Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 228.
186]
Mittwoch, den 23. November.
( Nachdruck verboten.)
1898
vogels, eine Rolle Tabat, ein Messer, ja einer hat gar daran gedacht, ihm einen Karton in drei Farben sortirten Briefpapiers zu überreichen. Es handelt sich darum, den Auf passern da unten ein Schnippchen zu schlagen und dem Spionirsystem ihres schwarzen Stabinets zu entgehen. Wenn Die Ankunft der Tilbaks und Jan Vingerhouts steigert Jan oder Tilbat auf weißem Papier schreibt, so soll das den noch Laurent's durch all' die ergreifenden Bilder beeinflußte Empfängern ein Zeichen sein, daß alles gut geht; Rosa- Papier seelische Erregung. Er zittert wie ein jäh erweckter Nacht- soll andeuten, daß die Verhältnisse schwierige, aber immerhin wandler, als ihm der„ Baes" die Hand auf die Schulter legt. noch erträgliche sind; während der grüne Brief Kunde giebt, Die Kehle ist ihm wie zugeschnürt, aber sein schmerzbewegtes daß die Dinge schlecht stehen, wie immer auch der Brief sonst Gesicht drückt besser als es Worte vermöchten, die Gefühle lauten mag. aus, die seine Brust bewegen. Er umarmt Siska und Vincent und drückt dann nach kurzem Schwanken einen langen, brüderlichen Kuß auf Henrietten's Stirn. Dann legt er die Hände des Mädchens in die des zukünftigen Gatten.
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Die Zeit drängt zur Eile. Laurent hat sich mit Tilbak unbemerkt entfernt, um die Frauen im Zwischendeck der Gina" unterzubringen. Man macht zunächst Schwierigkeiten, ihm den Zutritt an Bord zu gestatten, denn es ist den Be Die düstere und ironische Schicksalsfügung, daß sich Hen- gleitern der Auswanderer aus gutem Grunde streng berboten, riette und die Ihrigen just an Bord der„ Gina" einschiffen mit aufs Schiff zu kommen, ja selbst die letzteren dürfen, müssen, trägt auch noch dazu bei, seine bange Herzenangst nachdem sie das Schiff einmal betreten haben, nicht mehr zu erhöhen. Béjard und seine Frau waren nun einmal die ans Land zurückkehren, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, bösen Geister seines Lebens. Heute entriß ihm diese Gina" Plaz und Passagegeld zu verlieren. Der Gefälligkeit eines Henriette und alle seine Lieben. Matrosen, mit dem Tilbak ehedem zusammen gefahren war, hatte es Laurent zu danken, daß er das vorübergehende Heim feiner Freunde in Augenschein nehmen durfte.
Aber noch andere sonderbare Wechselbeziehungen bringt der Zufall zu Wege. Das Dorf Willeghem, deffen Bewohner fast insgesammt auswandern, ist Sista's und Vincent's Die„ Gina" enthielt über sechshundert hölzerne Feldbetten Heimath. Da fie als Kinder schon das Dorf verlassen haben, oder richtiger gesagt, roh behobelte Holzrahmen, die immer zu gelingt es ihnen nicht, einen der Auswanderer wieder zu er- zwölfen gruppenweise an Gurten im Zwischendeck übereinanderfennen. Aber im Laufe der Unterhaltung entdecken sie doch hängen. Das Bettzeug dieser schwebenden Gestelle besteht hin und her einen bekannten Namen, einen Familienzug in aus einem mit fauligem Stroh vollgestopften Sack, das man Sen Gesichtern, und es dauert nicht lange, bis einige entfernte feinem Schwein als Streu unterbreiten würde. Trotz der Verwandtschaften herausgefunden sind. Jan Vingerhout be- langen Lüftung erfüllte die Räume der muffige Geruch eines merkt lachend:" Da wird ja da unten ganz Willeghem voll- schlecht gehaltenen Lazareths; ein Duft von Fusel und Schweiß. zählig vertreten fein. Wir wollen eine neue Kolonie gründen, Wie würde das erst später sein, wenn alle diese Menschen mit ihren der wir den Namen des flämischen Dorfes geben werden. Es Lumpen in drangvoller Enge hier eingepfercht sind, zumal bei lebe Neu- Willeghem!" stürmischer See, wenn alle Lufen geschlossen gehalten werden müssen.
Aber noch andere Leute als die Landleute nehmen Laurent's Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Leute der„ Amerifa" find ohne Vorschriftsmäßig sollen an Bord die Geschlechter getrennt Ausnahme zur Stelle, Baes, Genossen, Kutscher, Meß- und Lade- gehalten und die Kinder thunlichst von den Erwachsenen ableute wie eine stattliche Zahl von" Baes" anderer Nationen gesondert werden. Aber Béjard und Konsorten sind nicht die Haben sich eingefunden, um sich von den allbeliebten Kameraden Leute, die der Vorschrift Rechnung tragen, für sie gilt das zu verabschieden. Die braven Leute haben es nicht an An- Reglement nur, so lange das Schiff noch im Hafen liegt. strengungen fehlen lassen, Jan's Auswanderungsplan zu be- Bevor man noch auf hoher See ist, treten alle diese Bestim fämpfen. Er sagt zwar, daß ihn nur die schlechte Zeit und mungen außer kraft, Männer und Frauen werden funterbunt die Neugierde, sich einmal in der Welt umzusehen, dazu be- zusammengepackt und, obwohl die gesetzlich bestimmte ſtimmt haben, den Staub Antwerpen on stimmt haben, den Staub Antwerpens von den Füßen zu Passagierzahl schon überschritten ist, werden heim schütteln, aber die schärfer Sehenden lassen sich dadurch nicht licherweise bei der Fahrt flußabwärts noch immer hinters Licht führen; sie wissen ganz gut, daß der ehrliche neue Baffagiere aufgenommen, die in der der Stille Kerl, der als Hauptanstifter für die letzten Unruhen ver- der Nacht Schmugglerboote vom Ufer heranführen. Runners antwortlich gemacht wird, nur das Feld räumt, weil er fürchtet, und Schmuggler haben keinen besseren Kunden als Herrn sein Bleiben könnte für seine Freunde verhängnißvoll werden Béjard. und die Intereffen der Genossenschaft schädigen.
Die Gefchäftsleute der Nachbarschaft der Kofusmuß" drängten sich um die Tilbaks, und die Schiffer- und Arbeiterbevölkerung des Hafens hat sich ihrerseits ebenfalls angelegen sein lassen, den lieben Freunden Lebewohl zu sagen.
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Das Probiantmagazin ist mit Speckseiten, Rauchfleisch, Biscuits, Bier, Kaffee, Thee so reich ausgestattet, daß der Vorrath für die doppelte Dauer der Ueberfahrt mehr als ausreicht", wie man aus dem Prospekt, der letzten schriftstellerischen Arbeit des Schwindlers Dupoissy, ersehen kann. Alle dieſe mannigfachen Rundgebungen lassen die In Wahrheit genügt kaum der an Bord befindliche Vorrath Scheidenden nicht recht zur Besinnung kommen und bringen an Trinkwasser. Die unglücklichen Passagiere werden wie in der Abschiedsstunde willkommene Ablenkung. Die Hafen - eine belagerte Garnison auf Rationen gefekt. Jeder arbeiter, frohlaunige Jungens, bemühen sich, so ausgelassen Auswanderer erhält eine eine kleine Blechschüssel, wie fie wie möglich zu sein und überbieten sich in kräftigen Wigen, in den Kasernen in Brauch sind. Die Vertheilung aber mehr als einer schneuzt sich überlaut und fährt sich mit der Lebensmittel geschieht zweimal täglich. Es ist begreiflicherdem Jackenärmel über das Gesicht, obwohl auch nicht der weise bittertalt im Zwischendeck, der beständige Zug vermag fleinste Schweißtropfen zu bemerken ist. Jan Vingerhout zwar die üblen Düfte zu vertreiben, forgt aber dafür, daß die läßt sich als Spaßmacher und immer schlagfertiger Eulenspiegel Insassen aus der Erkältung garnicht herauskommen. auch nicht lumpen und macht seinem von den Nationen" anerkannten Ruf als lustiger Schwerenöther alle Ehre. Es half alles nichts, er mußte unbedingt mit den Freunden in der nächstgelegenen Kneipe noch ein paar Schoppen leeren, und Laurent kann die höfliche Einladung der würdigen Kumpane nicht gut abschlagen. Drinnen am Schenktische, wo Lage auf Sie steigen Beide wieder auf das Hinterdeck hinauf. Lage herumgeht, wo derbe Wige vermischt mit Fluchworten Dort stehen in einigen hölzernen Verschlägen elf Ackerpferde, hinüber und herüberfliegen, denkt Laurent wieder der gemüth- der Stallbestand irgend eines Pächters, der sich bei Zeiten lichen Zusammenfünfte, wenn sich die Genossen nach gethaner noch aus dem Staube macht, ehe er ganz zu Grunde geht. Arbeit und geschehener Abrechnung in ihrer Stammtneipe Wenn er freilich denkt, die Gäule in halbwegs brauchbarem versammelten. Einige der Kameraden haben ihrem" Jan Zustande hinüberzubringen, giebt sich der Mann einer argen Kleine Geschenke als Erinnerungszeichen mitgebracht, eine Zäuschung hin. Man braucht nur einen Blick auf diese unPfeife, einen Tabaksbeutel, die Schwungfeder eines Fregatten- I zulänglichen Verschläge zu werfen, um zu begreifen, daß es
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Laurent betrachtet mit sorgenden Blicken die erbärmliche Stätte, die Sista und Henriette als Aufenthalt dienen soll. ' s ist nicht so schlimm, wie es aussieht," tröstet Vincent, die Ueberfahrt ist ja nicht lang. Da habe ich schon gana andere Dinge zu sehen bekommen!"