Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 8.
Mittwoch, de: 11. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Herrn Birkendrath's Pensionäre. Roman von O. Eugen Thoffan.
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1899
,, Und ich dachte, Du fäßest auf den Hosen und arbeitetest," antwortete Herr Zickendrath im Lone ernsten Vorwurfs. ,, Ach nee, am Sonntag! Ich habe alle meine Arbeiten schon gestern gemacht." „ Elender Bengel!" dachte Herr Zickendrath. Wenn es nur wahr ist!"
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Aber, wie man so sagt, man ließ Gott einen guten Mann Aber sagen ließ sich nicht gut etwas. Er war eben fein. Das war er ja wohl auch. Er ließ es nun schon so viel tausend Jahre gehen.-es ging ja auch zur Zufrieden hineingefallen. Das sollte ihm aber eine Lehre sein. So was heit. Der Staat war ja da, und die Gesetze und schließlich unangenehmes! Und daß Emil es den anderen brühwarm hatte die Kirche ja auch ihr Gutes, für die kleinen Leute, für überbrachte, darauf hätte er die Hand ins Feuer gelegt. Verdie Armen und weniger Gebildeten. Für die war es eine flucht! Und alles wäre nicht passirt, wenn's der dämliche wahre Wohlthat, daß so was existirte. Aber selbst machte man" Supperndent" ein bischen fürzer gemacht hätte." Ich sage ja die Pfaffen!" sich um die Kirche so wenig Mühe wie möglich. Bei offiziellen Gelegenheiten, Hochzeiten, Kindtaufeu, da mußte die Kirche dabei sein. Das war nun einmal so bei anständigen Leuten. Da lud man auch den Pastor ein und unterhielt sich mit ihm. Die Leute waren ja auch so ganz nett, wenn sie unter Menschen waren; da konnte man einen sehr hübschen Schwaz mit ihnen halten. Aber wenn sie auf der Kanzel standen nee, lieber nicht!
Seit Menschengedenken war Herr Zickendrath nicht zur Kirche gegangen. Mit Ausnahme des Charfreitags, da ging er selbstverständlich mit der Familie zur Kommunion, das war eine uralte Ueberlieferung. Aber das mußte nun anders werden, unbedingt. Der Direktor hatte unheimlich viel von der religiösen Erziehung geredet. Er hatte ja auch recht. Eine Jugend ohne Religion, eine Erziehung ohne Religion, das war ein Unding. Kinder und junge Leute mußten zur Kirche. Und wenn man zu ihrem Erzieher bestellt war, dann mußte man mit.
Am Sonnabend endlich brachte er es heraus, nachdem er die ganze Woche dran gewürgt hatte. Es war zu dumm, aber er schämte sich. Und sagen mußte er es doch einmal.
" Ich halte das so in meiner Familie: alle vierzehn Tage wird zur Kirche gegangen. Ich verwehre es natürlich feinem, wenn er jeden Sonntag gehen will. Aber alle vierzehn Tage, das ist so unser Satz. Und dabei wollen wir's Lassen."
V.
Es war ein Element im Hause, das Herrn Zidendrath's erzieherischen Absichten hinderlich war. Darauf hätte er schwören mögen, wenn er es auch nicht direkt beweisen konnte. Und dieses Element war der Kantor emeritus Tripps. Schon wenn ein Mensch den Titel nicht hören mag, der ihm von Rechtswegen zukommt, das ist schon bedenklich. Der alte Kerl konnte fackgrob werden, wenn man ihn mit Herr Kantor" anredete.
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" Ich heiße Tripps," pflegte er dann zu sagen ,,, Emmanuel Tripps. Das ist ein sehr schöner Name, und ich bin vollkommen damit zufrieden. Weshalb sie mir noch den Titel zugelegt haben, das weiß der liebe Gott und das Ministerium. Ich habe in meinem Leben keine drei Töne hintereinder richtig fingen können."
Um seine Mißachtung noch deutlicher zu zeigen, hatte er seinem Hunde, einem ruppigen, schmugiggelben Pintscher, den Namen ,, Kantor" gegeben und rief ihn damit vor allen Leuten an. Wenn er ganz besonders sarkastisch aufgelegt war, sagte er sogar zu dem Köter:„ Na, warte nur, mein Hundchen! Wenn wieder Herzog's Geburtstag ist, wirst Du Kollaborator." In Wahrheit wollte er mit dieser Schimpfirung seines Prädifats nur der Regierung etwas am Zeuge flicken, die es ihm verliehen hatte, als sie ihn pensionirte. Denn bei dieser Penfionirung war es nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen.
Was eigentlich dahinter steckte, wußte niemand mit Bestimmtheit zu sagen. Die Leute erzählten sich, er habe damals gehen müssen, weil er bei einer Trauung in der Kirche statt eines Chorals den Donauwalzer auf der Orgel intonirt hätte. Das war aber natürlich dummes Zeug.
Die Mutter und Manni hatten feine Zeit, sie waren in der Küche festgehalten. Aber Herr Zidendrath war Mannes genug, sie zu vertreten. Er zog den Bratenrock an, sette den Zylinder auf und schob das Gesangbuch unter den Arm; es war zwar ein altes, das nicht mehr im Gebrauch war, fie hatten vor mehreren Jahren ein neues eingeführt. Aber das schadete nichts. Singen war überhaupt nicht seine Thatsache war, daß er sehr früh, schon mit fünfzehn Passion. So ging er ab, begleitet von seinen Pensionären. Dienstjahren, in den Ruhestand verfekt worden war, obEs war ihm doch lieb, daß ihn hier draußen niemand von gleich ihm nicht das Geringste fehlte. Er war gesund wie ein früher kannte. Die Spottvögel unter seinen alten Freunden Fisch im Wasser, trotz seiner lächerlichen Abneigung gegen würden schön gelacht haben, wenn sie ihn so gesehen hätten. alles, was frische Luft hieß. Frische Luft und Zugluft, das Es sah ihn aber keiner. war für ihn ein Begriff. Niemals durfte in seiner Gegenwart ein Fenster geöffnet werden. Und wenn er ausging, trug er an den wärmsten Sommertagen einen wollenen Shawl um den Hals und hielt sich unausgesetzt ein Taschentuch vor den Mund. Er ging aber überhaupt nur selten aus. Fast den ganzen Tag saß er oben in seinem Thurm, qualmte und betrog den Staat um sein Geld, wie Herr Zickendrath sich aus.
Am Sonntag drauf sehien niemand ein Bedürfniß zum Kirchgang zu haben. Um neun Uhr lag noch alles in den Federn. Das brachte ihn auf einen gloriofen Gedanken. Schleunigst zog er sich an.
" Nanu?" rief seine Frau erstaunt, als sie ihn schon wieder im schwarzen Staat erblickte. Schon wieder in die Kirche?"
"
" Ja," antwortete er furz. Der Supperndent predigt heute." Und schob ab. Als er die Straße hinter sich hatte, bog er links ab, nach dem freien Felde. Es war zu schön, so in der Frühe draußen zu sein! Schließlich konnte man da auch seinen Gottesdienst halten in der Natur.
Als er eine Stunde umherspaziert war, wurde es ihm Yangweilig. Ob es denn nicht bald läuten wollte zum Vater unser? Der Supperndent" machte es aber lange.
"
Langsam schlenderte er wieder der Stadt zu. Und wie er eben um eine Ecke bog, kam ihm Emil entgegen.
Er wäre am liebsten weggelaufen. Wenn er nur das dumme Gesangbuch nicht gehabt hätte! Bu fatal! Was brauchte der Esel auch hier herumzustromern. Konnte der nicht zu Hause etwas arbeiten? Nöthig hatte er's doch wahrhaftig. War zu Ostern erst figen geblieben, und wer wußte, was das nächste Mal geschah! Ein richtiger Bummler, Lagedieb!
Emil war sehr erstaunt. Ich dachte, Sie wären in die Kirche," sagte er.
drückte.
Denn er brauchte jedenfalls nicht mehr für seine Person, als seine Pension betrug, Obgleich er viel besser hätte leben fönnen, wenn er gewollt hätte. Er besaß ein recht hübsches Vermögen, von dem er kleine Kapitalien an Bekannte aus lieh. Und die Buchführung über diese kleinen Geldgeschäfte, die er mit peinlicher Genauigkeit betrieb, war seine einzige Arbeit. Jm Uebrigen ging er umher und machte sich über alle Welt luftig. Ueber alles, was anderen Leuten heilig und unantastbar war, lachte er. Oder vielmehr er lächelte nur darüber. Seine Opposition, die sich gegen alles Bestehende richtete, war nie gewaltsam und lärmend, sondern still und halb versteckt, wie fein ganzes Maulwurfsdasein.
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Und zu diefer seltsamen Streatur fühlten sich die Zidendrath'schen Pensionäre wie an unsichtbaren Stricken hingezogen. Stundenlang saßen sie im Thurm, und das laute luftige Gelächter, das von Zeit zu Zeit herunter scholl, bewies, daß sie sich unbändig wohl da oben fühlen mußten. Herr Zickendrath zerbrach sich lange Zeit den Kopf darüber, was sie wohl an diesem Umgang Verführerisches finden