Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 29.
Donnerstag, den 9. Februar.
schehen?
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2001
1899
Das ist so ziemlich die ganze Herrlichkeit, die
( Nachdruck verboten.) mir der Henker noch rauben kann. und doch ist es schrecklich!
Der letzte Tag eines Verurtheilten. Ach
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Aus dem Französischen von Paul Linsemann. Herr Vertheidiger, haben Sie noch etwas über das Strafmaß zu sagen?" fragte der Vorsitzende.
Ich hätte soviel zu sagen gehabt, aber nichts brachte ich hervor. Die Zunge blieb mir am Gaumen kleben.
Der Vertheidiger erhob sich.
Ich begriff, daß er den Spruch der Geschworenen abzuschwächen suchte, um an Stelle der Todesstrafe eine lebensfängliche Freiheitsstrafe durchzusehen, auf die er von Anfang an gehofft und die mich so aufgebracht hatte.
Die Erbitterung in mir mußte wohl sehr groß sein, um sich Bahn durch die tausend Empfindungen zu brechen, die in meinem Inneren tobten.
Ich wollte mit lauter Stimme wiederholen, was ich dem Vertheidiger schon vorhin gesagt hatte: Hundertmal lieber den Tod! Aber der Athem fehlte mir. Ich konnte ihn nur heftig am Aermel fassen und ihm mit äußerster Kraftanstrengung zurufen: Tod„ Nein!"
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IV.
Der schivarze Wagen brachte mich hierher, nach dem gräulichen Bicêtre.
Von Weitem gesehen, hat dieses Gebäude etwas Majestä tisches. Es breitet sich am Horizont, auf dem Gipfel eines Hügels aus, und wahrt auf Entfernung noch etwas von seiner alten Pracht. Es sieht wie ein Königsschloß aus. Aber je näher man herankommt, desto mehr wird das Schloß einer Ruine ähnlich. Die verfallenen Giebel beleidigen das Auge. Es ist, als ob eine Schicht von Schande und Aermlichkeit diese königlichen Fassaden beschmutzt hätte; man könnte sagen, die Mauern hätten den Aussat. Keine Scheiben mehr, keine Fensterrahmen, aber massive Eisenstangen freuz und quer, an die sich hier und da das abgezehrte Gesicht eines Zuchthäuslers oder eines Wahnsinnigen schmiegt. So sieht das Leben in der Nähe aussid his
V.
Kaum angekommen, wurde ich von derben Fäusten in met dusind studio Empfang genommen. Man vermehrte die Vorsichtsmaßregeln: bhfein Messer, keine Gabel gab's mehr für mein Essen. Die Der erste Staatsanwalt widerlegte meinen Vertheidiger, 3wangsjacke, eine Art Sack aus Segeltuch, fesselte meine Arme. und ich hörte mit einem stumpfen Gefühl der Genugthuung Man schien sehr besorgt für mein Leben. Ich hatte die Rezu. Dann gingen die Richter hinaus, um nach kurzer Frist zurückzukehren, und der Präsident las mein Urtheil vor.
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Zum Tode verurtheilt," murmelte die Menge. Als man mich fortführte, strömte die Menge hinter mir her mit einem Getöse, wie es ein einstürzendes Haus verursacht. Ich ging wie betäubt hinaus. In meinem Innern wurde es Nacht Bis zum Todesurtheil hatte ich gefühlt, daß ich athmete und lebte wie andere Menschen. Jetzt war es mir, als sei eine Mauer zwischen mir und der Welt errichtet. Alles erschien mir anders als vorher.
Die breiten, hellen Fenster, die schöne Sonne, der flare Himmel, die liebliche Blume, alles war erbleicht, als fei ein Leichentuch darüber geworfen. Die Männer, die Frauen und die Kinder, die sich um mich drängten, grinsten mich an wie Gespenster .
Am Fuße der Treppe erwartete mich ein schwarzer und schmutziger Wagen mit Gitterſenſtern. Als ich einstieg, blidte ich noch einmal über den Platz.„ Ein Verurtheilter!" schrieen die Vorübergehenden, und liefen auf den Wagen zu. Durch eine Wolke, die, wie mir schien, sich zwischen mich und die übrige Welt gelegt hatte, sah ich zwei junge Mädchen, die mich mit neugierigen Blicken verfolgten.
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Schön," rief die Jüngere und flatschte in die Hände, in sechs Wochen giebt's also eine Hinrichtung." is
III
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vision eingereicht. In sechs oder sieben Wochen konnte diese lästige Angelegenheit erst erledigt sein, und man mußte mich doch gesund und wohlbehalten auf den Grèveplak bringen.
Die ersten Tage behandelte man mich mit einer Milde, die für mich schrecklich war. Die Blicke eines Schließers schmecken nach dem Schaffot. Zum Glück wurde es aber nach wenigen Tagen wieder wie vorher, man behandelte mich wie die anderen Gefangenen, in gleich brutaler Weise und ge brauchte nicht länger die ungewöhnliche Höflichkeit, bei der ich inumer an den Henker denken mußte. Es war nicht die einzige Verbesserung meiner Lage. Meine Jugend, meine Füg famkeit, die Bemühung des Gefängnißgeistlichen und besonders einige Worte Latein, die ich an den Inspektor richtete, der sie nicht verstand, verschafften mir einmal die Woche die Er. laubniß zu einem Spaziergang mit den anderen Sträflingen. Auch die Zwangsjacke verschwand, in der ich an jeder Bewegung behindert war. signs Nach vielem Bedenken gab man mir auch Tinte, Papier, od si Federn und eine Nachtlampe.
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Alle Sonntage nach der Messe läßt man mich in der Erholungsstunde in den Gefängnißgarten. Dort plaudere ich, wohl oder übel mit den Gefangenen. Es sind gute Kerle, diese elenden Menschen. Sie erzählen mir ihre Streiche. Man könnte damit jemandem Schrecken einjagen, aber ich weiß, daß sie aufschneiden. Sie lehren. mich die Gaunerssprache, das Nothwälsch", wie sie sagen. Es ist eine Sprache, na Sie auf die gewöhnliche gepfropft ist wie ein häßlicher Auswuchs, wie eine Warze. Zuweilen eine seltsame Energie, ein überraschender Bilderreichthum. Die Sprache macht einen ebenso widerlichen Eindruck wie Kröten und Spinnen; wenn man sie sprechen hört, ist ift es cinem, als ob ein Haufen schmutziger und staubiger Lumpen ausgeschüttet wird. aber trotz alledem! Diese Menschen sind doch die einzigen, die Mitleid mit mir haben. Die Gefangenwärter, die Schließer, die Pförtner lachen und schwäßen und sprechen von mir in meiner Gegenwart wie von einem leblosen Gegenstande.o oo Go
Zum Tode verurtheilt! in mal alam da Warum nicht? Die Menschen," erinnere ich mich in irgend einem Buche gelesen zu haben, in dem nur diese eine zutreffende Stelle zu finden war, die Menschen sind alle zum Tode verurtheilt, freilich mit unbestimmter Frist." Inwiefern hat sich nun hiernach meine Lage eigentlich verändert?
Wie viele sind seit der Stunde, in der mein Urtheil mir verkündet worden ist, gestorben, die auf ein langes Leben hofften! Wie viele sind mir vorausgegangen, die jung, frei und gesund, sich vorgenommen hatten, den Tag nicht zu verfäumen, an dem mein Kopf auf dem Grèveplatz fallen soll. Wie viele, die heute noch in freier Luft athmen und sich ihres Daseins freuen, werden bis dahin mir dennoch in den Tod vorangehen!
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Ich habe mir gesagt:
VI. 10210
Da ich in der Lage bin, schreiben zu können, warum Und dann, was hat denn das Leben noch so Angenehmes sollte ich es nicht thun? Aber was soll ich schreiben? Einfür mich? Ein ödes Leben in einer Zelle, schwarzes Ge- geschlossen bin ich zwischen vier nackten und falten Mauern, fängnißbrot, schmale Portionen Fleischbrühe, aus dem Kübel der die meine Bewegung hemmen, keinen Himmel hab ich für meine Zuchthaussträflinge geschöpft. Ich kann angeschnauzt und miß- Augen! Meine einzige Berstreuung besteht darin, den ganzen Tag handelt werden, von Schließern und Aufsehern- ich, der ich der langsamen Bewegung des hellen viereckigen Fleckes zu durch eine gute Erziehung verwöhnt bin! Ich sehe kein menschliches folgen, den der Widerschein des kleinen Guckfensters meiner Wesen mehr, das mich noch eines Wortes würdig erachtet und Thür gegenüber auf die dunkle Wand malt. Und in meiner dem ich antworten fann. Unaufhörlich jagt mir meine That Einsamkeit ist nur ein Gedanke bei mir, wie ich es schon früher Grausen ein und ich zittere:' was wird noch mit mir ge- gesagt habe, der Gedanke des Verbrechens und der Strafe,