Anterhaltungsblatt des Vorwärts
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Mittwoch, den 2. November.
( Nachdruck verboten.)
1898
Rechnungsführer zu Gesicht bekam. Ach, Unsinn, das ist ja nicht möglich," dachte er und setzte seinen Weg fort. Aber die Nengierde ließ ihn bald wieder umkehren. Nein, ein Irrthum war ganz ausgeschlossen! Door zweifelte nicht länger, Laurent Paridael vor sich zu haben und ging mit ausgestreckten Händen auf ihn zu.
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Roman von Georges Eekhoud . Eine wahre Gottesgeißel ist das Lumpenpad für uns Seeleute!" polterte er. Die Banditen haben mich oft genug Laurent, der gerade mit einer Ladung Neisballen, deren Verwas Rechtschaffenes zusammenfluchen lassen! Wenn die erst einmal wie eine Heerde schwimmender Fische das Deck über- frachtung die Amerika " übernommen hatte, beschäftigt war, hatte schwemmten, dann wußte man sich vor ihren zudringlichen diese unverhoffte Begegnung anfangs außer Fassung gebracht, daß Berführungsfünften kaum zu retten. Nun, ich war damals er nahe daran war, sich zu drücken, aber durch Door's herzliches Entgegenkommen gewonnen, fand auch er bald wieder den zu ſehr in Siska verschossen, um auf ihre Teufelskniffe herein alten Ton gemüthlicher Vertraulichkeit. Laurent hatte feine zufallen. Ich ließ mir wohl ihre Preislisten und Muster auf Arbeit einen Augenblick im Stich gelaffen und ging mit feinem schwatzen, aber das war auch alles. Ich hätte mich schön ge- Freunde plaudernd auf und ab. Bergmans machte sich weidhütet, Lohn und Gesundheit ihren schmutzigen Händen anzu- lich über den sonderbaren Einfall, bei einer Nation" als vertrauen. Aber trotzdem war ich immer heilsfroh, wenn ich Buchhalter einzutreten, luftig und stellte seinem jungen Freunde auf ihre Köder nicht angebissen hatte und erst glücklich unverweilt das Anerbieten, ihm in seinen Bureaus eine Stelle wieder auf dem Lande war. Ich sage Ihnen, Herr Laurent, zu geben, die seinen Kenntnissen und seiner Erziehung würdiger diese„ Runners" sind rechte Helfershelfer des Teufels!" Vincent Tilbak hätte nun freilich bemerken können, daß wäre. Zur nicht geringen Ueberraschung Bergmans lehnte Laurent δας Anerbieten indessen rundweg ab. Er Laurent, weit entfernt seine Abneigung zu theilen, die jungen erging sich des weiteren in so aufrichtigen LobRunners" mit gar nicht unfreundlichen Blicken betrachtete. preisungen seines derzeitigen Berufs und machte so viel Ja eines Tages vergaß er sich sogar so weit, seinem Führer Rühmens über seine neuen Genossen, daß Bergmans gar zu eröffnen, daß er bei sich eine gewisse Seelenverwandtschaft nicht weiter in ihn drang. Gina's geschah in ihrer Untermit diesen anrüchigen Gefellen entdeckt hätte. Der recht haltung keine Erwähnung, und Laurent verabschiedete sich von schaffene Tilbak hatte bei diesem bei diesem überraschenden Ge- Bergmans mit dem Versprechen, öfter mit ihm, Marbol und ständniß indessen ein solch berduktes Gesicht ge- Bybeloh zusammenzukommen.
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macht, daß Laurent, der sofort erkannte, daß er einen Der Maler Marbol, ein hageres, nervöses Rerlchen, verrechten Schnitzer gemacht hatte, die Sache als Scherz hin barg hinter der blutlosen Physiognomie fräntlicher Hinfälligkeit zustellen suchte. Die Neigung für alles Unregelmäßige und eine ungewöhnliche Willenskraft und zähe Beharrlichkeit. Seit der Ordnung Widerstrebende herrschte nun einmal bei ihm etwa zwei Jahren hatte er sich durch seine Bilder, in denen vor. Aus dieser Neigung entsprangen auch, ohne daß er sich er das wirtliche Leben in seiner ganzen ungeschminkten Naturdavon Rechenschaft zu geben wußte, seine unklaren Triebe, wahrheit zur Darstellung brachte, ein gewisses die herzbeklemmende Angst, und die Mitleidsregungen, die ansehen erworben. In der blühenden Kunststadt gesichts der„ Steinernen Mühle", der Zufluchtsstätte aller, die ehedem, die heute nur Sudler und Atelierkoloristen beim Leben Schiffbruch gelitten hatten, auf ihn einstürmten.-- herbergt, war er der einzige, der das Pleinair, die Straße, Das an Arbeit und heilsamer Ablenkung reiche Leben, das die Lofalfarbe und den Lokalton seinen Zwecken dienstbar zu er in Gemeinschaft braver Burschen vom Schlage der Jan machen begann. Sein Aufsehen erregender, just einen Tag Vingerhout führte, die Freundschaft mit Vincent und vor der Preisvertheilung erfolgter Austritt aus der von Sista, vor allem aber der gefunde Einfluß, den der Verkehr Teniers und den urgefunden Naturalisten des 17. Jahrmit Henriette auf ihn ausübte, hinderten die Krankheitsfeime, die in ihm schlummerten, sich fräftiger zu entwickeln. Laurent war jetzt bei den Tilbaks ein ständiger Gast. Zwischen ihm und Henriette knüpfte sich bald das Band geschwisterlicher Vertraulichkeit. Nie hatte er einem weiblichen Wesen gegen über ein solches Gefühl des Wohlseins und freier Ungezwungenheit empfunden. Ihm war es oft, als wären sie schon seit Jahren bekannt, als wären sie miteinander aufgewachsen. Am Abend half Laurent Gierket und Luise bei den
Schularbeiten.
hunderts begründeten Malerakademie, die unter der Leitung manierirter Mäßchenmacher, Leuten, die als Maler ebenso zaghaft wie als Lehrer unduldsam sind, zu Grunde gerichtet wurde, hatte ihm die Feindschaft der offiziellen KunstKlique, der Händler, der Käufer, der Kritiker und all der Mächtigen zugezogen, deren Wohlwollen der Künstler sein Brot und seine Berühmtheit verdankt.
Antwerpen malen, sein eigenes Leben, seinen Hafen, feinen Fluß, seine pausbackigen drallen Kinder, die einst Rubens für Die ältere Schwester hantirte geschäftig werth und würdig hielt seinen Götterhimmel zu bevölkern, all in der Wirthschaft und bewunderte die wissenschaftlichen dieses prächtige Menschenvolk in seinem Milieu mit der ge Kenntnisse des jungen Mannes. Nach dem Abendessen las er der Familie vor oder behandelte in anziehendem Plauder wissenhaften Sorge eines für jede charakteristische Einzelheit ton irgend eine interessante Frage. Henriette hörte mit helläugigen Beobachters auf die Leinwand zu bannen, das ton irgend eine interessante Frage. Henriette hörte mit war ein Programm, das eine überreiche Fülle von malerischen glühender Inbrunft zu, ohne sich indessen eines gewissen Un- Vorwürfen bot. Die Händler und die Stäufer, die sich einzig behagens erwehren zu können. Wenn er auf die Zustände für Puppen und angezogene Marionetten zu erwärmen verder modernen Gesellschaft und die Noth der Menschheit zu mochten, sahen in solch thörichtem Beginnen freilich sprechen tam, flang dem jungen Mädchen vor allem nur die That eines Narren und überspannten Drauf der bittere Ton seiner Worte ins Ohr, der sie mehr erregte, gängers. Ein Marboli'sches Bild, das für eine aus als der eigentliche Inhalt seiner Reden. Mit dem vorahnenden ländische Gemälde Ausstellung bestimmt, vor der Instinkt des liebenden Weibes erkannte Henriette den tief sendung dem kritischen Urtheil der heimischen Kunstkenner wurzelnden Leidenszustand und den inneren Zwiespalt dieser unterbreitet wurde, erregte bei diesen nur unbändige Heiterkomplizirten Natur, und je heftiger sich Laurent's Mitleid mit feit, ironische Beileidsbezeugungen oder verächtliches Schweigen. den Armen und Elenden äußerte, desto herzlicher kam sie ihm Das Bild nannte sich„ Hafenarbeiter bei der Mittagsruhe". entgegen in der Erkenntniß, daß unter allen Unglücklichen Auf einem abgespannten Rollwagen hielten drei Arbeiter ihr dieser da der werkthätigsten Nächstenliebe am dringendsten Mittagsschläfchen. Der eine lag auf dem Rücken, die Beine waren leicht nach außen gestreckt, der müde Kopf war zwischen
bedürfte.
Ver
In ihrer Nähe verloren seine Anschauungen übrigens den hinter dem Naden vereinigten Händen gebettet; das nach und nach ihre äzende Schärfe. Unter der fürsorglichen fonnverbrannte Gesicht zeigte den starren Ausdruck schlafMildherzigkeit, die aus diesen großen blauen Augen leuchtete, trunkener Lethargie, und zwischen den halbgeschlossenen Augenfam ihm nur noch die wohlige Behaglichkeit der Gegenwart, fibern wurden die schwarzen, verschleierten Pupillen sichtbar. die liebe Umgebung und die heitere Seite des Lebens zum Die beiden anderen streckten sich fich platt auf dem Bewußtsein. Bauche aus. Die schmierigen, prallsigenden Arbeitshosen ließen die mächtigen Schenkel in ihrer ganzen hervortreten und zeichneten die Körperlinien Door Bergmans wollte seinen Augen nicht trauen, als er Fülle eines Tages beim Passiren der Quaistraßen den jungen scharf ab. Der Beschauer sah von den Kerlen, die ihm
XIV.