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Feierlichkeit, wenn auch in ihr nicht mehr die sinnbildliche Bedeutung auflebt, da noch alte phanta ievolle Naturbetrachtung dieselben bäuer lichen Geschlechter beherrschte.
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Im Leben des Zuversichtlichsten und Gläubigsten werden zu Zeiten Zweifel und Erbitterung, wach und selbst die begeisterten Propheten waren von Versuchungen und Kleinmuth nicht frei. Dem einen Nicht der stillen Ergebenheit, dem werdenden Licht waren die empörte die Trägheit, der andere fühlte sich von der Sinne zugewandt. Die Erdenluft durfte sich rühren, wenn im Tann Menge verlassen; des dritten Temperament war von Un= und Hag die finsteren Nächte mälig fürzer wurden. Dem ver- geduld verzehrt, weil das Vorwärtsschreiten so schneckenweilenden Genuß war die stille Woche von heute geweiht. Noch langsam ginge; einen vierten ärgerten die schmutzigen Mitläufer, waren Kisten und Kasten schwer; und man hatte es gut, sowohl der die sich an einen neuen Enthusiasmus heranmachen oder die Herr wie sein Ingesinde. Man rückte zu einander, Frau und Magd, Bub Schwächen und menschlichen Machtlaster derer, die in irgend einer und Dirn. Es war gemezget worden, und die Vorrathskammern waren jungen Bewegung zu Ansehen und Führerschaft gelangen. Aber das noch nicht geleert. Fleisch und Speck mitten auf den Schüsseln mit dem„ Ende des Jahrhunderts" war nicht mehr Zweifel, es war und Kloß und saurer Kohl. So war's um die Zeit der langen Verzweiflung und Galgenhumor. Nächte und man harrte freudiger Hoffnung, bis wieder Ostara, die Der Sput scheint so ziemlich vorüber. Es wäre auch an der Göttin mit ihren zauberhaften Sohlen über Fluren und Sträucher Neige des Jahrhunderts nichts verderblicher, als felbst strich, daß die Stauden schwollen und die Gräser sprosten. mur das fofette Spiel mit der Dekadenz. Denn eines gewiß: die Kräfte, die unsere Welt nach ihrem ist Gutdünken und ihrem Interesse einschnüren und einzwängen möchten, fühlen sich nicht wie Dekadenten. Sie haben volle Begehrlichkeit Sie gehen nicht dahin, wie träumende und gesunde Lungen. Schatten. Ihre Drohungen übertönen die weihnächtliche Stille. Sie arbeiten an den Nordmarken mit dem Gleichmuth eines Köller und fie versöhnen" Wissen und Glauben im Sinne eines Bosse, wenn er Herrn Delbrück vor sich zitirt; und sie schaffen die Harmonie zwischen dem Besitz und dem Volt, indem sie in ihrer Weise neue Gesetze austifteln, die den Arbeitswilligen partout" schützen. Im Professoren wald hat man einen Sturm als Antwort auf die Anklage Delbrück erwartet. Ach, ach, welche Naivetät! Roch rührt sich nichts in der Gelehrtenrepublik. Man las, daß die Studenten durch Trampeln Mancher, der unsere Studentenschaft ihren Lehrer feierten. würdigt, wie sie geworden ist, mochte selbst über diesen Muth erstaunt ſein. Streben, Karriere machen, ist doch die Devise zu Ausgang des Jahrhunderts. O, dieſe Jugend. Daß noch immer etliche unter ihr jugendlich aufbrausen 1- Alpha.
Auch den Stillgläubigen, die im engeren Naturverkehr leben als wir, fäme die Festesenergie von einst vor, wie eine Sage aus verklungenen Tagen. Auch ihre Kulturverhältnisse sind heute zu sehr verwvidelt. Aus alter geordneter sozialer Gemeinschaft sind sie gelöst und in eine neue find sie nicht hinein gewachsen. Mit ihrer SchollenHerrlichkeit ist es in den meisten Fällen vorbei, und weder agrarische Bittgänge, noch agrarische Trotzgeberden werden sie wiederum aufbauen. Und die rein junkerlichen Stürmer? Die wollen doch nur ihr engstes Standesinteresse wahren. Sie famen als Eroberer, nicht als Bebauer. Sie geben sich heute noch, wie die Erben einer Eroberer- Rasse, und heute walten bei ihnen noch, wie instinktiv, die Sittenbegriffe von Eroberern. Was den Bebauer an seine Scholle bindet, das wirkt auf diese Großgrundherren nicht entfernt mit der felben unmittelbaren Gewalt. Sie kämpfen um die Grundrente mehr als um den Grund und Boden.
Das weiche Herz.
Die Gasflammen in der Werkstatt waren bis auf wenige ausgedreht. Die polirten Maschinen schimmerten geheimnißvoll in dem Halbdunkel. Zwei der Lehrlinge hatten sich auf einen frisch gescheuerten Werktisch geschwungen und sahen von dort aus dem Jüngsten zu, der seinen Tisch erst abfegte. Es war ein schmächtiges, flachshaariges Sterlchen mit lebhaften, weit aufgerissenen Augen.
Noch eine Weihnacht und wir haben von einem Jahrhundert Abschied genommen. Einst, als es erwachte, sang man ihm JubelHymen. Schiller sprach das Wort vom neuen Jahrhundertsmenschen, als Herren der Natur, der die Naturkräfte bändige, und die liberalisirenden Aufklärer von Berlin meinten, mit ihrem Nationalis mus die ganze Welt zu befreien und zu beglücken. Freilich begann auch die romantische Traumsehnsucht nach der Vergangenheit in Berlin aufzuleben. Nicht wie der Dichter es ges ahnt hat, stellt sich heute das Verhältniß zwischen dem Menschen und der umgebenden Natur dar. Auf anderem Weg, als auf dem Schiller'schen der überschwänglichen Herrschaft ist man in der darwinistischen Epoche den Spuren der Natur als nüßendes Glied nachgegangen, Schritt vor Schritt; bescheiden im Experiment, nicht wie die göttlichen Gebieter kamen die Erkenner und Forscher und lehrten uns, neue Kräfte werthen und für menschliche Thätigkeit auszunützen. Eine vorbereitende Saat ist ausgestreut. Anders fam es auch, als Herr Nicolai und die anderen liberaliſirenden Elemente in Berlin fich die Welt vorstellten. Sie kämpften wider den verderbenden Aberglauben und für die geistige Bildung, wie sie sie verstanden und sie hatten noch keine Ahnung davon, wie der Leiber Noth gebrochen werden müsse, um den Geistern Raum zu schaffen. Nur wenige Jahre sind vergangen, da hat einer ihrer letzten, aber nicht gerade ernstesten Nachfahren, ein Aufklärungsmensch und Lustspieldichter, Herr Hugo Lubliner, unter Der Flachskopf hatte seinen Werktisch geputzt und zog sich eine dem Beifall hoftheaterlicher Größen das Universum und sein Vater- reine Blouse über. Die Lehrlinge warteten immer noch. Da kam der land insbesondere zu befreien versucht, indem er die löbliche These erste Buchhalter. Sein glattes, feistes Gesicht glänzte vor verfocht: Gründet mehr Fortbildungsschulen! So kann ein Heren- schmeichlerischer, wichtigthuerischer Freundlichkeit:„ Na, sich, sieh! meister mit Kleinwerk die komplizirteste Frage, die das scheidende alle schon reine Blousen an!... Na, Ihr freut" Euch wohl jetzt Jahrhundert hinterläßt, die sozialistische, im Handumdrehen lösen. schon? Ja, das glaube ich!"
Viel von dem, was sie ersehnten, haben die Erben der Nicolaiten in Berlin erreicht. Sie haben Bürgerschulen gründen dürfen, sie haben sich an Verfassungen und Konstitutionen berauscht; sie haben sogar das Parlament bekommen, und selbst in der„ Vossischen Zeitung" tönnen sie zweimal im Tage räsomniren. Behutsam natür lich, so behutsam, als es eine gestrenge Behörde zuläßt, wie sich von selber versteht. Und trotz all' dieser glorreichen Errungen schaften, um im Stil der Aufklärer zu bleiben, ist weder Glauben und Wissen versöhnt, noch sind„ Besiz und Bildung" auf der einen und das„ Volt" auf der anderen Seite zu einem harmonischen Ganzen zusammengeschmolzen". Im Gegentheil llaffen die Gegen säze schwerer als vordem. Und was ist aus dem liberalisirenden Wagemuth von ehedem geworden?
Gerade unter den Erben an der Wende des Jahrhunderts, unter der jüngsten Garde ist Müdigkeit, Verdrossenheit bis zum eklen Bessimismus eingekehrt. Man hörte von Freiheiten und fand die Freiheiten verfümmert. Man vernahm die Worte von Beglückung und konnte doch die Augen vor der Massennoth nicht verschließen. Nach neuen Wegen konnten die ermatteten Enkel der Aufklärer nicht mehr suchen. Sie riefen darum nach der Flucht vor der Wissenschaft, oder sie nannten sich gar mit Behagen die Dekadenten, die Ver fallenden, die Verwesenden, die mit einer Art von schmerzlicher Wollust die einzelnen Wandlungen ihres eigenen Niederganges, beguden.
Sie waren es, die das häßliche, abgestandene Wort vom„ fin de siècle" prägten. Als ob das ausgehende Jahrhundert ein Ende ¡ mit Elel für die Allgemeinheit bedente, als ob alle vorübergehenden Modethorheiten just mit der scheidenden Jahrhundertzahl zusammen Hingen. Auch darin sputte es von herostratischen Eitelkeiten und heroftratischer Ueberschätzung.
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Das war wohl der letzte Weg vor'm Fest!" meinte er, eifrig arbeitend. Schicken sie einen noch fort, wo man doch auch die Werkstelle sauber machen muß... Na, aber dafür auch den Weihnachten!.. Wo wir doch seit September jeden Abend zwei Stunden länger gearbeitet haben und die letzten Sonntage!.. Wir hätten bei Stundenlohn mindestens hundert Mark jeder verdient!"
„ Nu' quasselt man nich' so viel!" ermahnte ihn der Aelteste mit wichtiger Miene. Den auf dem Werktisch Sigenden brannten die Gesichter vor Ungeduld. Sie saßen schon eine halbe Stunde und
warteten.
Damit verschwand er wieder hinter der vergitterten Glasthür. Der Jüngste schwang sich auf den Tisch neben seine Kollegen. Da warteten sie gemeinsam weiter.
Endlich hatten die Kinder des Meisters ihre Sprüche hergesagt. Die Thüren wurden geöffnet, und die ganze Gesellschaft strömte in das große, hellerleuchtete Borderzimmer. Voran die jubelnden, geblendeten Kinder. Dann die Eltern, der Onkel Professor im wallenden Bart und die anderen Verwandten. Zulegt kamen die Lehrlinge und hinter ihnen die beiden Dienstmädchen.
Die Frau Meisterin führte jeden nach seinem Platz. Auf dem Platz der Lehrlinge stand nur ein Teller mit Pfeffertuchen, Aepfeln, Nüssen und Marzipan. Aber diese Süßigkeiten wurden durch ein Goldstück gekrönt, auf dem sich der vielfache Kerzenschimmer zu verdoppeln schien.
Die Lehrlinge schüttelten bald ihren Kram in die Blusen und gingen zum Meister. Mit glühendem Kopf sagten sie ihr:" Dante schön!"
Der Meister antwortete:„ Vergnügte Weihnacht!"
Als ihm der Jüngste die Hand reichte, sagte er:„ Na, Junge! Du weinst ja!"
Der wandte sich rasch ab und ging mit den andern hinaus. Die Zurückbleibenden sprachen durcheinander:" Der Kleine war ganz gerührt!... Es war auch wirklich sehr schön!" Der Meister fagte ergriffen:„ Ach ja, es ist ein sehr tüchtiger Junge! Sehr fleißig, sehr fleißig! Er hat auch ein recht weiches Herz!"
Auf der Treppe standen die Lehrlinge und starrten verblüfft den Jüngsten an, der mit zitternden Lippen, die Faust ballend zornig fagte: " Daß man immer noch„ Dante schön!" sagen muß!" Berantwortlicher Redakteur: August Jacobey in Berlin. Drud und Verlag von Mag Bading in Berlin.
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