Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 207.

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Sonntag, den 23. Oktober.me peng

( Nachdruck verboten.)

Neu- Karthago .

Roman von Georges Eekhoud .

1898

Worten an der Unterhaltung zu betheiligen. In das Interesse, das sie dem Manne entgegenbrachte, mischte sich freilich auch ein klein wenig verdrießlicher Unwille über diesen Eindringling, der sich erdreistete, die mächtigen Fürsten der Handelswelt förperlich und geistig zu überragen. Statt Der alte Daelmans Deynze, dieses Muster eines ihm für die Mäßigung, mit der er sich gegen ihre satirischen Antwerpeners von altem Schrot und Korn, hatte Gefallen Spitzen vertheidigte, Dank zu wissen, fühlte sie sich gedemüthigt, an dem geweckten Burschen gefunden und ihm das noth- von ihm, dessen geistige Ueberlegenheit sie beim ersten Worte wendige Kapital zur Vergrößerung seines Geschäfts zur Ver- erkannt hatte, mit solch' schonender Herablaffung behandelt zu fügung gestellt. Nachdem Bergmans eine furze Zeit die werden. Die ganze Art der Abwehr, zu der sich der junge Schule seines wohlwollenden Gönners genossen, gab er den Mann faft widerwillig bequemte, trug das Gepräge galanter Fischhandel auf, um sich fortan dem Großhandel, vorzugsweise Respektsbezeugung. Der Widerstreit der Gefühle, die Gina dem Produktengeschäft zu widmen. Er wurde dabei reich, beseelten, machte ihr selbst ein flares Unterscheiden unmöglich. ohne daß sein wachsender Wohlstand seiner Volksthümlichkeit war das Gefühl der Bewunderung stärker als das des Eintrag gethan hätte. Er blieb nach wie vor das Idol der Mergers? Was sie für diesen Mann empfand, konnte ebenso Kleinen, wußte sich dabei aber auch bei den maßgebenden gut als Widerwille wie als Zuneigung gedeutet werden. Als Progen zur Geltung zu bringen und verhandelte mit den sie im Laufe der Streiterei einmal besonders hart stolzesten Häuptern der Handelsoligarchie auf dem Fuße der ins Gedränge gerieth und nicht mehr ein noch Gleichberechtigung. mordstatou si usut aus wußte, rief sie Herrn Béjard zur Hilfe herbei,

Bergmans war der anerkannte Führer der demokratischen der sich in seinen Kreisen als Meister der Disputirkunft Nationalpartei. Wenn er auch bisher noch nicht in der Kammer gewaltigen Ansehens erfreute. Gina bot Bergmans dadurch saß, so vertrat er in Wahrheit eine stärkere Macht, als die Gelegenheit, sich einmal mit einem der Leute zu messen, den Abgeordneten, die von einer beschränkten Zahl gewählt waren. er für den moralischen Niedergang seiner Vaterstadt ver­So war er alles in allem ein Mann, für den seine Partei- antwortlich machte. Bergmans machte seinem Herzen in gänger, mit anderen Worten, die Mehrheit der seßhaften, bitteren Worten Luft und handhabte seine scharfe Klinge mit altantwerpener Bevölkerung durch's Feuer gegangen wäre. gewohntem Geschick, gleichwohl blieb er seiner Savalierspflicht In Rücksicht auf seine Ehrlichkeit, seinen hellen Blick, ſeine eingedent, er achtete die Neutralität des Salons, in dem er vernünftige Anschauungsweise und persönliche Liebenswürdig als Gast weilte und legte sich um so größere Mäßigung feit mußte ihm eine halbwegs feinfühligere Natur seine kleinen auf, als ihm viel daran lag, sich Regina's Achtung zu er­Schwächen, beispielsweise seine Windbeutelei und Ueberwerben. treibungssucht, seine Voreingenommenheit für Glanz und Aber gerade diese Nähe des Gegners brachte Béjard in Flitter und ein gewisses Sichgehenlassen in der Sprache gern Harnisch und ließ ihn ungeschickt und grob werden. Jeder der beiden verzeihen. Männer hütete sich indessen augenscheinlich, die Dinge zu berühren, sch Der leidenschaftliche Volksredner, der nie ein Blatt vor die ihnen zumeist am Herzen lagen. Sie maßen ihre Sträfte, den Mund nahm, wandelte sich im Salon zum vollendeten suchten gegenseitig ihre schwache Stellungen auszufundschaften Meister gesellschaftlicher Plauderei. Er sprach das Französisch und sprachen ihren Haß, ihre unvereinbaren Gegensäge und wider­mit ausgesprochenem Akzent, zerrte und dehnte die Silben strebenden Instinkte in halbversteckten Andeutungen und bild­über Gebühr und bereicherte die Sprache um eine Fülle von lichen Anspielungen aus. Béjard ließ sich von dem Takt und Bildern, die seiner Rede ein ganz eigenes Kolorit gaben. Den dem versöhnenden Geist, der aus den Worten seines Gegners Frauen drückte er seine Bewunderung oft genug in recht herausklang, keinen Augenblick über dessen wahre Gesinnung kräftigen Worten aus, was diesen mit banalen Höflichkeits - täuschen. Er empfand sehr wohl, daß er sich hier einer phrasen überfütterten Modepuppen nicht übel gefiel, wenn sie Macht, einem Talent, einem Charakter gegenüber fah, der auch äußerlich des guten Tones wegen die gekränkte Unschuld mit ganz anderen Maßstäben gemessen sein wollte, als das spielten. Durchschnittsvolt, das er bisher in den öffentlichen Ver­

Auf dem Balle bei Dobouziez strafte der liebens- sammlungen kennen gelernt hatte. Béjard vermochte nicht würdige Schwerenöther den schmeichelhaften Ruf, der ihm recht einzusehen, daß dieser Liebling des Volkes, dieser boranging, nicht Lügen. Es versteht sich, daß seine Auf- Fanatiker der nationalen Jdee, an diesen frivolen Gesellschaften merksamkeit in erster Linie Gina galt. Er sah sie zum ersten Mal, und diesen faden Unterhaltungen, die ihn in seinem Fühlen aber er hatte ohne weiteres erkannt, daß sich hinter dieser und Denken oft genug verlegen mußten, das Vergnügen stolzen Schönheit, die seinem Schönheitssinn und seinem Ge- finden sollte, das sich die anderen einzureden suchten. Dafür schmack für gesunde Kraft und edele Form schmeichelte, ein war er sich aber um so klarer über die unfreundlichen Ge­originellerer und interessanterer Geist barg als hinter der glatten fühle, die Bergmans für ihn und seinesgleichen hegte, obwohl Alltagslarve der anderen. Gina hatte ihrerseits nicht ver- dieser immer luftiger und liebenswürdiger wurde, je mehr fehlt, ihm einen der vielbegehrten Tänze zu reserviren. Berg - sich der andere in die Wuth hineinredete. mans freimüthiges, gesundes Wesen und die gefällige Un- Als Béjard schließlich sah, daß er den Kürzeren zog, gab gezwungenheit seiner Bewegungen hatten Eindruck auf das er die Sache auf und räumte das Feld zum nicht geringen junge Mädchen gemacht, daß zum ersten Male einem jungen Mißvergnügen von Gina, die es nicht verwinden konnte, daß Mann begegnete, der ihre Aufmerksamkeit zu fesseln würdig war. Bergmans, dieses Orakel des Pöbels, gegen einen Bonzen, Abgesehen von der mustergiltigen, mit der Mode stets Schritt auf den selbst Herr Dobouziez große Stücke hielt, recht be. haltenden Korrektheit der Toilette hatte Gina an den beiden halten sollte... Saint- Fardier's nichts Schätzenswerthes zu entdecken vermocht. 1 Deshalb kam es ihr auch nicht einen Augenblick in den Sinn, ihren lieben Freundinnen Angela und Cora einen ihrer An­beter abspenstig zu machen.

Regina traf Bergman währends, des Winters zu wieder. holten Malen in der Gesellschaft. Sie fuhr fort, ihm etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als ihren anderen Verehrern, und behandelte ihn als Kameraden, Fräulein Dobouziez benutzte die Tanzpause, um mit Berg- ohne daß er hätte aus ihrem Benehmen schließen können, mans eines jener geistreichen Wortgepläntel zu beginnen, die daß sie ihm den Vorzug gab. Den fleinen Vanderling's, ihre besondere Stärke waren. Diesmal hatte sie indessen ihren die sie wegen ihrer Tändelei mit dem Umsturzmann" neckten, Meister gefunden. Bergmans parirte die Hiebe mit ebenso antwortete sie gleichmüthig: Was Ihr nicht alles wißt! Sch viel Geschicklichkeit wie vornehmer Höflichkeit, und wenn er unterhalte mich gut mit ihm, das ist alles!" Uebrigens fiel hier und da die Ausfälle erwiderte, so geschah es mit solch es auch niemandem ein, diesem kameradschaftlichen Verhältniß schonender Rücksicht, daß man ohne weiteres erkannte, er hege besondere Bedeutung beizumessen. den Wunsch, seiner stürmischen Gegnerin gegenüber überlegene Großmuth walten zu lassen. Man sah das Paar im Verlaufe des Balles öfter bei einander stehen. Selbst wenn Gina mit anderen Herren tanzte, fand sie Gelegenheit, sich der Gruppe, in der Bergmans stand, zu nähern und sich mit ein paar

Bergmans, den Gina's Reize ganz in Fessel geschlagen hatten, mußte sich förmlich Zwang anthun, um ihr nichts von seinen Gefühlen zu gestehen. Die gemeinsamen Standes­intereffen und die Uebereinstimmung der Anschauungen und Lebensabsichten, die Béjard mit Gina's Eltern verbanden,