war ihm immer alles mögliche Gute zugefallen, ohne daß er sich sonderlich darum bemühte. Er hatte, wenn man's rechi überlegte, niemals selbst etwas unternommen; es war alles über ihn gekommen, wie die Gewinne in der Lotterie, und er hatte sich gut dabei gestanden. Von Hause aus war er Schlosser, und anfangs nichts als Schlosser, bis er. eigentlich mehr durch Zufall, mehrfacher Hausbefttzer wurde. Das war geradezu gegen seinen Willen geschehen. Die Budiken waren ihm aus dem Halse hängen geblieben, als die Besitzer krachen gingen. Er hatte sie nur genommen, um nicht mit seinen Hypotheken auszufallen. Aber nach und nach hatte er sich an seine neue Würde gewöhnt und schließlich sogar die ganze Schlosserei an den Nagel gehängt, um sich vollständig dem bequemeren Gewerbe des Hausbesitzerthums zu ergeben. Solange er lebte, war die Rechnung auch glatt aufgegangen; nicht gerade glänzend, aber es gab damals auch noch nicht das bitterböse Scherzwort vom Fünfgroschen- rentier. Ein Hausbesitzer war damals an und für sich eine sehr„respektable" Persönlichkeit gewesen. Der Sohn war dann so allmälig in den Beruf des Vaters hineingewachsen und hatte sich nach dem Tod des Alten auf Lebenszett dann eingettchtet. Und hatte sich ebenfalls wohl in seiner Haut gefühlt, anfangs, heißt das. In seinen Häusern herumsteiaen, nach den rauchenden Oefen sehen, hier und da ein Stück Tapete eigenhändig ankleben, zankende Miether versöhnen, und mit den Handwerkern, die eine Reparatur ausführen sollten, bis aufs Blut feilschen, das hatte er mit ziemlichem Anstand und sehr viel Würde fertig gebracht und war sich als ein recht nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft vor- gekommen. Vis die schlechten Zeiten heranrückten. An allen Ecken und Enden wurde gebaut, die Häuser schössen wie Pilze aus der Erde, und die Miethen fielen wie die reifen Pflaumen. Außerdem hatte man sich doch auch eine andere Lebenshaltung angewöhnt. Man muß mit den Zeiten mit- gehen; ein moderner Hausbesitzer, das ist ein ganz anderes Ding, als so einer vor dreißig Jahren. Du lieber Himmel, darüber läßt sich viel und klug reden, aber es ist nun einmal so. Und da war es denn gekommen, wie es kommen mußte. Ein Haus nach dem anderen war flöten gegangen, er hatte sie nicht halten können. Und nun stand auch sein letztes, in dem er selbst wohnte, seit dem Ouartalswechsel unter der Subhaste. Wenn alles zu Ende war, blieb ihm nichts übrig. Das konnte noch ein paar Wochen dauern. Und was dann V Er hatte sich überall umgesehen und umgehorcht, so unter der Hand, seit er den Ausgang vor Augen hatte, ob nicht irgendwo ein kleiner Posten für ihn wäre, ganz gleich, wo und.wie. Nur daß er ein paar Mark zum Unterhalt der Familie hätte beisteuern können. Aber überall verlangte man Dinge, von denen er keinen Dunst hatte. Entweder sollte er die doppelte Buchführung verstehen oder orthographisch richtig schreiben, oder irgend was anderes, das er nicht gelernt hatte und nun auch nicht mehr lernen würde. Er hätte es vorher wirklich nicht geglaubt, wie gottsjämmerlich wenig er zu gebrauchen war. Er war eben blos zum tausbefitzer erzogen. Und was soll ein Hausbesitzer ohne aus mit seinen Kenntnissen anfangen. Höchstens hätte er irgendwo bei einem früheren Kollegen den Vizewitth spielen können. Aber erstens ging das doch grimmig gegen die Ehre; man kann sich nicht so fies ducken, wenn es einem auch noch so dreckig geht. Und dann— das brachte im besten Fall die halbe Miethe. Mehr kann einer heutzutage gar nicht bieten. Und essen will schließlich ein Vizewirth auch, und ab und zu einen Kleinen trinken und eine Pfeife rauchen— was ist das Leben überhaupt ohne Rauchen? sFottsetzung folgt.1 Sonnkalgsplattdevet« Fahr' hin, man wird dir keine Thräne nachweinen I Verdrieß- liche Beklommenheit stand an deiner Wiege und graue Verdrossenheit blieb dir treu bis zum Ausgange. Verklungen ist das Sylvestertteiben; ernüchtert blickt man auf den neuen Tag, das neue Jahr, das letzte deS einst so viel- gerühmten neunzehnten JahrhundettS. Der Rechnungsabschluß ist gezogen; für die Allermeisten von uns heißt er: Nichts von Nichts; und nur eine genüge Minderheit von Unternehmern wie Haus- und Landagranern wird mit dem Minister darüber nachdeicken, ob der modernste wirthschaftliche Aufschwung bereits den Höhepunkt er- reicht habe oder nicht. Wenn man die Hausbesitzer Berlins und seiner Dorott« und wenn man die Flesschvettheuerer vom Lande fragte, sie würden ant-- wotten: Geduld, Ihr tragt es noch 1 Noch find wir im Aufschwung und noch könnt Ihr leicht in Ueppigkeit leben. Man spricht so gern vom Neid der besitzlosen Klassen. Vom Neid der Befitzenden, der den anderen ein fettes Wurstende mißgönnt«der Mordio schreit, wenn einmal ein armer Teufel arbeits-unwillig einen halben Tag blau macht und die Oede seines Daseins übettäubt, spricht man niemals. Als das abgeschiedene Jahr anhub, da hatte die Bürgerschaft vom Besitz arge Verdrießlichleiten. Sie pendelte zwischen Ja und Nein. Jugendettnnerungen wurden wach, an selige Flegeljahre wurde sie gemahnt und man sollte doch ehrbar und gemessen thun. Das Gewissen schlug lebhafter, aber eine greisenhafte Einsicht sagte: Beruhige Dich. Es ist vom Uebel, an unruhige Begierden, an Freihcitssehnsucht und Schwärmerei zu denken. Um die Mitte des lg. Jahrhunderts, da strahlte und leuchtete eS. Die bürgerlichen Pulse flogen, wenn der Rame»IS. Jahrhundert" ausgesprochen wurde. Es war wie ein Rausch. Und am Ende? Wir haben alle das bange Ausweichen städtischer Behörden. die Retirade des Bürgerthums erlebt. Jetzt wieder streiten sie zu Frank- futt a. M., der ehemals„freien" Reichsstadt, um ein Denkmal herum. Ein Denkmal der Freiheit und Einheit sollte es werden; aber von Freiheit will man nicht gern reden hören. So bleibt's denn beim Einheitsdenkmal. Die Demokraten FraukstirtS grollen. Wenn sie es aber im Grunde bedenken: was sollte die steinerne Ironie, die heutzutage an Freiheit erinnern wollte. Es find jetzt rund dreißig Jahre her; da gab es unter den Deutschen gleichfalls ein süß-säuerliches Schwanken. Das absolute Preußen hatte nach ihrer Meinung den Sieg davon getragen und sie standen bei einander, schüttelten mit den Köpfen und philosophitten bedachtsam, wie denn das so gekommen sei. Da schrieb David Friedrich Strauß an den Aesthettker Bischer, mit dem er seit 1848 innig befreundet war:„Ich entnehme aus 1386 eine geschichtliche Belehrung. Bis das liberale Prinzip seine Kräfte so weit zusammengefaßt, seine Bekenner so weit unter einen Hut ge» bracht hätte, um einen solchen Stoß gegen den Pattikularisnrns zu führen,(wie er 1866 gefühtt wurde), hätten wir noch lange warten können. Nur darum ist ihm der preußische Absolutismus mit seiner konzentrittcn Kraft zuvorgekommen." Im übrigen lebt in dem Briefwechsel trotz der Bekümmerniß und Einschränkungen doch noch die Hoffnung, das Sehnen eines freien Bürgcrthums im einigen Vaterland erfüllt zu sehen. Heute ist Strauß, der Mann, der einst die religiösen Geister erregte, längst todt und der grobe Schwaben-Bischer auch. Könnte er noch poltern, wie er einst gepoltert hat, er würde vor tauben Ohren poltern. Alle Kraft- und Kernsprache wäre vergebens. Aus eüier Bürgerschaft, die in nervöse Zuckungen verfällt, wenn an ihre Jugendzeit gepocht wird, sind keine zündenden Funken zu schlagen. Kernfeste Leute freuen sich bei der Rückeriunerung an die Jugend nütsammt ihrer Trunkenheit ohne Wein, und mitsanunt ihren Eseleien, die der Humor verklärt. Wie es mit nervösen Aengstlichkeiten begonnen, so schloß daS Jahr in Staat und Stadt. Druck und im höchsten Sinn wirthschast» liche Ohnmacht sind nicht zu trennen; in dem Sinn, daß Wirth- schaft für die Allgemeinheit befruchtet. Die Sieger im Wettkampf um den Profit sind ja heute auch schon vom nervösen Bangen be- fallen: wie lange noch? Und im großen Zug I Wo ist zum Beispiel die Schnellkraft Berlins hin, sobald es sich um hohe Gcmeinschafts- intcressen handelt? Stolz, herbes Vertrauen auf die eigene Ver- waltung, was ist aus ihnen geworden? Wir haben eS in dem ängstlichen Gebahrcn bei der Unglücksftage der EleknzitätSwerke erlebt, und an verfeinerten Kulturniitteln ist es nicht bester. Die künstlerischen Entschlüsse der Stadt pflegen auszugehen, wie die Geschichte der Denkmäler an der Potsdamer Brücke uns gelehtt hat. Man möchte schwungvoll sich geberden, und am Ende plumpst man ins Wasser. Ueberall indessen ist man des Unbehagens voll; und wenn unsere Familienblätter, an ihrer Spitze die„Fliegenden", den harmlos stillen Friedenssegen und Ncujahrsgruß in die Häuser tragen, so bedeuten ihre wohlgemeinten Zeichnungen eine beträchtliche Ironie. In Paris darf das Wott„die Affäre"(Picquart- Dreyfus) nicht ausgesprochen werden, will man keine rauhe, gesellschaftliche Störung verursachen. In Wien bekommen manche Kreise Wuth- anfälle. hören fie das Wörtchen Deutsch fallen, in Italien ist zum Jahresschluß ein soziales Anklagewerk„Das barbarische Italien " von Nicefoco erschienen, das erschreckendes, grauenhaftes statistisches Matenal zur Geschichte menschlichen Elends und menschlicher Ver- Wahrlosung beibringt. Sie haben Wild-Afrika daheim, sie brauchen keine.Kultur" nach Afrika zu tragen. Im Russenreich aber, woher uns die beglückende Friedensbotschaft kam. passirten jüngst Szenen. die in ihrer sWeise ein ganz ausgewachsenes kulturgeschichtliches Dokument darstellen.* In Warschau ist dem Dichter des„Pan Taddens", Adam Mickiewicz , ein Denkmal gesetzt worden. Vor hundert Jahren wurde dieser größte Lyriker polnischer Zunge geboren. Am Ausgang seines Lebens' verfiel er, der einst ein so kräftiger Hasser war, mystizistischen Wahnvorstellungen. Man könnte ja sagen: ES ist immerhin etwas, daß es gestattet winde, dem Sänger Mickielvicz überhaupt auf polmsch-russischer Erde ein Denkmal zu setzen. Denkt man an Denkmalsgeschichten von
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16 (1.1.1899) 1
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