Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 201.
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Freitag, den 14. Oktober.
1898
Festtagsstimmung, die das ganze Haus belebte, beeinflußt, ( Nachdruck verboten.) hatte sich Frau Dobouziez sogar bereit erklärt, einen so gut Meu- Karthago. wie neuen Gehrock und eine wenig getrage, unmodern gewordene Hose ihres Gatten zu opfern, damit beides von einem vorRoman von Georges Eekhoud. städtischen Flickschneider für Laurent zurecht gemacht Gina war in ihrer Ungeduld schon die rechte verwöhnte würde. Felicitas freilich fand das alles viel zu schön Frau und zeigte bereits starke Unabhängigkeitsgelüfte. Ihre und zu elegant für einen Jungen, der so wenig auf Toiletten entbehrten selbst in dem Kreise, für den sie bestimmt feine Sachen hielt."" Weiß Gott, gnädige Frau, die Pantinen, waren, gar sehr der bescheidenen Einfachheit, wie sie das die Bluse, die Mühe und die Lederhosen unserer Arbeiter prüde Schicklichkeitsgefühl provinzieller Tugendheuchelei für würden eher für ihn passen."
ein junges Mädchen fordert, dafür zeugten sie aber von einem Der hoch beglückte Paridael mußte seiner mißtrauischen ganz eigenartigen Geschmack, und dazu kam noch, daß sie Gina Rousine fast feierliche Eide schwören, daß er die schönen Sachen in untadeliger Weise zu tragen und so überaus fesch zur nach Thunlichkeit schonen würde. Angesichts der furchtbaren Geltung zu bringen verstand. Die strahlende Schönheit der Verwarnungen und der schweren Verantwortlichkeit, die er jungen Erbin machte von Tag zu Tag tieferen Eindruck auf sich zugleich mit der abgelegten Garderobe des Vetters auf Laurent, ohne daß er sich vorerst darüber klar zu werden ver- den Rücken lud, hätte er wahrhaftig vorgezogen, die unmochte, ob die Gefühle, die er ihr gegenüber empfand, der verwüstlichen und bequemen Sachen seiner Freunde, der FabrikLiebe oder der neidgrünen Scheelsucht entsprangen. arbeiter, anzuziehen.
Die Aussicht auf das abwechselungsreiche Gesellschafts- Es blieb nur noch über ein grün und blau gestreiftes leben und die neuen Triumphe, denen sie entgegenging, hatten Beinkleid zu verfügen, ein scheußliches Ding, das selbst der im übrigen eine günstige Veränderung in Gina's Wesen Vetter, der in Sachen seiner Toilette der anspruchsloseste herbeigeführt, sie war jegt ungleich mittheilsamer und liebens- Mensch von der Welt war, nach dreimaligem Tragen aus würdiger gegen ihre Umgebung, als das in letter Zeit der gemustert hatte. Fall war. Und diese gute Laune und versöhnliche Stimmung Felicitas, die all' diese arg mitgenommenen Sachen beim gewann ihr auch die Sympathien Laurent's wieder, der jetzt Trödler zu Gelde machen wollte, that diese Vertheilung einen bösen gern in der Gesellschaft seiner schönen Base verweilte. Dann Streich durch die Rechnung, denn jedes Stück, das der Waise geschah es wohl, daß die junge Dame den Einsilbigen, der zugesprochen wurde, verminderte den Gewinn, der dem fich scheu in eine Ecke des Zimmers zurückgezogen, heranrief, Fattotum aus dem Verkauf der abgelegten Garderobe des um ihm von ihrem Vergnügungsprogramm und der Zahl der Herrn zufloß. Der Eingriff in das Recht, das ihr von jeher für den ersten Ball verschickten Einladungen ein Langes und zustand, trug natürlich nicht dazu bei, der Haushälterin den Breites zu erzählen und ihre Einkäufe vor ihm auszubreiten; ja fie Eindringling sympathischer zu machen. Laurent hätte ihr geruhte sogar, hin und wieder über Farbe und Muster eines freilich von Herzen gern den ganzen Plunder, vor allem das Stoffes oder bei der Wahl eines Schmuckgegenstandes seinen gräßliche Beinkleid überlassen, aber er durfte doch nicht Rath einzuholen:„ Komm mal her, Bauer, wir wollen mal wagen, der guten Kousine Lydia, die es sich nun einmal in sehen, ob Du Geschmack hast!" Das Epitheton Bauer Klang den Kopf gesezt hatte, ihn glücklich zu machen, den Spaß zu in ihrem Munde so gemüthlich und liebenswürdig, daß dem verderben.
Spißnamen jede verlegende Bedeutung genommen wurde. Gerade jetzt erschien Regina, die die Mutter überall geOb das schöne Wetter dieser familiären Bertraulichkeit von sucht hatte, auf dem Absatz der Bodentreppe.
Dauer sein würde? Laurent ließ sich derartige Erwägungen ,, Aber das ist ja unerhört!" rief sie entsetzt,„ Du denkst vorläufig nicht durch den Kopf gehen. Er genoß sein unver- doch im Ernst nicht daran, Mamal, Laurent mit diesem hofftes Glück wie es sich ein abgehegter Landstreicher in der Trödelkram auszustatten! Dann würde der Bauer seinem behaglichen Ecke einer gastlichen Heimstätte wohl sein läßt, Namen allerdings alle Ehre machen!" ohne der Stunde zu gedenken, die ihn wieder zwingt, seine Einer gutmüthigen Regung folgend wählte sie rasch Straße durch Schnee und Frost weiter fürbaß zu ziehen. aus dem Haufen ein paar Stücke aus, die zur Noth noch Fuhren die Damen aus, dann stand Laurent hilfsbereit dem Hausgebrauch dienen konnten. Und jetzt komme, Mama! unten im Flur oder im Thorweg. Gina ließ sich seine Ritter- Ich habe noch zwei Besorgungen in der Stadt zu erledigen, dienste gefallen und nahm leutselig Umhang, Fächer und da können wir ja gleich bei Saint- Fardier's Lieferanten mit Schirm aus seiner Hand entgegen. Er sah sie behende in den vorfahren. Die werden schon Mittel und Wege finden, den Wagen springen und mit gefälliger Bewegung das kokette Burschen etwas zurechtzustußen. Also, vorwärts, Mama!" Gewirr ihrer Röcke zusammenraffen. Kommst Du endlich, Mama?"" Guten Tag, Bauer!" Kousine Lydia Kletterte athemlos in den Wagen, der Tritt quietschte unter der Last der gewaltigen Masse, und der Wagen neigte sich bedenklich auf die Seite.
waren.
Gina Widerstand leisten zu wollen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Felicitas würgte ihren Ingrimm hinunter und tröstete sich über die übel angebrachte Gunstbezeugung, die das eigenwillige Fräulein an den Teufelsjungen verschwendete, durch Wegnahme der schrecklichen, zweifarbigen Unaussprechlichen.
Nun hatte endlich auch die dice Dame mit einem leßten stöhnenden Seufzer in der Ecke Plaz genommen. Gina's fein Es war das erste Mal, daß Laurent seine beiden Kousinen behandschuhtes Patschchen ließ mit nervöser Haft das Wagen- auf ihrer Ausfahrt begleitete. Der Kutscher wäre vor Schreck fenster herunter, der Pförtner riß die Thorflügel auf und fast vom Bock gestürzt, als er den Schüler heraufflettern und grüßte mit tief herabgezogener Müze chrerbietig die Damen, an seiner Seite Plak nehmen sah. Alle Nasenlang wandte die im nächsten Augenblick Laurent's Blicken entschwunden Laurent sein glückstrahlendes Gesicht Gina zu, um ihr dankbar lächelnd zuzunicken. So war er doch endlich auch ein wenig Neben den Vorbereitungen für die Gesellschaftssaison in der Familie Dobouziez zu Ansehen gekommen! Die unmußte man auch an die Ausstattung des jungen Paridael verhoffte Auszeichnung war ihm fast zu Kopf gestiegen. Er denken, der demnächst in eine internationale Erziehungs- fühlte so etwas von Stolz in sich aufleben und sah von der anstalt des Auslandes geschickt werden sollte. Von dort sollte Höhe mit Geringschäßung auf das armselige Volk der Fußer erst nach Beendigung seiner Studien wieder nach der Heimath gänger hinab. Alle die Demüthigungen und Verlegungen, die zurückkehren.. er sich vordem hatte gefallen lassen müssen, waren unter dem Sousine Lydia und die unvermeidliche Felicitas unter- frischen Eindruck des freudigen Augenblicks vergessen und verzogen zu diesem Zweck Herrn Dobouziez's Garderobe geben. Er dachte gar nicht mehr an Gina's und ihrer Eltern einer eingehenden Musterung. Mit der pedantischen liebloses Benehmen im Falle Tilbat. Peinlichkeit gewissenhafter Archäologen prüften die beiden die Sachen, die der Herr" nicht mehr trug; die einzelnen Stücke wanderten von einer Hand in die andere, wurden von allen Seiten betastet und gewendet und gaben Anlaß zu eingehenden Erörterungen, in denen das Für und Wider sorgsam gegen einander abgewogen wurde. Von der
Ja, er war sogar ganz geneigt, die Wohlthaten feines Vormundes rückhaltslos anzuerkennen, die Kousine Lydia als das liebevollste Geschöpf auf der Welt zu erklären und für das übellaunige Wesen des" Paschas" sein Leberleiden verantwortlich zu machen. Selbst die unliebenswürdige Felicitas erschien ihm heute in milderem Lichte.