Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 232.

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Dienstag, den 29. November.

( Nachdruck verboten.)

Neu- Karthago  .

Roman von Georges Eethoud.

So etwa lautet das Selbstgespräch der Offiziere, während fie mit großen Schritten auf dem Deck herumrennen, und selbst der strenge Kapitän hat eine Anwandlung von Schwäche und Nachsicht, die man sonst an ihm nicht kennt.

1898

Händen des Wirthes zurückzulassen. Von Stunde an ist er ihnen mit Haut und Haar verfallen.

er

Aus den Armen der Dirne wendet er sich in die seines fauberen Führers zurück, der dafür sorgt, daß er sich bald um Sinn und Verstand getrunken hat. Man halft ihm allerlei un­nügen Krimskrams auf, den er zehn- und zwanzig­mal über den Werth bezahlen muß und und den in seiner Trunkenheit mit vollen Händen unter seine Begleiter vertheilt. Ohne diese geht er überhaupt nicht mehr aus, er Einer der Runner muß den Stimmungsumschwung ge- bleibt von früh bis Abend unter ständiger Bewachung. ahnt haben, denn er nähert sich mit schleichender Liebedienerei Jeden Morgen erhält er von seinem Mentor ein Goldstück in dem Alten und präsentirt ihm ein Glas eines schäumenden die Hand gedrückt und jeden Abend hat der lustige Bruder Gemisches. Ein Glas Champagner gefällig, Herr Kapitän?" sein Taschengeld gewissenhaft ausgegeben. Er giebt das Geld Der also Angeredete wirft dem fecken Burschen einen wüthenden so sorglos aus, als wäre ihm Fortuna's Börse zu eigen. Blick zu, aber der grimme Fluch, zu dem sich der Mund öffnet, erstirbt in den borstigen Haaren des grauen Schnauz- freundlicher Führer und Bankier eines schönen Tages eine bartes, ein verlegenes Lächeln umspielt die Lippen, und die Rechte greift begehrlich nach dem Glase. Der alte Herr leert es auf einen Zug, schnalzt mit der Zunge und reicht es dem jungen Mundschenk zurück, nicht uni das Glas dem Eigenthümer wieder zuzustellen, sondern es aufs neue füllen zu lassen.

Er fällt deshalb auch aus allen Wolken, als ihm sein

Rechnung überreicht, die ihn darüber belehrt, daß er dem Dar­lehnsgeber mehr als das Doppelte von dem, was er noch zu besigen glaubte, schuldet. Diesmal reißt dem Burschen der Geduldsfaden, er geberdet sich wie ein Wilder und erhebt drohend die Fäuste, aber in Vorahnung dieser unausbleib­lichen Auseinandersetzung hat sich der Runner mit einer Schuß­Das verschmitzte Bürschchen, das seine Tugend so wache seiner Genossen umgeben. Er bedroht den Ausgeplün­schnöde zu Falle gebracht, erregt das lebhafte uteresse derten seinerseits mit einer Anzeige beim Seegericht, einer des Kapitäns, eines stark puritanisch angehauchten Behörde, unter der sich der Einfaltspinsel eine Art Inqui­Presbyterianers strenger Observanz. Wie die Mehrzahl sitionsgericht vorstellt. Die Drohung genügt, den Wider­feinesgleichen trägt auch dieser Runner ein die Marine- spenstigen firre zu machen, der heftigen Aufwallung folgt die Uniform imitirendes Fantasiekostüm, er sieht so einem Schiffs- Niedergeschlagenheit auf dem Fuße. Ehe er ins Gefängniß jungen ziemlich ähnlich, nur das mädchenhafte Gesicht und wandert, will er lieber mit seinem Blute bezahlen. Und nun die Form der Hüften und Schenkel unterscheiden ihn von den folgt die traurigste Phase in der Leidensgeschichte des diesen anderen Genossen. Wie Teufel kriegt's das Höllengesindel Blutsaugern zum Opfer gefallenen Matrosen. nur fertig, solch schmucke Rekruten aufzutreiben," murmelt der würdige Herr in den Bart und will sich eben zum Gehen wenden, als ihm der vorgebliche Runner plötzlich um den Hals fällt und sich schamhaft als verkleidetes Mädchen zu er­tennen giebt.

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Schockschwerenoth!" wettert der Alte, das Gesindel ist im Stande, uns ein ganzes Weiberhaus an Bord zu bringen!"

Zu Befehl, Herr Kapitän," fichert der Schelm und zeigt mit dem Finger auf die Offiziere, die bei dem sie um tänzelnden Runner die gleiche Entdeckung wie ihr Kapitän gemacht haben.

Die Anwesenheit der Weiber hat den Matrosen Appetit gemacht und läßt ihnen die halbe Stunde, die sie noch von den Quailokalen der Hafenstadt trennt, als Ewigkeit er­scheinen.

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Der Kaufmann von Venedig nahm seinem zahlungs­unfähigen Schuldner nur ein Pfund seines Fleisches, die Ant­ werpener   Shylock's schlachten den armen Teufel, der seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann, dagegen moralisch aus, indem sie ihn in ein ganzes Netz von Pflichtverletzungen verstricken; sie zivingen ihn zur Desertion, verschaffen dem Kontrakt­brüchigen einen neuen Heuervertrag, streichen das Handgeld ein, Lassen ihn einen zweiten Vertrag unterzeichnen, führen sich auch diesen zweiten Vorschuß zu Gemüthe und wiederholen das Spiel, bis die Konsulatsbehörde aufmerksam wird und Anstalten trifft, sich ins Mittel zu legen.

Sie haben ihr Opfer wie eine Zitrone ausgequetscht, be­flagen sich indessen gleichwohl, daß der Mann bei ihnen noch tief in der Kreide steht. Der Kerl wird ihnen auf die Dauer unbequem, am Ende könnte er doch in der Verzweiflung einen Schritt wagen, der seine Peiniger ins Unglück stürzt, und Das Ziel ist endlich erreicht, der Delphin" fährt in den deshalb verschleppen sie den Willenlosen in cine Spelunke Hafen   ein. Noch eine letzte Biegung des vielfach gekrümmten außerhalb der Festungswerke und verschachern ihn dort an Flußlaufes, und das Panorama Antwerpens breitet sich in einen von Gewissensbedenken nicht geplagten Kapitän. In feiner ganzen Herrlichkeit vor den Augen der Ankommenden einer dunklen Nacht schafft dann derselbe Runner, der dem aus: ein Gewirr von Magazinen, Speichern, Monumenten, Matrosen des Delphin" ein so liebenswürdiger Führer und Thürmen und Glockenstühlen und über das Gewirr Berather war, denselben Mann als Deserteur in aller Heim­hinausragend der schlanke Spißthurm der Kathedrale. lichkeit an Bord des Schiffes. Wie ein treuer, ins Land ausschauender Wächter Raum ist er wieder in seinem Element und zu der gewohnten warnt er feine Schutzbefohlenen vor den lockenden Listen und Beschäftigung zurückgekehrt, so hat der Matrose auch schon all Ränken des Versuchers, der unten zu seinen Füßen der Opfer die Ränke und Kniffe, denen er zum Opfer gefallen, ber­lauert, der Schlange gleich, die sich im Schatten des Lebens- gessen, und wenn der arme Teufel von der langen Reise baumes verbirgt. Die untergehende Sonne läßt das herr zurückkehrt, ist tausend gegen eins zu wetten, daß er wieder liche Bauwerk in zartem Blaßrosa aufleuchten, sie spiegelt ihr in die alte Falle gehen und den Seelenverkäufern der Schelde Flammenbild in dem aus Stein gewebten Spizenbehang, und Gut und Blut überlassen wird. gleichzeitig mit dem Dohlenvolk, das in seinem Thurm nistet, XXV. flattern die Töne der Glocken hinaus in die Weite. Aber die Leute vom Delphin" erheben ihre Augen nicht zur Der Verkehr mit den Elendesten und Aermsten der groß­Höhe und hören ebensowenig die Klänge der Abendglocken. städtischen Bevölkerung hatte die naturgemäße Folge, daß Der Seemann   hat selbst im Angesicht seines Schutz- Laurent Paridael sein Geld mit vollen Händen austheilte. Es geistes nur noch Ohren für die verführerische Zurede schien fast, als ob er Gile hatte, mit thunlichster Beschleunigung der Kuppler und nur noch Augen für die Häuser den letzten Pfennig an den Mann zu bringen, um auch in in den engen Gäßchen, deren rothe Fenster wie verderben- feiner materiellen Lage den Gefährten gleich zu sein. Der bringende Leuchtfeuer durch die Nacht glühen. Sobald er den Ekel, den ihm das Geld am Tage seiner Großjährigkeits­Fuß ans Land gesezt, verschleppen ihn die Runner ohne viel Erklärung einflößte, hatte sich nach der Aussprache mit den Mühe in die verschwiegenen Lokale, wo Suppler Tilbat's wesentlich gesteigert. In seinen Augen verkörperte und Dirnen in edlem Bunde wetteifern, den Bethörten aus- das Kapital wie das Rheingold der Wagner'schen Tetralogie zuplündern. Die Runner strecken dem Matrosen einen Theil eine böse, verderbenbringende Macht, die alles Menschenelend feines Hungerlohns vor und bestimmen ihn, die paar Gold- herbeiführt, und derem finstern Walten er auch sein persön­stücke, die den Lohn seiner mühseligen Arbeit bilden, in den lliches Unglück zuschrieb. Hatte ihn nicht das Geld von