeckel auf schlug.
Der Vormund athmete ordentlich erleichtert auf, als er mit dem Unglücksjungen endlich in der zweispännigen Equipage Platz nehmen konnte, um nach der Fabrik und der Villa Dobouziez, die außerhalb der Festungswerke in der Vorstadt lagen, zurückzufahren.
Bei der Familientafel unterhielt man sich über geschäft liche Angelegenheiten, der Feierlichkeil vom Morgen geschah nicht die geringste Erwähnung. Ueber sonderlich freundliche
Gleichwohl wagte er es weder ihr anhaltend ins Gesicht zu sehen, noch das Sprühfeuer ihrer lustig blitzenden Schelmenaugen auszuhalten. In die ungestüme Ausgelassenheit des schalthaften, verhätschelten Backfisches mischte sich schon etwas von der steifleinenen Feierlichkeit und dem stolzen Selbstbewußtsein des Vetters Dobouziez, und in dem leichten Sträufeln dieser unschuldigen Lippen malten sich bereits ein gut Theil dünfelhafte Ueberlegenheit und Spottlust, die auch aus dem hellen, harmlosen Kinderlachen heraustönten.
Gina war sich des vortheilhaften Eindrucks, den sie auf den Jungen machte, wohl bewußt und ließ deshalb ihrem Uebermuth heute noch mehr die Zügel schießen als sonst. Sie mischte sich in die Unterhaltung, befleißigte sich beim Essen