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Schau getragene Gleichgiltigkeit, die in einer unüberwindlichen vollen Farben ließ sich nicht auf die Dauer in dieser Weise unterSchüchternheit und einer langsamen und schwerfälligen Sprech drücken. Die letzten Jahre brachten eine entschiedene Reaktion gegen und Ausdrucksweise ihre Ergänzung fand, stand in argem Miß- das Grau, die vielfach auf Kosten der mühsam errungenen Naturverhältniß zu dem fast frankhaft gesteigerten Sinnenleben und wahrheit mit kräftigen leuchtenden Farben arbeitete. In diesen Zusammenhang ist die neue Richtung, der Neoder nervösen überempfindlichen Senjibilität. Es war ein wahrer Impressionismus, einzuordnen. Was er erstrebt, ist die höchste Steiges Lavastrom Heißer Begierden und schwermüthiger Regungen, der rung von Licht und Farbe. Er will sie erreichen durch eine prismatische unter der erstarrten Oberfläche brodelte. Farbenzerlegung. Mit einer wissenschaftlich durchgebildeten Theorie Schon von der frühesten Kindheit an waren in Laurent's tritt die neue Richtung auf, die sich auf die Thatsachen der Charakter seltsame und widerspruchsvolle Züge hervorgetreten, Physik und Physiologie stügt. Paul Signac , einer der Besten unter die die Eltern mit Sorge für die Zukunft erfüllt hatten. Die diesen Malern, hat sie in dem kürzlich erschienenen Heft des„ Ban" Vorahnung der Prüfungen, die ihm das Schicksal vorbehielt, auseinandergesetzt. machte den Eltern den Spätgeborenen nur noch theuerer. Farbenton auf die Leinwand, sondern sie analysiren ihn und setzen Die Neo- Impressionisten bringen nicht den fertigen, gemischten Aber außer den geliebten Angehörigen, denen Blutsgemein- die einzelnen Elemente, aus denen er sich zusammensetzt, Lokalfarbe, schaft und Nachempfindungsvermögen die verborgenen Schäße Beleuchtungsfarbe, Reflerfarbe u. f. w., getrennt auf die Leinin der Seele des Kindes enthüllten, war kaum einer, der wand. In der Nähe betrachtet, weisen ihre Bilder nichts als Laurent nach Verdienst gewürdigt hätte. Es ließ sich nicht scheinbar wirre Haufen von Facbenflecken auf. Es bleibt der Netzhaut leugnen, daß auch die schärfste Beobachtungsgabe an dem des Auges überlassen, diese Einzelfarben zu einem Gesammtbilde Sie nüßen die physiologische Thatsache aus, Jungen zu schanden werden mußte, der jeder Annäherung zusammenzusetzen. auf der Netzhaut tein tein optischer Eindruck in seiner auswich und durch sein Aeußeres wahrlich nicht für daß den Raum Wirkung auf beschränkt bleibt, den feine sich einnahm. Entweder hinderten hn falsche Scham Lichtwellen gerade treffen, sondern daß er auch auf die und Schüchternheit, den Ueberschwang seiner Gedanken benachbarten Theile übergreift und die in diesen gerade. und Gefühle überhaupt laut werden zu lassen, werden zu lassen, oder vorhandenen Farbenempfindungen modifizirt. Natürlich emwenn er es ja that, so geschah es in Worten, deren über- pfängt diese Stelle auch eine Rückwirkung, und so werden bei triebene Heftigkeit weit über das Ziel hinausging, das Her räumlich so eng begrenzten optischen Eindrücken wie den Farben ommen und Brauch gesezt haben. flecken Mischungsprozesse hervorgerufen, deren Resultat eine einheit
So konnte es gar nicht fehlen, daß Laurent stets falsch lich farbliche Empfindung ist. Dieser Prozeß tritt um so deutlicher oder gar nicht verstanden wurde. Die Besten und Hell- in die Erscheinung, je fleiner jeder auf der Netzhaut getroffene Fleck äugigsten täuschten sich bei der Beurtheilung seines Charakters ist. Sieht man ein solches Bild ganz aus der Nähe, so erscheint jeder einzelne Pinselstrich in seiner Besonderheit, da die Stelle, die oder nahmen an der zügellosen Begeisterung und der bis zum die von ihm hervorgerufenen Lichtwellen auf der Netzhaut bedecken, Aeußersten gehenden Schroffheit feiner Ausführungen relativ groß ist; tritt man zurüd, so werden die Bilder der einzelnen Aergerniß. Solch maßlosen Wallungen überschäumender Stellen auf der Netzhaut fleiner und kleiner und der MischungsHeftigkeit folgte dann unvermittelt der Rückschlag seelischer prozeß vollzieht sich immer vollständiger. Niedergeschlagenheit. Kein Wunder, daß Laurent unter Mit dieser physiologischen Grundlage ist die Theorie der Neos seinen Mitschülern keinen Freund fand. Er wäre gewiß Impressionisten natürlich nicht erschöpft. Sie haben auch im einzelnen Sie wägen der Prügeljunge der Anstalt geworden, wenn seine hage- bestimmte Anschauungen über die Farbenverhältnisse. büchenen Fäuste die rauflustigen Kameraden nicht in Schach gehalten hätten. Der vorzeitige Tob der Seinigen hatte zwar nicht dazu beigetragen, ihm das Leben zu verleiden, wohl aber hatte er seitdem gelernt, es nach seiner Weise aufzufassen. Er war immer schweigsamer und verschlossener geworden. Wie er jeder Zumuthung, die man an seine opferfreudige Hingabe und an sein Bartgefühl stellte, gern und willig Folge leistete, so war er auch für jedwede schwärmerische Idee leicht Feuer und Flamme und würde unter gewissen Umständen dem Laster ein Fürsprecher geworden sein und das Verbrechen verherrlicht haben. Je nach den Umständen konnte er ein Märtyrer oder ein Mörder, vielleicht auch beides zugleich werden.
( Fortsetzung folgt.)
Die Ausstellung der Neo- Impressionisten ist in dem neuen Kunstsalon von Keller und Reiner*) am Sonnabend eröffnet worden. Damit ist zum ersten Male in Berlin eine moderne Richtung der Malerei in ihren ursprünglichen Vertretern zu sehen, die den Anspruch erhebt, durch ihre Technik über jede frühere Richtung hinausgekommen zu sein. Eine solche Ausstellung erfordert eine andere Betrachtungsweise als die üblichen. Sie will historisch beurtheilt sein, und es kommt darauf an, ihren Plaß in dem Entwidelungsgang der modernen Malerei festzustellen. Das Ziel, das zu erreichen die modernen Maler unablässig gerungen haben, ist: den unmittelbaren Eindruck, den wir von der Natur empfangen, auch im Bilde wiederzugeben. Vor allem galt es, die perspektivische Vertiefung, in der uns die Dinge in der Wirklichkeit erscheinen, so darzustellen, daß man vor einem Ausschnitt aus der Natur, in dem der Blick durch den Rahmen wie durch ein Fenster in weite Fernen geht, und nicht vor einer bemalten Leinwand zu stehen meint. Das wesentliche Mittel für den modernen Maler, diesem Ziel näher zu kommen, war von vornherein die Farbe. Durch scharfe Beobachtung und Betonung der Nebenwerthe, der unendlich feinen Variirungen, welche die Lokaltöne durch das Spiel der Luft und des Lichts erfahren, gelang es, den gesuchten Eindruck in immer gesteigertem Maße zu erzielen. Eine Schwierigkeit aber stellte sich diesem Streben entgegen: die Leuchtkraft und der Glanz der Farben, also das Schönste, was der Malerei zu Gebote steht, schwand in demselben Maße, als die einzelnen Farbentöne reicher nuancirt wurden. Man tam schließlich dahin, daß ein eintöniges Grau die Grundfarbe in allen Bildern wurde. Ganz abgesehen davon, daß ein solches Bild der Natur keineswegs mehr entsprach, da deren Farben unter dem Lichte der Sonne eine außerordentlich viel höhere Leuchtfraft besigen als die der Palette, die Freude des Malers an den
*) Potsdamerstr. 122. Die Ausstellung ist auch am Sonntag von 11-3 Uhr geöffnet. Eintrittspreis 50 Pf.
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die einzelnen Elemente gegen einander ab und bedienen sich des Kontrastes der Komplementärfarben als des wichtigsten Ausdrucksmittels, sie fordern und das ist für die Farbenmischung von ingroßer wichtigkeit, daß die Größe der einzelnen Farbenflecken in einem wohl abgewogenen Verhältniß zur Größe des Bildes selbst steht, so daß für jedes Bild je nach der Größe ein bestimmter Abstand der günstigste ist. Sie wollen, daß Linie und Farbe zus sammenwirken und daß beide sich zu harmonischer Wirkung im Bilde vereinen. Signac schreibt den Linien wie den Farben Ausdrucksfähigkeit zu: er verlangt z. B., daß aufsteigende Linien, die Freude ausdrücken, sich mit warmen, hellen Tönen, fallende dagegen, die Trauer verkünden, mit dunklen Tönen gesellen. Man wird sich darüber klar sein müssen, daß diese Farbenanschauung durchaus nicht etwas absolut Neues, sondern nur die fonsequente Fortentwidelung von im Reime längst vorhandenen Tendenzen ist. Einmal ist es eine alte Erfahrung, daß die Farben um so trüber werden, je mehr der Maler sie mischt, und daß klare, leuchtende Nuancen nur durch völlig reine Farbstoffe herausgebracht werden können. Was ist es sonst anderes, das die Maler dazu treibt, mehrfaches Uebergehen derselben Stellen auf der Leinwand zu vermeiden und möglichst à la prima herunterzumalen! Andererseits ist das starke Blau der Schatten schon jedem aufgefallen, der moderne Bilder gesehen hat. Sie entspringen demselben Prinzip: Da man die durchsichtigen blauen Töne der Schattenpartien nicht mit der noth wendigen Klarheit wiedergeben konnte, wenn man sie mit den Lokaltönen gemischt darstellte, so zog man sie heraus und gab sie gesondert, steigerte sie auch wohl in ihrer Jtensität. Die neue Richtung dehnt diese Technit mur auf alle Farben aus. Signac ist sich dessen auch durchaus bewußt; er bemüht sich sogar, die Verbindung mit der früheren Entwickelung herzustellen.
Eine andere Erwägung scheint dagegen einen schwerwiegenden Einwand darzustellen. Bisher und gerade in der modernen Malerei wird ein besonderer Nachdruck darauf gelegt, daß die Technik ihren eigenen Bedingungen entspreche; das Arbeiten mit dem Pinsel erfordert eine breite, große Strichführung, und nur schwächliche Künstler fönnen an mühsamer spißpinseliger Strichelei Gefallen finden. Je kühner die Pinselhiebe auf der Leinwand sizen", um so bewundernswerther scheint uns die Technik des Malers. Die Feinheit der Strichführung giebt den Bildern besondere künstlerische Qualitäten, und diese fallen bei der Hat der Maler einmal die für den Einneuen Technik ganz fort. druck bestimmenden Farbenelemente in der darzustellenden Natur erkannt, so braucht er sie nur auf die Malfläche zu übertragen. Diese rein technische Seite wäre also eine mechanische Thätigkeit und von Kühnheit, von Virtuosität der Technik nicht mehr zu reden. Selbst wenn dies stimmte auf die künstlerische Wirkung tame es schließ lich doch allein an; ließe sich so eine stärkere Wirkung erreichen, so Eine genauere Bewürde dieses Opfer nicht zu groß sein. trachtung der Bilder zeigt aber, daß auch bei ihnen von einer rein Zunächst handelt mechanischen Thätigkeit nicht die Rede sein kant. es sich um Farbenflecken, nicht um Punkte, und diese sind mit so mannigfachem Wechsel in den Lagen, mit einer so feinen Variirung in den Nuancen von Strich zu Strich hingeworfen, daß man auch
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