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Ja

Sonntagsplauderet.

eines möglichst auffälligen Benehmens, furz, wußte nicht, was sie anstellen sollte, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die Mutter war dem Treiben des Wildfangs gegenüber macht­Galanterie und Frivolität finden sich gern einträglich bei eins Los; eine scharfe Rüge wagte sie nicht auszusprechen aus ander. Zu den militaristischen Tugenden zählt man die Ritterlichkeit Furcht, den kleinen Satan dadurch zum Widerspruch zu reizen. gegen das Frauengeschlecht. Das heißt in Wahrheit das äußerliche Zuvorkommen, die galanten Uebungen. Im inneren Widerspruch So begnügte sie sich denn damit, ihrem Manne kummervolle hierzu steht dennoch die Mißachtung der Frau, sobald das galante Blicke zuzuwerfen, die ihn zum Einschreiten veranlassen sollten. Mäntelchen gefallen. In nicht militaristischen Staaten ist die Selbst­Herr Dobouziez ließ das verzweifelte Minenspiel der Dame, ständigkeit und persönliche Ehre der Frau in den Anschauungen des so lange es halbwegs ging, unbeachtet, am Ende konnte er Bolts höher gesichert, als bei den Nationen mit Militärkultur. Es aber doch nicht umhin, der stummen Aufforderung seiner Frau sei hier nur auf die Stellung der Amerikanerin hingewiesen. Folge zu geben. Der Schuß der Frau Paulmier in Paris hat nicht blos den Chronisten der δας Pariser Boulevardblätter Das Töchterchen, das für die mütterlichen Ermahnungen von der Frau und der Oeffentlichkeit ndhegelegt. Es haben auch Thema taub war, schenkte der freundlichen Zurede des Vaters un- weiterstrebende Beobachter an den Fall allerlei Betrachtungen ge­berzüglich Gehör und unterwarf sich mit einer leiderfüllten tnüpft. Die Verwilderung der Breffe ist nur eine Theilerscheinung Duldermiene, die überaus drollig wirkte. Wenn es sich um des gesammten literarischen Lebens in Frankreich , so weit es fich Gina handelte, legte das Familienoberhaupt die steife Förm- mit dem Stoffgebiet vom Weib beschäftigt. Aus der Gesammt­lichkeit, die ihn sonst auszeichnete, völlig ab. Es kostete ihn literatur fidert das hämisch wegwerfende Urtheil über das Weib manchmal wahrlich keine kleine Mühe, über die Narrenspossen durch. Die sensationslüsterne Preffe thut das ihrige hinzu und daß in einem Lande, tvo von jeher die feines Lieblings stillschweigend hinwegzusehen. Er beschränkte so fommt es, der Frau als treibender Kraft feine

sich bei solchen Gelegenheiten auf Vertheidigung und Abwehr. Boudoirpolitik mit der fleine Rolle spielte, Ehre und Privatleben der Frau

Und welch' ungewohnte Sanftmuth und Milde dann in Stimme oft schonungslosem Gewigel preisgegeben sind. Damit sei und Blick zum Ausdruck kam! Laurent mußte unwillkürlich nicht gesagt, daß Frau Baulmier etwa wie eine heldenhafte an den zärtlichen Ton und das liebevolle Lächeln seines ver- Rächerin ihres Geschlechts erscheine. Auch ihre That hat viel vom storbenen Vaters denken. War dieser Vetter Dobouziez, der Komödiantischen, das den Zeriezungsprozeß der herrschenden Klassen da seiner Gina eine so zahme Predigt hielt, wirklich der in Frankreich begleitet. Zunächst geht fie in jener echt blasphemi­strenge Pedant, der eben noch bei der Beerdigung den armen schen Kirchlichkeit gewisser Pariser Kreise von heute zur Kirche und Dann schreitet Lorki, wie ihn der Verstorbene immer zu nennen pflegte, so niet zum Gebet nieder, daß ihr Wert ihr gelinge. widersprechende Weisungen ins Ohr gezischt hatte, daß das sie zur Blutthat, dringt in die Redaktion von Millerand's Blatt und berängstigte Kind gar nicht mehr wußte, was es thun follte? schießt auf einen Unschuldigen, den ersten besten von der sozialisti­ schen Bande", wie sie sich ausdrückt. Spektakel, recht viel Spektakel Und wie furz und in welch gebieterischem Ton diese Befehle ist dabei; besonders, wenn man erwägt, wie verbittert im all­ausgedrückt wurden! gemeinen der heutige Stampf für und wider den Militarismus Aber wenn sich das Herz der Waise auch bei diesem in Frankreich geführt wird. Die Generalstabspresse hat Gewaltandrohung mit Injurien, und Vergleich schmerzlich zusammenkrampfte, so konnte der Lorki mit Roth beworfen, von gestern und der Laurent von heute seiner schönen Base Berleumdungen gearbeitet: so war es denn begreiflich, daß in darum nicht böse sein. Sie war eben doch gar zu entzückend. der hißigen Erbitterung auch die Gegner der gegenwärtigen Ja, wenn es sich um irgend ein anderes Kind, wenn es sich militärischen Standale in Frankreich über's Ziel schießen fonnten. beispielsweise um einen Jungen wie ihn gehandelt hätte, dann Es find Moralisten in Paris aufgestanden und haben das Ge hätte diese offenkundige Bevorzugung sehr dazu beigetragen, lich gemacht. Längst vertraute Phrasen find wiederholt worden und sammtschaffen der Literatur für die Verachtung der Frau verantwort dem Verwaisten den schweren Verlust, den er erlitten, in manchmal mochte man glauben, man lausche den Stimmen, die bei aller Deutlichkeit zum Bewußtsein zu bringen. Aber hier uns eine lex Heinze für Werke der Kunst und Literatur lagen die Dinge ja doch ganz anders! Laurent erschien begründen wollten. Da wird auf die Zahl der Frauen hin­Gina wie eine dieser Prinzessinnen und Feen, von denen die gewiesen, die kernfest dem bürgerlichen Haushalt vorstehen. Märchenbücher berichten. Sie arbeiten tapfer an der Seite des Mannes, sind geschäftig, sparen Groschen um Groschen, wollen von allen Thorheiten der " Pariser Welt" nichts wissen und kennen mur das eine Hauptziel, ein feines Vermögen, eine bescheidene Rente fich zu sichern. Warum bekümmere sich die Literatur nicht um diese" Lugendsamen" und warum wühle sie mit so häßläer Vorliebe im Schmuze?

Die kleine Fee wußte sich vor Ungeduld schon nicht mehr zu lassen.

Na, Kinder, steht auf und geht spielen," rief ihr der Bater zu, Laurent gleichzeitig ein Zeichen gebend, der eiligst Davonstürmenden zu folgen.

Immer wieder dieselbe Geschichte. Die Literatur, ein Spiegel Gina schleppte den Vetter in den Garten. Die regel- der Lebensvorgänge, wird zum Urheber des Nebels gemacht. mäßig wie bei einem Bauernhofe abgezirkelte Einfriedigung, Das Dasein eines Sechsdreier- Rentiers( Berlinisch gesprochen) und die ein mit weißem Mörtel beworfener, von grünem Spalier feiner werthen Frau Gemahlin kann den Ordnungsfinn eines umrankter Mauerzaun abgrenzte, diente als Küchen-, Obst- Menschen sehr wohl befriedigen; mur ist es gleichsam ein Begetiren. und Ziergarten zugleich, und wenn sie auch an räumlicher Welchen Vorwurf fann dies Dasein der Zeitliteratur bieten, als einen leife ironischen oder idyllischen? Richts löft fich aus solchem Ausdehnung mit einem Park wetteifern konnte, so fehlten ihr vegetativen Leben hervor, was bewegliches Intereffe, heftigen doch die ebenen Wiesenflächen und schattenspendenden Baum- Zeitcharakter, lebhaft Baum- begetativen lebhaft individuelle Züge offenbarte. Das ist

gruppen.

todtes Material für die Literatur im großen Sinn. Die muß auf Die einzige Sehenswürdigkeit dieses Gartens bestand aus Aeußerungen achten, die sich ihr als bemerkenswerthe zeitliche einem aus rothen Klinkerziegeln erbauten Thurm, der sich an und menschliche Dokumente aufdrängen. Sie fan fich feine will Sie fann in die soziale Welt ihrer einen Hügel lehnte und zu dessen Füßen sich der Wasser- fürliche Sprache erschaffen. spiegel eines von zwei Entenpaaren bevölferten Tümpels Tage nicht hineintragen, was sie nicht zuvor aus den Tiefen dieser ausbreitete. Fußpfade, die sich wie die Windungen eines Welt gefchöpft hat. Leben und Literatur durchdringen einander. Dann freilich bleibt die Einschätzung der Fran in der Gegenwarts Schneckenhauses um den Hügel schlängelten, führten auf den literatur der Franzosen nicht etwas, was frei in der Luft schwebt. Gipfel der Anhöhe, von dem aus man eine hübsche Aussicht Dann ist diese Erscheinung durch das Gesellschaftsleben der herrschenden auf den Garten und den Entenpfuhl genoß. Die ganze felt- Selaffen bedingt; und dann stehen wir abermals vor der same Anlage nannte sich gar großsprecherisch das Labyrinth". Thatsache, daß äußerliche Galanterie und innere frivole Zersetzung Gina war Laurent eine liebenswürdige Wirthin. Mit sich so vortrefflich vertragen. Die längste Zeit war man jetzt in den überhafteten Bewegungen eines vielbeschäftigten Fremden- Frankreich geradezu verliebt in seinen Militarismus. Der brave führers zeigte und erklärte sie die Dinge, wobei sie General, der brave Offizier, der brave Soldat, fie alle waren Gegen­den wohlmeinenden Ton fürsorglicher Gönnerschaft anschlug. stände der Gloireschwärmerei. Wie Held Cyrano in der franzöfifchen Komödie zu sein, das war das Jdeal. Ein Eisenfresser dem Mann " Gieb acht, daß Du nicht ins Wasser fällst... Hier sind gegenüber, im Umgang mit dem" zarten Geschlecht" ein galanter Himbeeren, aber Mama gestattet nicht, daß man welche Rittersmann. Diese Galanterie selber ist am Ende aber nur eine pflückt... Laurent's lintische Unbeholfenheit ließ sie aus loje verkleidete militaristische Ueberhebung. Man spielt ein rücksichts­dem Lachen gar nicht heraus kommen. Zwei oder dreimal volles Spiel und demüthigt doch. Daß dann die Eigenheiten nahm sie auch Veranlassung, die allzu volksthümliche Ausdrucks der Gedemüthigten hervorbrechen, ist kein Wunder; weise und den wenig eleganten Dialekt des Vetters zu verso bessern. Darüber wurde der Junge, der an und für sich schon nicht gerade gesprächig war, nur noch wortfarger und schüchterner. Er hätte sich prügeln mögen, daß er vor der Base eine gar so lächerliche Rolle spielte.

( Fortsetzung folgt.)

und

ftößt man auch in der Literatur so häufig auf das strupellose Weib, auf die spekulative Halbdirne, die der Scham­losigkeit mit gleicher Schamlosigkeit begegnet, auf das weibliche Gegenstück zum männlichen Streber, auf die Frau, die auf krummen wegen Macht erschleicht.

Die Literatur an sich macht nicht gut und nicht böse. Jedenfalls fann man sie nicht auf Sommando" gutgesinnt" oder übelgesinnt" haben; und gut zureden hilft auch nicht. Wir haben ja ein lehre