Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 196.
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Freitag, den 7. Oktober.
( Nachdrud verboten.)
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1898
Instanz eine Milderung dieser Strafwillkür zu erreichen. Die Justiz. die hier ihres Amtes waltete, befleißigte sich eines ebenso einfachen wie abgekürzten Verfahrens. Keine schwachherzige Rücksichtnahme auf menschliche Unzulänglichkeit, sondern unerbittliche Kasernendisziplin, Strafbestimmungen, die in gar keinem Verhältniß zu der begangenen Strafthat standen, eine Wage, die sich immer auf die Seite der Arbeitgeber neigte.
In der Ebene zerstreut drehten drei Windmühlen luftig thre Flügel, unbefümmert um das ihrer harrende Schicksal der bierten, deren altersschwaches Mauerwerk allein noch der Blockade der Hütten trotte, die sie von allen Seiten umflammerten. Ihre Flügel hatte sie bei dem Kampfe mit den Saint- Fardier, ein dicker Herr mit einen SchauspielerStrauchdieben dieser Belagerungsarmee bereits eingebüßt, die, fopf und einem olivenfarbigen Gesicht mit wulstigen grausam wie betrunkene Bogelsteller, das armselige Ding ver- Mulattenlippen, durcheilte an bestimmten Tagen die Fabrikstümmelt hatten. säle, ein Rundgang, der von einem wüsten Höllen
Ein Haufen verwegener, zu jeder Gewaltthat fähiger Gesellen, diese„ Müller der Steinmühle"! Selbst die Polizei mischte sich nicht gern in das lichtscheue Treiben des gefähr lichen Gesindels, das die häßlichsten Elemente des großstädtischen Abschaums bildete. Die Strolche, die auf den Quaistraßen herumfungerten und die unter dem Namen, Runners"*) übel berüchtigten Haifische des Süßwassers rekrutirten sich vornehmlich aus den Kreisen dieser Gesellschaft.
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Laurent nahm gewiß herzlichen Antheil an dem Schicksal lärm begleitet war. Er schrie wie ein Besessener, schleuderte der armen verkrüppelten Mühle, ohne daß er darum den Wege- wilde Basiliskenblicke, fuchtelte mit den Armen in der lagerern, die die Bevölkerung der Gassen der Hüttenkolonie Luft herum, warf die Thüren frachend ins Schloß und fegte bildeten, gram gewesen wäre. wie ein Wirbelsturm von Saal zu Saal. Jammer und Verzweiflung bezeichneten den Weg, den das Unwetter genommen. Haufenweise hagelten die Strafen auf die Köpfe der bestürzten Leute. Das geringste Vergehen wurde mit der Entlassung des besten und ältesten Arbeiters geahndet. machte Saint- Fardier dabei feinen Unterschied, ob es sich um einen Aufseher oder den jüngsten der Lehrlinge handelte, ja, es wollte fast scheinen, als ob er seine Opfer mit Vorliebe gerade unter den alten treuen Dienern wählte, die sich noch Aber auch abgesehen von dem Haufen der Verdächtigen und feines Vergehens schuldig gemacht hatten und die in der Fabrit Unregelmäßigen, mit denen Laurent in der Folge noch näher bekannt von ihrer Gründung an thätig gewesen waren. Die Arbeiter werden sollte, war auch der übrige Theil dieser halb städtischen, hatten ihm den Beinamen der Pascha" gegeben, sowohl halb ländlichen Bevölkerung, das arbeitende und in halbwegs seiner despotischen Willkür wie seiner wollüftigen Begierden geordneten Verhältnissen lebende Element ganz dazu an- wegen. gethan, die Sinne des Kindes anzuregen und seine Gedanken Wenn auch Dobouziez an Halsstarrigkeit und gehorsamzu beschäftigen. Diese Müller" gaben hier übrigens den Ton heischender Herrschsucht seinem Sozius nichts nachgab, so entan und übten auf ihre Nachbarschaft einen verhängnißvollen sprach es doch seiner gemessenen Art ganz und gar nicht, sich Einfluß aus. Sie theilten ihre Gewohnheiten den Aderknechten zu auffälligen Kundgebungen hinreißen zu lassen. Er sprach mit, die ihr Dorf verlassen hatten, um hier als pfuschende als Richter das Urtheil, das der andere vollstreckte. Uebrigens Stuckateure und Tagelöhner ihr Brot zu verdienen, wie sie war sich Dobouziez, der standesgemäß erzogene Offizier, andererseits die sich fälschlicherweise als Bauern gebärdenden keineswegs im Unflaren über den Charakter seines rohen, unStädter umkrempelten, die Handwerker, die sich zu Milch gebildeten Theilhabers, der durch eine reiche Heirath in den händlern gewandelt hatten, und die Frauenzimmer, die aus Besitz eines der Vermögenslage seines Sozius entsprechenden Fabrikmädchen Suhmägde geworden waren. Kapitals gekommen war. Der Offizier schätzte sich Aufrecht auf dem Stuhle stehend, starrte Laurent hinaus aber glücklich, glücklich, den großmäuligen Patron mit den auf die Landschaft und berauschte sich förmlich an den düsteren brutalen Hausknechtsfäuften zur Erledigung der unEindrücken, die auf ihn einstürmten. Und nicht eher wich er liebsamen Vorkommnisse zu verwenden, die seiner bervon seinem Beobachtungsposten, bis es heiß in seiner Kehle feinerten, aller gewaltthätigen Kraftäußerung abgeneigten aufstieg und ihm die Thränen den Blick verdunkelten. Dann Natur von Grund aus zuwider waren. Es war den Leuten warf er sich auf die Knie oder wand sich krampfhaft schluchzend im übrigen nicht entgangen, daß die Maßregelungen, die den auf dem Bette, und all das bittere Web, das sein Herz be- Bestand des Arbeiterpersonals verringerten, gemeinhin in der drückte, machte sich in einem heißen Thränenstrom Luft. Seit erfolgten, wenn der Verkaufspreis der Erzeugnisse der Das lustige Geflapper der Mühlen, das so frei und Fabrik zurück- oder der Einkaufspreis der Rohprodukte in die flar wie Gina's Lachen Klang, und das dumpfe Ge- Höhe ging. Herrn Dobouziez muß es indessen nachgesagt werden, brumm der Fabrit, aus dem man den keifenden, auf daß er sich angelegen sein ließ, den Uebereifer seines Sozius zu geblasenen Ton einer Felicitas'schen Strafpredigt heraus- mäßigen, der in seinem durch ein Leberleiden gesteigerten zuhören vermeinte, begleiteten das Schluchzen und ließen die Mißmuth die blindwüthige Verfolgungssucht eines Marius Thränen reichlicher fließen. Es war ein hämisches, peinigendes befundete. Wiegenlied, das in den spöttischen Refrain, Weiter.. weiter 1" austönte.
III.
Dobouziez blieb bei aller Geldgier doch stets der weitblickende Industrielle, der gegen die Ausbeutung der Arbeitsfräfte des Proletariats an sich nichts einzuwenden hatte, se lange die Sache ohne unnöthige Härte und ergerniß erregendes Aufsehen abging.
Felicitas hielt jetzt das Dachstübchen des Einsiedlers tagsüber geschlossen und schickte den Jungen zum Spielen in den Garten. Dieser hatte den Vergrößerungsplänen der NeuEr sah seine Arbeiter als niedergeartete Wesen an, anlagen ein Stüd nach dem andern zum Opfer gebracht und als schaffensträftige Nugheerde, die man im eigenen Intereffe war dabei zu einem Wiesenplan zusammengeschrumpft, der thunlichst zu schonen hatte. Er war eben das Muster eines in seiner ganzen Ausdehnung von den Fenstern des Wohn- fühlen Verstandesmenschen, der, frei von jeder schwachmüthigen hauses aus zu überblicken war. So sah sich Laurent, der Gefühlsregung und sentimentalen Dufelei, wie eine untadelig der ständigen Beaufsichtigung müde, von dem Wunsche befeelt arbeitende Gelderzeugungs- Maschine mit musterhafter Regelwar, sich den Späheraugen der lästigen Aufpasserin zu ent- mäßigkeit funktionirte. Sein ganzes Thun und Handeln war ziehen, genöthigt, seine Entdeckungsreifen auf das Gebiet der das Ergebniß nüchterner Berechnung, die jede Mitwirkung borübergehender Stimmungseinflüsse ausschloß, und sein Ge Fabrik auszudehnen. Die fünfzehnhundert Köpfe des Dobouziez'schen Etablisse- wissen war nichts mehr als ein prächtiger Sextant, ein mit ments beugten sich unter das Joch einer Fabrikordnung von Wenn er sich eines tugendhaften Sebenswandels befleißigte, aller Kunst der Feinmechanik gearbeitetes Meßinstrument. drakonischer Strenge. Für das geringste Vergehen regnete es Strafgelder, Lohnabzüge und Entlassungen, so geschah es aus Achtung vor seiner Lebensstellung, aus ohne die Möglichkeit, durch Anrufung einer höheren Art Gerede und Standal, vor allem aber einer höheren ausgesprochener Abneigung vor allem Auffälligen, vor jeder *) Berüchtigte Sorte von Heuerbaasen" und Hausirern, die die Seeleute wucherisch ausbeuten und zum Durchbringen ihres Lohnes verführen.
aus dem
Grunde, weil ihm seine Lebenserfahrung gelehrt hatte, daß die gerade Dinie noch immer der kürzeste Weg zwischen zwet Buntten ist. Seine Tugend war demnach durchqus abftrafter Art.