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reißt die Gemälde in Stücke, man zerfeßt Teppiche und Decken, kurz, die Leute haufen wie die Vandalen, schlagen alles, was ihnen in die Hände kommt, kurz und flein und werfen die Trümmer durch das Fenster.

Laurent ist rasch in das anstoßende Zimmer geeilt. Es ist dunkel und leer. Auch in them dritten Zimmer ist so wenig ein menschliches Wesen zu finden wie im Speisesaal, dem Wintergarten und dem Treibhaus.

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Otto Ludwig hat im Erbförster" auf engstem Gebiet einen tragischen Konflikt gefunden. Herrenwille und das Berantwortlichkeits gefühl des Beamten stoßen aufeinander. Um ein Stückchen Wald dreht sich der ganze Streit. Aber diefer an fich fleinliche Streit ist zum großen fozialen Simmbild geworden. behandelt Philippi in seinem neuesten Schauspiel; und trotzdem er Einen ähnlichen Fall im Erbe" deutlich genug auf Bismard's Verabschiedung anspielt, also ein historisches Ereigniß in den Kreis seiner Betrachtung zieht, findet man in seinem Wert feine Spur von poetisch- sinnbildlicher Die andern sind ihm indessen nachgegangen. Die Zer- Bedeutung. Das Unscheinbarste kann also ein tiefes Gleichniß der störungsarbeit macht ihnen keinen rechten Spaß mehr, sie Erdendinge werden, und man muß nicht gleich an Shakespeare'sche möchten jetzt gern auch an Béjard ihr Müthchen fühlen. Historien und Märchentragödien von übergroßem Wurf denten, wenn Laurent eilt auf den Flur und stürzt Hals über Kopf die in man von der Dichtung Bedeutsamkeit verlangt. die erste Etage führende Treppe hinauf. Die Schlafzimmer bescheidenen Genre- und Charakterstudie des novellistischen Einzelfalls Ich glaube nicht, daß Gerhart Hauptmann auf dem Boden der und das Ankleidezimmer find leer. Er ruft:" Gina! Gina!" verbarren wird. Er hat ihn in Fuhrmann Henschel betreten. Was aus Keine Antwort! Mit fieberhafter Hast fegt er durch die dem Stoff in realistisch- treuer Beobachtung zu holen war, hat er aus Räume, er sieht in alle Winkel, öffnet die Schränke und ihm geschöpft. Aber, ist man auf einem Boden reif und fertig gea friecht unter die Bettstellen. Alles vergebens! Auch auf den worden, so wird man sich sehnend nach neuem Land umthun. Das Bodenkammern ist von der Kousine nichts zu entdecken. Ver- liegt in der Natur der Dinge. Forschen und Können würde sonst stört und von bangen Ahnungen geängstigt, eilt er wieder die erstarren. Wenn im Fuhrmann Henschel Hauptmann in Wahrheit reiffte und abgeklärteste Arbeit gegeben hat, fo Treppe herab, auf der er mit den auf der Suche befindlichen feine das durch die strengste Selbstbeschränkung. Plünderern zusammentrifft. Von allen Seiten wird er nach erreichte er Ich schließe es aus Béjard gefragt, und es fehlt gar nicht viel, daß man Paridael Dabei fann er nicht bleiben wollen. feinen eigenen Arbeiten der Vergangenheit. Denn selbst beschuldigt, seinen Feind zur Flucht verholfen zu haben. in den Genreszenen seiner ersten Schauspiele sind die Kleinen Glücklicherweise kommt Vingerhout zu rechter Zeit, um ihn aus Lebensvorgänge mit Zeitstimmung gesättigt. Es ist gleichgiltig, ob der peinlichen Lage zu befreien. man hierbei an die mammonistische Entartung der Bauern im

Von der Straße herauf tönt immer lauter das Gejohle Waldenburger Kohlenbecken oder an die arg zerklüftete Bürgerfamilie der tobenden Menge. Laurent irrt rufend im Park umher im Friedensfest" denkt.

und durchsucht die Stallungen, ohne die Gesuchte zu finden. Anders steht es damit: Die naturalistische Kunstweise hat den So muß er sich wohl oder übel zum Verlassen des Blick für das Kleine, für die verfeinerten Seelenregungen geschärft. menschenleeren Hauses entschließen. Auf der Straße, auf der Nun wollen die Dichter empor, weiter empor, menschliche Er­hunderte von Maulaffen sich den Wüthenden beigefellt haben, scheinungen gleichsam von Bergesgipfeln beobachten. Das eine war wohl eine nothwendige Uebung, um überhaupt wieder in der Natur um mit vergnüglichem Behagen der Plünderung dieses schauen zu lernen. Werden die Versuche, ein höheres Gesichtsfeld zu luxuriösen Prozenheims zuzuschauen, hört er von Béjard's gewinnen, gelingen? gewinnen, gelingen? Soll die Aussaat der unzweifelhaft vor­Bediensteten, daß die Herrschaften bei Frau Athanase Saint- handenen Talente nuplos gewesen sein? An den Zeitumständen Fardier das Diner einnehmen. Laurent athmet erleichtert wird es liegen. Sind sie widrig, zersplittern sie die Kräfte zur auf und will gerade dem Schauplatz der wüsten Orgie den Kleinlichkeit, wer wird die gefeffelten Arbeiter darum schelten wollen? Rüden kehren, als plötzlich von fern her Pferdegetrappel an Aber bereit sein muß man; und die Bereitschaft erreicht man nicht auf dem Weg des Selbstgenügens. sein Ohr schlägt.

" Die Bürgergarde! Rette sich wer kann!" dat Die Plünderer unterbrechen erschrocken ihre Arbeit. Eine Halbeskadron kommt im Galopp die Straße heran­gesprengt. Etwa hundert Meter von der Volksmenge ent­fernt läßt der führende Offizier, Herr van Frans, ein der Familie Dobouziez befreundeter Bankier, Halt machen.

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Die Paradereiter sind sammt und sonders reiche Erb­föhnchen, die stolz von ihren edelen Raffepferden herabsehen und die sich nicht wenig auf ihre blizende Uniform dunkel­grüner, mit silbernen Knöpfen und schwarzen Husarenschnüren besetzter Waffenrod, mit amaranthfarbigen Streifen geschmückte Hose, trimmerbesetzter Kalpak mit rothem Lappen und filbernen Troddeln einbilden. Die Schabraden der Pferde entsprechen der Farbe der Uniform und tragen auf den Ecken filbergestickte Zinken. ( Fortfegung folgt.)

Fuhrmann Henschel . ( Schauspiel in fünf Aften von Gerhart Hauptmann . Erstaufführung im Deutschen Theater Sonnabend, 5. November.) Ist Selbstbescheidenheit eine künstlerische Tugend? Trozige Geister mochten diese Frage verneinen, beschaulicher Schaffende werden leichter genügsam. Hebbel rückt der Frage in einem geiftvollen poetischen Gleichniß an den Leib. Zum Meister Michel Angelo kommt der Schüler. Der hat ein Bildwerk geschaffen, nicht groß in seiner Weise und nicht erhaben. Es ist ihm aber nicht übel gelungen, und er freut sich seiner Arbeit. Da wird der Meister zornig, er greift zum Hammer und zertrümmert das Bildwerk des Schülers, weil der es in Selbst­bescheidenheit geschaffen und nicht in den mächtigen Absichten des Lehrers gelebt hat.

Gerhart Hauptmann ist mit der Dorftragödie vom Fuhrmann Henschel in seine Heimath zurückgekehrt; auch im künstlerischen Sinne hat er diefe Heimath wiedergefunden. Er hat damit etwas erreicht, was er vielleicht selbst nicht erwartete. Das Bürgerthum, das einst verdroffen war über ihn, ist bekehrt. Selbst in den Spalten des philiströsen Lokal- Anzeigers" ertönen die Fanfaren für ihn. Und doch: die Leute alle lieben das Bescheidene. Einem Drama, wie dem Fuhrmann Henschel ", sehen auch sie auf den Grund. An die naturalistische Studie haben sie inzwischen sich gewöhnt. Nur auf den Höhen der Dichtung, da wo Tragit mit Macht durchbricht, wie im vierten Att, fühlt man den leidenschaftlichen Athem perjön lichen Temperaments. Beitideen flingen nicht mit. Das Einzel­schiafal wird mit feinem Spürfinn und ganz ausdauerndem Sumftfleiß in allen Winkeln durchsucht; nur handelt es sich in ihm nicht um Fragen von umfassender hoher Bedeutung. Worüber soll man nun erbost sein?

Das Werthvollste an der neuen Dichtung Hauptmann's ist nach meiner Empfindung die Charakterstudie des Fuhrmanns Henschel felber. Einmal wieder ein Mann aus dem Bollen. Er lebt wie ein aufrechter, breitäftiger Baum. Seit dem Kollegen Crampton" hat Hauptmann nicht mehr eine Porträtstudie in so faftigen, fatten Farben entworfen.

In einem schlesischen Gebirgsdorf lebt dieser Fuhrmann. Seit das Dorf als Kurort zur Bedeutung fam, ging es mit dem Geschäft Henschel's vorwärts. Er gelangte zu Wohlstand. Seine sechsund­dreißigjährige Frau wird leidend und sterbenstrant. Eine dralle, junge Magd ist im Hause, die Hanne; und ihr mag es manchmal Wie, wenn du hier Herrin werden durchs Hirn schießen: Wie, könntest? Frau Henschel auf ihrem einsamen Sterbelager wird manchmal auch von dem Gedanken gepeinigt: Du lebst diefer Magd und deinem Gatten zu lange. Ein glänzendes Beispiel für die verfeinerte Beobachtungsweise, für den intimen Blick, findet man hier im ersten Aft. Henschel hat die junge Magd ein wenig auf­gezogen. Er wollte ihr aus der Stadt eine Schürze mitbringen und stellt sich so, als hätte er nicht daran gedacht. Nach einer Weile sagt er schälernd: Komm, Hanne, draußen ist die Schürze. Das Getändel regt die Empfindsamkeit der franken Fran auf und sie stöhnt: Er hat ihr die Schürze doch mitgebracht! Das an sich triviale Wort wird ein scharfes Charakterisirungsmittel. Man empfindet, wie tief ängstlich die sterbende Frau jede Kleinigkeit verfolgt, wie verzagt ihre Seele ist; und in dieser Verzagtheit nimmt sie dem Gatten, der ein feiner offenen, derben Weise beruhigen will, das Gelöbniß ab, die Magd Hanne nicht zur zweiten Frau zu nehmen.

Nach dem Tode der ersten Frau Henschel gewinnt das Leben sein Recht; das Gelöbniß verblaßt. Henschel, der Mann in den vierziger Jahren, läßt sich von der Magd Hanne einfangen. Sie hat wohl ein uneheliches Kind. Henschel in seiner naiven Gutmüthigkeit und ge­wöhnt, die Dinge zu betrachten, wie man sie auf dem Laude be Ja, in in seiner Herzlichkeit trachtet, sieht darüber hinweg. führt er seinem jungen Weib selbst das Kind zu. Er will es halten, wie fein eigenes. Mit Schrecken sieht er da zuerst, welchen Lebens irrthum er begangen. Hanne in ihrer rücksichtslosen Selbstsucht, die bis zur Bestialität geben kann, empfängt die Frucht der Schande" bitterböse. Sie könnte ihr Kind mit den Bliden vergiften. Und Henschel's Gattenehre muß das Schlimmste erfahren. Die junge Frau, der der schwerfällige Bierziger läftig ist, ergötzt sich heimlich mit einem leichtfüßigen Kellnerjüngling.

Dies und noch manches düstere, wie es die Voltsphantafie zusammenzutragen pflegt, erfährt Henschel in der großen, tragisch starken Wirthshausszene. Das Gemurmel der Leute schwillt zur fürchterlichen Anklage an; Hanne kann sich nicht recht vertheidigen; und der Mann, unter dessen Schlägen sonst kein Gras wächst", bricht zusammen. Der fraftvolle Baum ist vom Blizz zerschellt. Fuhrmann Henschel spintisirt, Gewissensmahnungen bestürmen ihn: