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hatte. Er kam aus dem Gefängniß, wo er in Einzelhaft seit auf, ob man die Gesellschaft nicht für die Sünder, die an ihrem acht Zagen faß. Aus seinem Strohbündel hatte er sich eine Leibe wachsen, verantwortlich machen müsse, ob nicht die rächende Kleidung gemacht, die ihn von Kopf bis zu Fuß einhüllte. Gesellschaft dem Kinde gleiche, das den Stuhl schlägt, an dem es sich Als er in den Hof eintrat, schlug er mit fagenartiger Ge- stößt? Und bei Lichtenberg handelt es sich um ein Kapitalverbrechen, wandtheit ein Rad. Es war ein Gaukler, der wegen Dieb- um das blutigste, das es giebt. Aber was die Gesellschaft auch um unvergleichlich Geringeres stahls verurtheilt war. Da wurde wie rasend in die Hände vollbringen kann, das haben wir an dem bürgerlichen Rechtsspruch geschlagen und vor Freude geschrien. Die Zuchthäusler ant- zu Dresden erfahren. Das war ein Rechtsspruch, der mit jähem worteten darauf. Schein eine ganze Weltanschauung beleuchtet. Vom Verantwortlich Es war etwas Fürchterliches um diesen Austausch von teitsgefühl der Gesellschaft entfernt man sich immer mehr. Wenn Heiterkeitsausbrüchen zwischen den wirklichen Zuchthäuslern irgend ein Kraftmeier über weichmüthige Humanitätsduselei spottet, und denen, die es werden wollten. Die Gesellschaft", das möchte noch eher hingehen. Aber daß so allmälig aller ideelle durch die Schließer und die erschreckten Besucher vertreten, Busammenhang zwischen der Gesellschaft und den Ausschreitungen innerwar vergebens da das Verbrechen lachte ihr ins Gesicht. halb dieser Gesellschaft verloren geht, daß die bürgerliche Gesellschaft im Majestätsbewußtsein förmlich den niederschlagen möchte, der die Aus der schrecklichen Strafe wurde ein Familienfest gemacht! Hand wider fie erhebt, und fei's auch nur in begreiflicher Erregung, Truppweis stieß man sie durch zwei Reihen von Bagno - das sticht als zeitgeschichtliches Dokument aus den Dresdener Gewächtern in den kleinen Hof, wo die Aerzte zur Untersuchung schehnissen hervor. Es hat sich herausgestellt, daß die Löbtauer da waren. Dort machten alle eine letzte Anstrengung, um Prügelei nichts mit irgend welcher Parteiverhebung zu thun habe, nicht transportirt zu werden, indem sie irgend ein Leiden an- daß der härtest bestrafte Rädelsführer nicht einmal, Gewerkschaftler" gaben, franke Augen, ein lahmes Bein, eine verstümmelte war. Also drängt sich der Parteistandpunkt nicht direkt zwischen und die Bürger, die über diese That zu Hand und dergleichen mehr. Aber fast immer hielt man sie die häter Gericht faßen. Unt fo bezeichnender für die Jolirung für den Bagno kräftig genug und dann fand sich jeder ruhig der Mitglieder einer bürgerlichen Gesellschaft, die Gefühl, in sein Schicksal und vergaß in wenigen Minuten feine vor lebendige Sprache und Anschauung der arbeitenden Masse geschütte langjährige" Krankheit. nicht recht mehr begreift, die sich so losgelöst, so selbstherrlich zu betrachten gewöhnt ist, daß sie keine gemeinsame Schuld, kein gemeinsame Berantwortung mehr anerkennt. Wenn ein Student ein Rohheitsvergehen verübt, so wird auch der Mann, der die bevoraugte Stellung des akademischen Bürgers nicht anerkennt, auf die Mängel der gesellschaftlichen Erziehung Rücksicht nehmen können. Er wird bedenken, in welcher Sphäre das Bürschchen aufgewachsen fei, wie feine Selbstherrlichkeit gehätschelt und berzärtelt worden war und wie der unerfahrene Jugendmuth überdies leicht zur Ueberhebung neige. Aber andererseits denkt man an fein gesellschaftliches Verschulden, sowie es sich um ein Rohheitsvergehen Als ungefähr dreißig von ihnen hinausgeführt waren, aus proletarischer Menge handelt. Man zieht kaum in Betracht, wie schloß man die Gitterthür. Ein Bagnowächter ordnete sie mit mannigfach der proletarische Mensch gedemüthigt und gereizt worden einem Stod in Reih und Glied, warf vor jeden ein Hemd, sein könne; von Unternehmern, wie von deren Zwischenbeamten. eine Jacke und ein Beinkleid von grober Leinwand, gab dann man erivägt nicht, wie viel Mitschuld die Gemeinschaft an geistiger ein Zeichen und alle fingen an sich auszukleiden. Ein under in verfeinerter Umgangsform vermieden wird; man denkt eben: erwartetes Ereigniß änderte in diesem Augenblick diese Er- das ist ein Barbar und man darf sich von ihm der barbarischen Geniedrigung in Tortur. müthsart versehen. Er soll uns fürchten lernen; sonst haben wir nichts gemein mit ihm.
Die Gitterthür des kleinen Hofes wurde wieder geöffnet. Ein Wächter rief alphabetisch die Namen auf, und dann ging einer nach dem anderen hinaus. Jeder Sträfling stellte sich in einer Ecke des großen Hofes auf, neben einem Gefährten, dem er zufällig in der alphabetischen Reihenfolge der Nächste ift. So sieht sich jeder auf sich selbst beschränkt; jeder trägt feine Stette für sich, Seite an Seite mit einem Unbekannten; und wenn zufällig ein Sträfling einen Freund hat, so trennt ihn die Kette von ihm. Das ist das äußerste Unglück!
Bis jetzt war das Wetter leidlich schön gewesen, und wenn auch der Oktober- Nord- Ost für genügende Kälte sorgte, Wie auf den Schlag der Gegenschlag folgt, so regt sich darum so zerriß er doch von Zeit zu Zeit hie und da die grauen instinktiv ein anderes Gemeinsamkeitsgefühl; es ist gewiß wieder Wolfenschleier des Himmels und ließ einen Sonnenstrahl nicht eng an eine Partei gebunden; es reicht bis zu den geistigen durch. Aber kaum hatten die Sträflinge sich ihrer Ge- Arbeitern, die vielleicht vor Rohheitsvergehen ein ganz anderes Ünbehagen empfinden, als die Angehörigen bemittelter Bourgeoisie, die fängnißlumpen entledigt, als im Augenblick, wo sie sich aber das Verständniß dafür nicht verloren haben, wie es zu erklären, nadt der peinlichen Untersuchung der Wächter und den wie zu verstehen sei. Wenn es selbst offiziösen und halboffiziösen neugierigen Blicken der Fremden boten( die sich um sie Journalisten innerlich bange wird, so kann man ermessen, wie weit herumdrängten, um ihre Schultern zu besichtigen), der die Wirkung des Dresdener Prozesses reicht. Was proletarische Himmel schwarz wurde, ein falter Herbstregen plöglich fiel Empfindung selber vermag, das wird sich im Ergebnis der Sammund sich in Strömen auf den viereckigen Hof, auf die ent- lungen für die Familien der Verurtheilten ausprägen. blößten Röpfe, auf die nackten Glieder der Zuchthäusler, auf ihre elenden Kleider entlud, die auf dem Pflaster ausgebreitet lagen.
( Fortsetzung folgt.)
Sonntagsplauderet.
Es ist eine Frage, ob wir nicht, wenn wir einen Mörder rädern, gerade in den Fehler des Kindes verfallen, das den Stuhl schlägt, an dem es sich stößt."
Ja, die patriarchalische Geistesrichtung, auf die Herr v. Miquel, der einst so Freie, jüngsthin anspielte, wird sich trotz aller drakonischen Strafen nicht wieder mehr einführen lassen. Weit sollte es auch reizen, fich in ein patriarchalisches Verhältniß einzufügen, wenn er immer und immer wieder von Zucht und abermals Zucht hört! Den Großgrundbefizern Ostelbiens, die im Landtag so herzbeweglich über Arbeitermangel flagen, wird es freilich fatal sein, daß die Landarbeiter ihre Lage nicht mehr so fatalistisch, so sehr ergeben in ihr Schicksal, betrachten. Der Fatalismus, die Ergebenheit, das gehört eben zur patriarchalischen Zucht im Miquel'schen Sinne. Was über Dich verhängt wird, trage; denn niemand meint es so wohl mit Dir, wie Dein Zuchtmeister, Dein Vater. Und Diesen Ausspruch findet man in den politischen Bemerkungen Minister Hammerstein- Lorten fügt in geheimer Verdroffenheit über von G. Chr. Lichtenberg. In wenigen Tagen werden gerade die moderne Schule noch hinzu, daß den Kindern nicht die richtige Hundert Jahre vergangen sein, seit Lichtenberg, menschenschen, ge- Liebe zum patriarchalischen Leben auf dem Lande und zum landstorben ist. Aus Anlaß dieses Gedenktages werden werden im wirthschaftlichen Beruf eingeimpft werde. Die Dorflehrer als Er deutschen Zeitungswald wiederum die üblichen Psalmen ertlingen. reger der Begehrlichkeits- Bazillen! Unsere Dorfschulmeister sind int Auch rechtsradikale rechtsradikale Stimmen werden ertönen; und troß- Allgemeinen wirklich feine Truphelden. Aber wie kann sich Herr dem fie jahraus, jahrein jahrein die Geister zu Inebeln fich v. Hammerstein erbosen, wenn er von den Lehrern spricht, die bemühen und dem autoritären Terrorismus sammt Knoten die Geistesrichtung der bäuerlichen Bevölkerung schädlich bepeitsche und Stockprügeln huldigen, werden sie das erbauliche Sprüchlein bereit halten: Wer an feinen Leffing sich erinnere, follte zugleich auch Lichtenberg's gedenken, des scharfsinnigen Geistes, des bedeutenden Satirikers, des Schriftstellers, der im verwachsenen Körper einen aufrechten, freien und fühnen Geist besaß. Lichtenberg Tränkelte immer und wurde nicht sehr alt. 1742 wurde er in der Nähe von Darmstadt geboren. Sein schriftstellerisches Lebenswert tennt lein weit ausgeführtes, geschlossenes Buch. Ideen, Grundsätze und Einflüsse sind meist in fnapper aphoristischer Form abgefaßt. Aber nicht selten verrathen sie den einsamen, durchaus selbständigen Denker.
Hätte ein moderner Geist die Eingangs erwähnte politische Bemertung gethan, es wäre nicht so wunderlich, denn der wäre schon auf viele Vorarbeit gestoßen. Aber Lichtenberg's Saß ist nahezu 120 Jahre alt, und damals schon tauchte der merkwürdige Gedante
einflussen. Ja, noch mehr mußten die armen Lehrer einstecken! Der Hochmuthsteufel hat sie gepackt und läßt sie nicht los. Der niedersächsische Bauer lebt mit seiner Kuh und seinen Hausthieren unter einem Dache. Das hat seiner Ehre nie Eintrag ge= than. Der Lehrer aber schämt sich bereits. Der Begehrliche will einen eigenen Stall für sein Vich haben, und so verdirbt er durch sein Beispiel alte Sitteneinfalt. His out
Es ist ja wahr, der Typus des niedersächsischen Bauernhauses weist den einheitlichen Grundriß auf, wonach Wohn- und Stall räume unter ein Dach gebracht sind. Ist aber der Niedersachse der einzige Träger bäuerlicher Kultur in Deutschland ? Das fränkischthüringische, wie das schwäbisch- alemamische Banernhaus in Mittel deutschland , Süddeutschland , Deutschösterreich und der Schweiz durften frühzeitig eine reichere Gliederung aufweisen. Gut, das geschah unter anderen wirthschaftlichen Bedingungen und sogar bei gesteigerten