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auf dasselbe herauskäme, wenn die Thiere in die Schelde ge- hatte er noch immer daran gedacht, ohne ein Wort verlauten worfen würden. Wenn der Eigenthümer die theuren Verzu lassen, die Reise an Bord der Gina" mitzumachen. Siur pflegungskosten dazu rechnet, kann er von Glück sagen, wenn die Furcht, Vincent und Siska Verlegenheiten zu be er drüben das Fell bezahlt bekommt. reiten, die eben geschlossene Wunde in dem Herzen ihres Kindes

Die Auswanderer haben sich auf dem Hinterdeck, so gut wieder aufzureißen und dem ehrlichen Vingerhout im Lichte es geht, untergebracht. Das bunte Durcheinander der am zu stehen, ließ ihn von seinem Reiseplan absehen. Ueberdies Boden hockenden Leute bietet das Bild eines Zigeunerlagers. Die hinderte ihn auch ein unbestimmtes Etwas, von seiner Vater­meisten dieser Parias find armselig und nothdürftig bekleidet, stadt Abschied zu nehmen: es überkam ihm zuweilen wie ein viele zittern schon vor Kälte und werden vom Fieber ge- unklares Vorgefühl einer Pflicht, die ihm noch zu erfüllen schüttelt. Ein Auswanderungsagent tröstet die Leute mit der blieb. Er wußte sich nicht Rechenschaft abzulegen, worin diese beruhigenden Versicherung, daß die Kälte mur einige Tage bestand, aber er wollte doch in der Stunde, wenn das Schick­anhalten würde. Sei man erst einmal über den Golf von fal rief, bereit und zur Stelle sein.

Gascogne hinaus, dann beginne der ewige Frühling. Er sagt Das Hurrahgeschrei und die Vivatrufe auf der Gina freilich nicht, daß zwischen Afrika und der Küste Brasiliens übertönen selbst die schmetternden Klänge der Willeghemer die sengende Sonnengluth den Aufenthalt auf Deck un- Musikanten. Vom Ufer aus wird mit nicht minder starker möglich macht, und daß das Fieberdelirium, das in den Lungenkraft von der die Quaistraße besetzt haltenden Menschen­tropischen Gewässern die in den engen, überheißen Räumen menge geantwortet. Schiff und Ufer suchen sich um die Eingeschlossenen befällt, ein gut Theil von denen wegraffen Wette an Ausdauer und Kraft des Lärms zu überbieten. würde, die das Sumpffieber verschont hatte. Er spricht eben Die Müßen fliegen in die Luft, die farbigen Taschentücher sowenig von den Widerwärtigkeiten der Ueberfahrt, von der flattern wie die Fähnchen einer Flaggenparade im Winde. Willkür und der Brutalität, die die Auswanderer bei der An­funft erwarten, und dem vielgestalteten Elend, dem sie entgegen­gehen.

Ja, Kamerad, es wird Zeit, wieder an Land zu gehen", wendet sich der Matrose in freundlichem Ton an Paridael, ,, wir sind im Begriff die Anker zu lichten."

Der schrille Pfiff der Maschine mahnt die Säumigen zur Eile. Laurent entzieht sich rasch den überschwänglichen Gefühlsäußerungen seiner Freunde und eilt über die Brücke nach dem Quai.

Als ob es in all dem Jammer und Elend noch nicht genug wäre, bietet sich ihm hier zu guterletzt noch ein Bild von erschütternder Eindringlichkeit.

Frauen halten halb lachend, halb weinend ihre Kleinen in die Höhe. Die Arme recken und strecken sich, als ob die Leute sich über das Wasser hin noch einmal die Hände reichen wollten.

Seines ungewöhnlichen Tiefgangs und der Ueberlastung wegen blieb das Schiff noch geraume Zeit in Sicht der zu schauenden Menge. Laurent war an den äußersten Vorsprung des Baffins gelaufen, um das Schiff im Auge zu behalten, bis es hinter der Flußbiegung verschwand. Siska wirft ihm Kußhände zu, er hört noch einmal die männliche, volltönende Stinime Vingerhout's, die ihn zum muthigen Ausharren mahnt. Aber mit jeder Umdrehung der Schiffsschraube fühlt Laurent einen Theil seines Vertrauens und seines Lebensmuthes dahinschwinden. Schwächer und schwächer klingt die Melodie des Wo kann es schöner sein?" über das Wasser herüber, bis sie in einem leisen Murmeln erstirbt.

Ein zerlumpter und verkommener Kerl mit stieren Augen und zerzausten Haaren reißt und stößt in trunkener Unzurech nungsfähigkeit ein in armselige Lumpen gehülltes Weib, an deren Rock sich zwei heulende Kinder flammern, und die sich Hier von diesem Punkte aus hatte Laurent wenige schreiend den brutalen Händen des Elenden zu entziehen sucht, Jahre vorher die Zauberpracht des in die Schelde nach der Schiffbrücke. Vermuthlich will die Unglückliche den fauchenden Sonnenballs bewundert. Heute war alles Trunkenbold nicht nach Amerika begleiten, sie will lieber in graufarbig, nebelig and unruhig, statt blizender Edel­der Heimath Hungers sterben, als sich in die Fremde hinaus- steine schien der Fluß schmutzigen Schlamm dahin wagen, wo sie nichts über die Gemeinheit und Verworfenheit zu wälzen, über den Feldern hingen gelbe Dunstschleier, der ihres Mannes trösten könnte. Trauer der Jahreszeit entsprach die Stimmung, die die Angewidert von der Szene hat Laurent, in Gemeinschaft Menschen bedrückte. Dumpf klingt das Glockenspiel herüber, von einigen Arbeitern, die arme Mutter und die Kinder be- und die Seemöven kreischen wie unglücksvögel. freit, und während die einen die Frau, die mehr todt als lebendig ist, nach einer der Herbergen der Uferstraße bringen, beförderten andere den Kerl rascher als es ihm lieb war über die Brücke und von da mit kräftigem Stoß auf die Gina. Der berdukte Saufbold scheint sich in die unerwartete Scheidung zu fügen, übrigens ist auch die Schiffbrücke schon zurückgezogen. Ohne sich weiter um die Seinigen zu kümmern, tritt der Lump an die Schiffs­wand und zieht eine halbgeleerte Branntiveinflasche aus der Tasche seines schmierigen Ueberziehers.

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" Da feht," lallt er schwankend und die Flasche über dem Kopf schwingend, das ist alles, was mir bleibt. Das letzte Geld, was ich noch besaß, hat sich in der Flasche hier auf gelöst. Ich trinke den Abschiedsschluck auf Belgiens Wohl!" Er setzt die Flasche an den Mund und trinkt sie in einem Zuge aus, dann wirft er das leere Gefäß mit aller Kraft gegen die Ufermauer, daß es flirrend in tausend Stücke zer­splittert, während er ein heiseres Eviva America" brüllt.

Inzwischen haben die Matrosen die Seile von den Pfeilern gelöst, die Schiffsschraube beginnt die Wasser aufzuwühlen, der Kapitän auf der Kommandobrücke giebt mit Stentor­stimme seine Befehle, die auf Vorder- und Hinterdeck wieder holt und von dem Schiffsjungen durch das Sprachrohr in den Maschinenraum weitergegeben werden, das Schiff dreht sich, dem Steuer gehorchend, der Mitte des Flusses zu, und die leicht bewegten Wellen schlagen klatschend an die Planken der " Gina". Bei der ersten Bewegung des Schiffes ist der be­trunkene Kerl wie ein Sack umgefallen und wälzt sich vor den Füßen seiner Reisegefährten. Laurent wendet den Blick ab und hält Umschau nach erbaulicheren Bildern.

Das Musikkorps aus Willeghem schwenkt seine gestickte, mit goldenen Troddeln gezierte Fahne und stimmt sein, Bo kann es schöner sein?" aufs neue an, dessen Refrain die Kohlenbergleute der Borinage im Chor mitsingen.

Unter dem Gewimmel der Köpfe unterscheidet Laurent nur noch die Gruppe der Tilbak's. Bis zur letzten Stunde

( Fortsetzung folgt.)

Kieler Sproffen."

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Wer kennt nicht den kleinen, delikaten Ostsee - Fisch, der unter der goldglänzenden Haut, die ihm eigenes Fett und der scharfe Rauch eichener Lohe verschönern, ein so zartes, schmackhaftes Fleisch birgt? Sang doch schon vor hundert Jahren der weitgereiste Weltbummler, Hr. Üriau: Drauf kauft ich etwas falte Rost nebst Kieler Sprott und Kuchen." Kieler Sprott" ist die eigentliche Benennung und nicht Eprotten. Ich erkläre mir das so. Sprott zählt der Kieler nicht, d. h. beim Effen, er faßt ihn liebevoll mit zwei Fingerspitzen der einen Hand am Schwänzchen, entfernt ebenso mit der andern Hand den Kopf, und wenn er dann fo ein halbes Stieg hat ein Fischlein dem andern nachschwimmen" lassen, dann betrachtet er das als ein Ganzes und erklärt: Der Sprott ist literst god."

Bon Kiel aus tritt eine große Menge Sprotten die Reise in die Welt an, in der dortigen Öber- Bostdirektion ist dem Sprotten verfandt eine eigene Abtheilung mit besonderem Schalter gewidmet. Der Haupt Fangort ist aber die Eckernförder Bucht , nicht die Kieler Föhrde, und in dem kleinen Städtchen Eckernförde wohnen die meisten Sprottenfischer; in der Fangperiode 1895/96 waren es 318 Fischer in 106 Booten, die einen Ertrag von 180 000 m. er­

zielten.

theils Zugneße, Waden", genannt, Die Nege, mit denen der Sprottenfang betrieben wird, find und von beträchtlicher Größe. Die Haupttheile des Nezes sind der Hamen, ein mächtiger Fangjad von 18 Meter Länge und einer vordern Oeffnung von 48 Meter im Umfang, der nach hinten in ficben sich stetig ver­jüngenden Neßringen weiterläuft und in einer Art Schlauch endigt, sowie die beiden Flügel. Jeder der letzteren ist 128 Meter lang; vorn bis auf sieben Meter ab; durch einen meterlangen gekrümmtent sie beginnen am Hamen mit 22 Meter Tiefe und schrägen sich nach Holzstock werden vorne obere und untere Kante der Flügel so verbunden, daß sie sich bauschen und keine steile Wand bilden können. Bier bis zehn Kilogramm schwere Steine beschweren den *) Aus der Kölnischen Volkszeitung".