Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 7.

Dienstag, den 10. Januar.s

1899

( Nachdruck verboten.) sich an zu gehen, Gustel war noch nicht da. Herr Zickendrath

Herrn Bickendrath's Pensionäre. triegte es mit der Angst.

7) Jock

7]

Roman von O. Eugen Thofsan.

Es war ein feierlicher Augenblic. Reiner wagte ein lautes Wort zu sprechen. Emil Schönfeld, der nicht ordentlich hin­sehen konnte, tippte seinen Nachbar Gustel leise auf den Arm und fragte im Flüsterton:" Aeppel oder Kastanien?" Er meinte die Füllung.

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" Ich weeß nich," gab Gustel ungnädig zurück. Ihm war an der Füllung gar nichts gelegen. Nach Fleisch, nach Fleisch stand all sein Sinn.

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Nanu, es wird ihm doch nichts passirt sein," sagte er. Ach, um Gotteswillen," lachte Johannes, das macht der immer so. Der hat seinen Kaffee noch nie anders als im Stehen getrunken." Herrn Zidendrath schwoll der Kamm. Also blos Bummelei. Da soll doch gleich..." und er kletterte zum zehnten Mal die Stiege hinan.

Als er halb oben war, tam etwas in rasender Ge­schwindigkeit an ihm vorbeigefegt, das sich ihm erst, nachdem es vorbei war, als ein halb angezogener Mensch entpuppte. Die Spannung war auf's Höchste gestiegen. Herr Zicken- Die Weste stand noch offen, nur ein Rockärmel war besett, drath hob die linke Hand mit der Gabel und stach mit fühnem während der andere im Zugwind hinterher flatterte, ein Echwung nach dem Rückgrat des Opferthieres. Und der Pantoffel faufte durch den ganzen Flur bis zur Hausthüre, amel weiß, wie es geschah- es konnte es nachher keiner ein Buch wirbelte durch die Luft, verlor ein paar Blätter, richtig erzählen es machte klitsch über den großen Teller landete am Fuß der Treppe, wurde wieder aufgerafft hinweg und dann klatsch! zwei Meter davon mitten in der und dann war die Erscheinung im Wohnzimmer ber­Ctube. Die Gans war weg, bei der Thür lag sie auf dem schwunden. Herr Bickendrath aber stand noch immer mit Fußboden. Die Füllung hatte sie bei ihrem letzten Fluge offenem Munde. über den ganzen Teppich verstreut. Es waren Meppel ".

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Zvei Sefunden lang stand Aller Athem still. Dann crhob sich ein furchtbarer Lärm.

Gustel war der erste, der in ein entsetzliches Gelächter ausbrach, nachdem er sich überzeugt hatte, daß es der Gans weiter nichts geschadet hatte. Herr Zickendrath sprang auf und schimpfte wie ein Kümmeltürfe, indem er bald die Gabel, bald die Gans, bald den Himmel und bald die Hölle für sein Ungeschick verantwortlich machte.

Der kleine Emil rutschte auf den Knien in der Stube umher und fing die Aeppel ein, wobei er wie ein trauriges Hündchen vor sich hinwinimerte: Wie schade, wie schade um die scheenen Aeppel!"

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Nur Johannes verstummte jäh nach dem ersten unwill­fürlichen Lachausbruch und ging verlegen, mit zögernden, trippelnden Schritten nach der Thür, wo sich Manni mit hoch rothem Kopf über das entflohene Geflügel beugte.

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Ach, lassen Sie nur, lassen Sie nur gut sein!" sagte er und umfaßte begütigend ihren Arm. Es wird schon noch schmecken."

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Es schmeckte auch noch, und sie wurden alle satt. Emilchen hatte sogar einen unerwarteten Vortheil von dem Unglücksfall: er durfte die sämmtlichen Aleppel allein essen. Die übrigen berzichteten darauf, nachdem Gustel festgestellt hatte, daß Haare daran wären, vom Teppich.

IV.

Am nächsten Morgen um acht Uhr begann die Schule. Herr Zickendrath, der sich der Größe seiner Verantwort lichkeit voll bewußt war, war schon um halb sechs munter und putte pfeifend seine Stiefeln. Punkt sechs weckte er seine Frau und Manni zum ersten Male. Aber erst nach halb fieben hatte er die Genugthuung, die beiden Frauenzimmer auftauchen zu sehen. out that

Was sollen wir denn schon so früh?" sagte Mutter Zickendrath unwirsch. thu Ach, was Ihr follt!" gab er doppelt gereizt zurück, weil er es eigentlich selbst nicht wußte. Geschäft ist Geschäft. Und damit basta!"

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Als er sich von seiner Ueberraschung erholt hatte und das Wohnzimmer betrat, erstaunte er noch mehr. So was von Viel­feitigkeit an einem einzelnen Individuum war ihm noch nicht vorgekommen. Gustel stand tief über den Tisch hinabgebeugt und trank aus der Kaffeetasse, ohne die Hände zu gebrauchen. Die waren nämlich beschäftigt, die Kravatte zu fnoten. Und dabei stierte er unverwandt in ein aufgeschlagen vor ihm liegendes Buch und murmelte unverständliche Worte zwischen dem Schlucken.

Herr Zickendrath war zu erregt, um einen wohlgefekten Beriveis, wie es sich gebührt hätte, zu Tage zu fördern. Er brachte es nur zu einigen abgerissenen Sentenzen über den Segen zeitigen Aufstehens und über die allgemeinſten Formen der Wohlanständigkeit.

Gustel merkte erst gar nicht, daß es ihm galt. Als er aber zu dieser Erkenntniß fam, sagte er knurrig, ohne den Blick von seinem Buche zu verwenden: Na ja, nun sein Sie doch mal stille! Ich muß das hier doch noch einmal durchlesen. Wir haben nämlich das erste Kapitel zu memoriren auf," fügte er in etwas milderem Zone hinzu, und ich habe es ganz vergessen."

Herr Bidendrath war von dieser Auskunft zwar nicht voll befriedigt, aber er beschloß doch, in anbetracht der be­sonderen Umstände, die Angelegenheit zu vertagen. Man kann ja schließlich so was leicht einmal vergessen, namentlich über die Ferien. Da muß man schon einmal Rücksicht nehmen, fünf gerade fein lassen. Es waren eben Jungen, du lieber Himmel! Er war ja auch nicht so. Den Pedanten wollte er nicht spielen. Wenn der Bengel blos noch fertig wurde zur rechten Zeit!

Er trippelte um ihn herum und fah aller paar Sekunden nach der Uhr.

Gustel. Sie kommen zu spät!" mahnte er, als der Bursche noch immer keine Anstalten machte, abzuziehen.

Ach was!" fam es gleichmüthig zurück. Schwänz ich die Andacht."

Endlich, zwei Minuten vor voll, flappte der Junge sein Buch zu, sah sich wild in der Stube um und meine Stiebel!" brüllte er.

Da!... Nun hatte er noch keine Stiefeln an.de

Herr Zickendrath stürzte hinaus auf den Flur, wo er das Werk seiner Morgenstunde aufgebaut hatte. Als er damit zurücffam, stellte es sich heraus, daß die Strippen beider Stiefeln vermittelst eines Bindfadens finnreich und fest ver­bunden waren. Das war natürlich früh noch nicht gewesen. " Johannes, das Luder!" knirschte Gustel, als er den

Und um weiteren Auseinandersehungen aus dem Wege zu gehen, begab er sich wieder auf den Hof und nahm seine Stiefel noch einmal vor. ondead pilnig Von 7 Uhr an befand er sich auf einer ununterbrochenen Wanderung zwischen dem Erdgeschoß und dem ersten Stock werk. Anfänglich erhielt er auf sein Pochen und Klopfen un williges Grunzen und Knurren zur Antwort. Als ihn das nicht abhielt, seine, Bemühungen in regelmäßigen Zwischen- Schaden besah. Na warte, Kanaille!" räumen zu erneuern, blieb Alles still hinter den verschlossenen Er ergriff das Buttermesser, schnitt den Bindfaden entzwei, Thüren. fuhr in die Langschäftigen, riß alles Mögliche vom Tische an sich: Bücher, Mühe, Frühstück, und rannte ohne Gruß zur Thüre hinaus.g

Die hartnäckigen Schläfer fetten dem Störenfried ein trokig ablehnendes Schweigen entgegen, das ihn schließlich ganz nervös machte. Er war eben im Begriff, ein heiliges Donnerwetter loszulassen, als Johannes erschien. Das be fänftigte ihn wieder für einige Zeit. Nach einer Weile fand sich auch Emil am Kaffeetische ein. Aber Gustel blieb unsicht­bar. Minute um Minute verrann, Johannes und Emil schickten

Herr Zickendrath aber blieb eine ganze Weile, in tiefes Sinnen verloren, mitten im Zimmer stehen. Dann hob er den Kopf: Nun ja, da konnte ja das Erziehungswerk beginnen! Ja... die Sache hatte doch ungeahnte Schwierigkeiten.