Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 216.

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Freitag, den 4. November.

( Nachdruck verboten.)

Meu- Karthago.

Roman von Georges Eekhoud  .

,, Was haben sie nur bor?" fragen sich die Polizisten, denen die unheimliche Ruhe der Leute nicht geringere Sorge bereitet als die entschlossene Haltung und das ironische Lächeln, das ihre Mundwinkel umspielt.

1898

zu verzichten. Dieses Verlangen wurde von Béjard ganz ent schieden zurückgewiesen. Er wartete schon gar zu lange, und man schuldete ihm diesen Kammerfig gut und gern für die langjährigen Dienste, die er der Oligarchie geleistet hatte. Dagegen ließ sich freilich nichts Rechtes einwenden. Uebrigens hatte er seine Standesgenossen auch gar zu gut in der Hand. Er wußte gar zu viele kompromittirende Geheimnisse, und zwischen ihm und jenen standen eine Unzahl drohender Ge­spenster. Die frummen Diebskrallen des ehemaligen Sklaven­händlers hielten Ehre und Vermögen der lieben Freunde. Die hohen Bogenfenster im linken Flügel des zweiten und dann besaß der Teufelsbursche auch ein Organisations­Stockwerks des alten Rathhauses sind hell erleuchtet. Die talent, das seine Mitarbeit unentbehrlich machte. Keiner Sigung scheint noch nicht zu Ende zu sein. Man ist gerade wußte wie er den Wahlfeldzug zu leiten, die fliegende im Begriff, zur Abstimmung zu schreiten, über deren Ergebniß Kolonne der Gastwirthe seinen Zwecken dienstbar fein Zweifel herrscht, denn alle diese Herren verständigen sich zu machen und im entscheidenden Augenblick wirkungs­wie feilschende Händler auf dem Markt. voll eingreifen zu lassen. Ohne seine thätige Mithilfe Neun Uhr. Beim legten Glockenschlag läßt Vingerhout war die Niederlage der Partei im Vorhinein besiegelt. einen furzen Pfiff ertönen, das verabredete Signal für die Seine Helfershelfer, die in der Wahl der Mittel nicht Kameraden, die sich alle wie ein Mann zur Erde neigen und eben wählerisch waren, ließen in den Kneipen Getränke auf­fich gleichmüthig anschicken, die Pflastersteine heraus zu reißen. fahren und suchten die Wähler zum Zwecke der Bearbeitung Die Sache ist im Handumdrehen erledigt, und die Arbeit in ihrer Behausung auf. Auch brachte es ihr Amt mit sich, wird so fix ausgeführt, daß die amtseifrigen Schergen in Zahlungsschwierigkeiten befindliche Gastwirthe aufzufinden, ganz umsonst ihre Lungenkraft daran setten, das frevlerische um sie durch das Versprechen von Darlehen und Kunden­Beginnen zu verhindern. 1Jzuführung zu födern. Besonders Mißtrauische erhielten wohl

Zum Zeichen, wie er sich die weitere Entwickelung der auch die Hälfte einer Banknote und die Zusicherung, die zu­Dinge denkt, wirft Jan Vingerhout jezt einen Pflasterstein in gehörige Hälfte nach erfolgter Stimmabgabe ausgeliefert zu eins der Fenster des Sigungssaales. Die anderen heben die bekommen, vorausgesetzt, daß der Direktor des Südkreuzes" Arme gleichzeitig, den Stein in der wurfbereiten Faust. Aber als Sieger aus der Wahlschlacht hervorgehen sollte. auf ein Zeichen Vingerhout's lassen sie die Arme wieder sinken. Anderen Beamten seines umfangreichen Wahlbureaus, Sachte, sachte, Freunde, vielleicht ist's an der einfachen das so komplizirt und vielgestaltet wie ein Ministerium war, Benachrichtigung schon genug!" Er scheint Recht zu haben, lag es ob, die für die unsicheren Kantonisten bestimmten Wahl denn eben kommt ein Amtsdiener athemlos aus dem Rath zettel durch gewisse Zeichen äußerlich fenntlich zu machen, Haus gestürzt, um Vingerhout zu melden, daß die Herren des andere wieder beschäftigten sich mit Schäzungen und Wahr­Stadtraths die Entscheidung hinausgeschoben haben. scheinlichkeitsberechnungen und Eintheilung der Wählerschaft Was treiben sie denn noch da oben?" fragte Vinger- in gute, schlechte und unzuverlässige Subjekte. Nach dem hout mißtrauisch und zeigt nach den erleuchteten Fenstern. Voranschlage mußte Béjard mit wenigstens tausend Stimmen Der schreckenerregende Bingerhout ist wohl ein Mann, mit dem Majorität siegen. Er unterließ es gleichwohl nicht, wo er nicht zu spaßen ist, aber so schlimm, wie er sich den Anschein konnte, welche dazu zu kaufen und vertheilte zu dem Zwecke giebt, ist er nicht. Er kennt die Herren Stadtväter genau mit vollen Händen das Geld aus der Gesellschaftskasse, ja er und wußte auch, daß der Stein, den er geworfen, keinen griff sogar in seine eigene Tasche. Im Interesse seiner Sache Menschen treffen konnte, was er allerdings nur Laurent wäre es ihm gar nicht darauf angekommen, sich zu ruiniren. gesteht. Seine Wahlagenten bearbeiteten die Bauern im Land­

Die Lichter oben im Saal sind verlöscht. Bürgermeister, freise und erzählten den braven Landleuten, die so orthodox Schöffen, Stadträthe treten verlegen und kleinlaut aus dem wie die Aristokratie und obendrein noch über die Maßen aber­Rathhausportal, umgeben von einem Heer bewaffneter Tra- gläubisch sind, die gruseligsten Geschichten. In seiner geschicht­banten. Man hat die Gendarmerie und die Bürgergarde auflichen Unbildung nahm das Bauernvolt den Namen Geusen  " geboten, die Truppen sind in den Kasernen konsignirt und im Sinne des Wortes. Der kleinste Stellenbesizer erinnerte Béjard war sogar dafür, aus Brüssel   Militär telegraphisch zu sich schaudernd der tollsten Spinnstubenmärchen und sah sich verlangen. Aber die Nationen" sind mit dem Ergebniß ihrer schon geplündert, mißhandelt und sein Haus in Brand gesteckt fleinen Manifestation ganz zufrieden, sie werfen ihre Pflaster- wie zur Zeit der Kosakenplage. Das fehlte gerade, daß er steine zur Erde, gehen wie gutmüthige Riesen, die sich ihrer solche Strauchdiebe und Mordbrenner wählte! Im Dorf­Straft bewußt sind, langsam auseinander und lassen sich daran genug sein, die Herren Stadträthe auszupfeifen. Besonders starkes Pfeifen begrüßt das Erscheinen Béjards, der allen Ernstes für sein theures Leben fürchtet.

Der eingeschüchterte Stadtrath beschließt flugerweise, die brennende Frage bis nach der Erledigung der Kammerwahlen zu vertagen.

tretscham verbreiteten Béjard's Agenten selbstverständlich die ungeheuerlichsten Gerüchte über Bergmans und leisteten sich Verleumdungen abenteuerlichster Art, die in der Stadt schwer an den Mann zu bringen waren, die hier an den beschränkten Tölpeln aber eine gläubige Gemeinde fanden.

Door den Berg hatte gegen diese Treibereien nur seinen Charakter, sein Talent, seine persönlichen Eigenschaften, seine Bergmans hat sich mit aller Entschiedenheit der Sache Ueberzeugungstreue, seine Rednergabe und sein gewinnendes der Schauerleute angenommen, und da er bei der Wahl Aeußere in die Waagschale zu werfen; da konnte es nicht Freddy Béjard's Gegenkandidat ist, treten die" Baes" der Schauergenossenschaften warm für ihn ein. Laurent ist Mit­glied eines Vereins gleichaltriger Heißsporne geworden, die sich die junge Garde der Geufen" nennt und unter den Be­rufsgenossen und dem einheimischen Kleinbürgerthum starken Anhang hat.

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fehlen, daß er in der Preßfehde, die mit Zeitungsartikeln und Broschüren ausgefochten wurde, den Kürzeren zog; dafür war ihm freilich auch in den öffentlichen Versammlungen, den Meetings", in denen die Kandidaten ihr Programm ent­wickelten, der Sieg beschieden. Man mußte im übrigen der Béjard'schen Klique schon mit Haut und Haar ergeben Je näher der Tag der Wahl heranrückt, desto heftiger sein, um die Prosa ihres Helden noch ernsthaft zu nehmen, entbrennt der Kampf der Parteien. Die Reichen, die über oder richtiger gesagt, die Prosa Dupoissy's, des Béjard'schen die Presse verfügen, leisten sich ein übriges an grellfarbigen, Vertrauensmannes, der Reden und Zeitungsartikel für seinen ins Auge fallenden Plakaten, Aufrufen, Pamphleten und Herrn zu fabriziren hatte. Druckschriften aller Art.

Nichts Widerlicheres wie diese von verlogener Humanität, Die Mehrzahl der nach dem Zensussystem Stimm- triefenden Bettelfuppen, die einen Mischmasch von den bösesten berechtigten steht allerdings auf der Seite der geldmächtigen Provinzialblättern entlehnten Gemeinpläßen, schwulstigen Brozen, die aus Besorgniß, Béjard's Unbeliebtheit könnte auch Klichés, schimmeligen Aphorismen und hohlklingenden Ver­ den   anderen Kandidaten ihrer Lifte verhängnißvoll werden, nichts legenheitsphrasen darstellten. Eine Rhetorit, die auf so niederer unversucht lassen, den Rheder zu bewegen, auf seine Kandidatur| Stufe stand und von solch falschem Pathos erfüllt war, daß