-

907

-

Einzelzelle bis zum Menschen. Die Fortentwickelung wird erst mit dem Opernchor, unter Dr. Karl Mud; wir hörten die öffent fruchtbar, als in sie ein neues Elenient hineinfam: das soziale. liche Hauptprobe. Die Polizei that gut daran, dieses weltliche" Und mit dem Sozialen   ist noch eines gegeben: die Arbeits- Oratorium zu den am Bußtag erlaubten Aufführungen zu rechnen; theilung. um so mehr aber hätte sie sich das Verbot eines geistlichen"

-

" 1

Aus der einzelnen Belle wird ein Zellenverband mit Arbeits- Konzertes in Schiller- Theater", weil es just fein Oratorium" theilung. Auf diesem Wege entstand die Gasträa, der Urmagen", war, sparen können. Beide Werke des Bater Haydn" enthalten so und von dieser Wurzel steigt der ganze Baum des Thierreichs mit viel ewig" Großes und Schönes, daß das nicht geringe Zeitliche vielen auslaufenden Zweigen und mit dem Menschen als oberste daran leicht zurücktritt, zumal wenn die Wiedergabe so gut ist und Krone, herauf. Die Liebe wandert mit, da die Fortpflanzung immer über so genügend gewaltige Toumassen verfügt, wie es wenigstens reiner geschlechtliche Fortpflanzung wird. Nun im Fluge den ganzen Weg bei der Schöpfung" der Fall war. Die Leistungen des der Entwickelung, mit Bölsche's eigenen Worten. Die Einzelzellen Philharmonischen Chors waren wohl das Bewunderungswürdigste; wurden zu Zellgenossenschaften. Jede Genossenschaft erzeugt ein be- unter den Solisten sei vor allen Frau Herzog   genannt, deren stimmtes Quantum männlicher oder weiblicher Zellen zum Ver- Ausdauer in beiden Oratorien, mit fast sechsstündigem Standhalten schmelzungszweck; es treten vielzellige Mannes- und Weibes- am Mittwoch, allein schon Hochachtung verdient. Im übrigen ging individuen auf. In diesen Männern und Weibern kämpfen jetzt es bei den Solisten, so dankenswerthe und erfolgreiche Mühe sie sich zwei Prinzipien. Der fortschreitende Individualisirungsprozeß, der auch gaben, nicht ohne Spuren von Theater- Alltag ab. Wahrhaft Thier von Thier, Individuum von Individuum, schließlich auch würdig könnten solche Aufführungen und unsere hörende Hingabe erst Mann von Weib trennt. Und der alte Liebesinstinkt, der beide bei einer Herauslösung aus dem täglichen Musikgetriebe werden, durch mindestens zu einem Aft der Begattung zu einander nöthigt, wirkliche Erstaufführungen; dann würde auch das Dilemma wegfallen, dabei aber auch allgemein immer wieder eine gewisse Neigung aus- entweder Striche zu machen( wie sie hier in beiden Werken vor­lösen muß, die auf ganze, dauernde Vereinigung drängt. Gelegent- tommen) oder allen Betheiligten zu viel zuzumuthen. Die meisten lich überwiegt dieses Prinzip so, daß es bis an die Grenze der Wieder- Striche erlitt der Messias", der am 16. d. M. u. a. in einem der berwachjung führt. Aber das schädigt das Individuum, daß es auf die populären philharmonischen Konzerte mit dem Schnöpf'schen Gesangs niedrigste Stufe zurückjinkt. Das Judividualifirungsprinzip ist also der vereine unter Paul Schnöpf aufgeführt wurde. Händel   hat für Weg zum Fortschritt; doch auch hier führt die Einseitigkeit zu einem Nach uns noch mehr gernliegendes als Haydn; allein auch hier wirkt das theil. Die Geschlechter werden fast ganz auseinandergetrieben, es giebt aus Wucht und Lieblichkeit zusammengesette Unvergängliche bei einer im kein Liebesleben mehr, nur noch widerwillige, gefährdete Begattungs- ganzen so dankenswerthen Aufführung wie dieser sicher genug, daß momente. Spinnengatten, die sich fressen. Das Stichlingweib, das uns das nun 157 Jahre alte Werk tiefer geht als eines der ge­wie eine Prostituirte herangerufen und nach Gebrauch wieder ver- wohnten Konzerte mit anderthalb Dutzend Nummern" von heute. jagt wird. Aber die erwachende Elternliebe schafft eine neue, höhere Unter den fünf im Programm angegebenen und vier thatsächlich mit­Form der Gemeinschaft. Es erwächst ein freies, der Individualität wirkenden Solisten sei, ohne darum die übrigen gering zu schäßen, im ganzen doch noch gerecht bleibendes Zusammensein der Eltern der Baryton Herr Franz Seebach mit seiner sympathischen auch in der eigentlichen, noch kinderlosen Geschlechtsaktzeit, ein Vertretung der Baßpartie genannt. Friedensschluß der Geschlechter: die Ehe.

Damit ist der Weg zum Menschen vollbracht. Den Weg auf gezeigt hat Bölsche in einer Weise, die nur durch Vereinigung gründlichster wissenschaftlicher Kenntnisse und wahrhaft philosophischer Tiefe geschaffen werden konnte. Eine Inhaltsangabe fann gar nicht Sen Reichthum an Gedanken wiedergeben, die zahlreichen neuen Gesichtspunkte, von denen aus die dunkelsten, verworrensten Ver­hältnisse sich klar überschauen lassen. In der Darstellung steckt große Kunst. Solche Abschnitte wie über den Liebestod der Eintagsfliege, den Heringszug, die rafaelische Madonna, den Stichling, den Bienen­staat, gehören zu den seltensten Darbietungen fünstlerischer und wissenschaftlicher Profa. Kunst und Wissenschaft sind durch ein Band geeint, die Wahrheit, und die Wahrheit ist, in anderem Lichte besehen, immer auch die Schönheit.- -phil.

-

Kleines Feuilleton.

-

Unter den einzelnen Gesangskonzerten der Woche standen die von Eugen Gura  ( aus München  ) und Karl Scheidemantel  ( aus Dresden  ) obenan. Jener ist sammt seinem ständigen Mits wirkenden am Klavier, Heinrich Schwarz, längst überall als allererster Konzertfünstler bekannt. Die ergreifende Gewalt und Treuherzigkeit seines Vortrags; die bereits ein Stück Musikgeschichte ausmachende Spezialität der Wiedergabe Löwe'scher Balladen; die Kunst des Klavierspielers, die an einer Gesammtheit ohne die billige Beschränkung auf" Disfretheit" mitſchafft: das alles pacte am 13. d. W. das dichte Publikum so, daß drei Lieder( ein H. Wolf, ein W. Berger, ein H. Bumpe) wiederholt werden mußten, und der Sänger schließlich so lange herausgerufen wurde, bis er ein halb ersticktes Danteswort sprach. Scheidemantel besitzt zwar mehr sinn­lichen Glanz in seiner Stimme als Gura, erscheint jedoch ihm gegen über als der weniger Natürliche; etwas Gefünfteltes und Schmachtendes im Ton und Vortrag stört den sonst erfreulichen Eindruck seiner Gesangskunst. Damit steht vielleicht im Zusammen­hange, daß der Schlußbeifall des Publikums ins Ünnatürliche ging; Es wird gefährlich. Die Wiener Wochenschrift Die längere Zeit nach der ersten Zugabe folgte eine zweite. Die Solo­Beit" fahreibt: Im Lande des preußischen Staatsanwalts ist vorträge des damaligen Klavierspielers tommen hoffentlich nicht wieder. Schriftstellerei bereits eine heitle Sache geworden. Es wird also Unter den Anfängerinnen im Gesang oder in der Bekanntschaft vielleicht gar kein Aufsehen mehr machen, daß in Berlin   am vorbeim Publikum können wir über drei berichten: Ramona Alba letzten Sonnabend nenerlich auf grund einer schrift- am 15. im Bechstein- Saal, Paula Ehrenbacher am 17. in der stellerischen Arbeit eine gerichtliche Untersuchung Singakademie, Tony Rohden- Schafarz am 14. im Römischen erfolgt ist. Aber der Fall, der diesmal vorliegt, ist höchst eigenartig Hof. Bei solchen Konzerten fragt es sich hauptsächlich nach Korrett­und, vor allem, nicht politischer Natur. Der Dramatiker und heit und nicht eben sehr nach einer eigenen Größe. Gegenüber dieser Novellist Wilh. Schäfer hat in den Spalten der Zeit" vor mehr als Fragebeschränkung hat uns die zum ersten Male überhaupt auf­drei Monaten eine Novelle Der Mörder" veröffentlicht. Darin werden tretende Alba trotz einer etwas flachen Tönung, die zur sogenannten die Vorgeschichte einer Wordthat und das weitere Schicksal des italienischen Schule" zu gehören scheint, ziemlich gut gefallen. Auf Mörders geschildert. Diese Erzählung mun wurde zum Anlaß einer Sie künstlerische( nicht eben persönliche) Zukunft einer solchen be gerichtlichen Untersuchung des Verfassers genommen. Er selber scheidenen Anfängerin, die vorwiegend nur eben viel weiterlernen schreibt uns darüber in einem Brief aus Nieder- Schönhausen bei Berlin   unter dem 14. d. M.: Ich bin beim Erzählen von einem braucht, ist mehr zu setzen, als auf die einer Sängerin, wie der Ehrenbacher, die so viel gelernt hat und so viel Können in Kehl­thatsächlichen Mord ausgegangen, der vor einigen und zwanzig fertigkeit, Aussprache und Vortrag besigt, daß man ihr dringend Jahren in meiner, Heimath uus Kinder in große Aufregung brachte. wünschen muß, sie möge bei einem sorgsam ausgewählten Gefangs Der Ermordete wurde damals genau so aufgefunden, wie ich er- lehrer, der ihr brauchbare Kopftöne und eine bessere Vokalisation zählte: nackt und ohne Kopf. Ju dieser Geschichte hat schafft, ihr das Gehör bildet und die Koketterie mäßigt, von vorn der Staatsanwalt eine Reihe von Vorgängen dargestellt ge anfangen. Ihr Klavierpartner Arthur Speed erfreute durch funden, die seltsamerweise genau mit dem übereinstimmen, was die sein vornehm zartes, vielleicht allzu zartes Spiel. Von der Untersuchung erst in der letzten Zeit herausgebracht hat, und was Rohden- Schafarz berichtet mir mein Vertreter, daß sie zur legt­außer dem Untersucher niemand wissen konnte: die ich aber durchaus genannten einen auffallenden Gegensatz bilde: recht sympathische erfunden habe, um die raffinirte Ueberlegung meines Mörders zu Stimmgebung bei sehr temperamentlosem Vortrag. zeichnen. Auf diese Weise bin ich vorlauter Fabulant in den Verdacht der Mitwisserschaft gerathen. Und zwar so sehr, daß ich vorgestern in Sachen des" Mordes im Aaperwald" einem Verhör unterzogen wurde." Das Ergebniß dieser merkwürdigen Untersuchung ist noch nicht bekannt.-

-

"

Musik.

"

" 1

"

Konzerte. Theater des Westens  . Die letzte Woche galt vorwiegend den Oratorien; die von uns zum Anhören aus­gewählten waren Händel's Messias  . und die beiden all­berühmten Werke von Haydn  . Seine Schöpfung"( gegen 21/2 Stunden) wurde vom Philharmonischen Chor" unter Sieg­ fried Ochs   am 14. November in der Philharmonie aufgeführt, mit öffentlicher Hauptprobe am 13. mittags; eine Vorausnahme des 100. Jahrestages ihrer ersten Aufführung. Die Jahreszeiten" gegen 3 Stunden) kamen am Bußtag( 16. d. M.) in unserer Oper

" 1

" 1

-

Für Richard Strauß   scheint der Streit um seine großen Programm- Musiken der Beachtung seiner Kammerwerke leider zu tein Klavierspieler engeren Sinnes, aber ein Künstler auch hier- schaden. Im 6. Halir"( 13. d. M.) spielte er selbst zwar sein Klavierquartett C- moll, das noch erst die Opuszahl 13 trägt. Die Klavierstimme ist weder dominirend noch untergeordnet, sondern mit den Streichern sehr gleichmäßig verarbeitet. Alles in allem ein werth­volles, wenn gleich nicht besonders hervorragendes Werk. Ihm folgte damals Beethoven's Septett; die Bläser und namentlich der Klarinettist Herr Schubert trugen meisterlich vor.

Am 12. November hatte Busoni   seinen 3. Klavier- Orchester­abend; wie mir berichtet wird, schien er sich mit Mendelssohn und Schumann weniger zu verstehen als mit Henselt( F- moll), der zum gewaltigsten Ausdruck gekommen sei. Am 19. war sein Abschied; wir hörten zwei Stücke, darunter Liszt( A- dur). Das Temperament,