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dachten, das gab Anlaß für viele und ernsthafte Streitiger war unmittelbarer als je, weil ein starker Neid mit teiten. Auch dann noch, als jede Ursache dazu längst ge- ihm in ihrer Seele aufquoll: die Unselige besaß das schwunden war, als keine Hoffnung mehr dafür blieb. Glück, danach fie selber so heiß begehrt hatte. Aber
,, Sie haben sich's verschrieen, denn Gottesgabe muß man fonnte sie es nicht so erlangen? Konnte ihr die kleine Gabriele nehmen, wie und so oft sie tommt", erläuterte die alte nicht Ersatz für Vermißtes werden? Und dennoch, was immer Susann, die Einzige, die es durch Jahre bei ihnen aushielt. jegt tam, es war nicht das Rechte: nicht die Natur allein Und die Susann war ein fluges und vielerfahrenes Weib. sprach dawider, sie wußte, auch Rupert würde sich sperren. Ihn mußte sie bitten! Wie das thun?
Den ganzen Vormittag grübelte sie so. Und dennoch wußte sie sich endlich nicht anderen Rath, als indem sie- man saß gerade bei Nüssen, die den Nachtisch machten ohne jede Einleitung anhub:" Du, Rupert, die Therese ist gestorben."
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Er fnackte gleichgiltig weiter." So? Gott schenk' ihr die ewige Ruhe, wenn er sie ihr zugedacht hat. Brauchen könnt' sie's!" „ Nicht wahr?" rief Salome nach.„ Und Du wirst doch als Schwager das Deinige dazu thun, daß sie's finden kann?" Rupert aß behaglich weiter. Wüßt nicht, was ich thun kann dazu. Oder ist sie katholisch worden? Soll ich Seelenmessen für sie lesen lassen?"
Wie Du nur sprichst," entgegnete sie getränkt... Gewiß nicht! Aber da ist die Gabi
Renn' ich nicht! Geht mich nichts an!"
Wenn aber dieser Schmerz ihnen Beiden gemeinsam, wenn er selbst ein Band mehr zwischen ihnen geworden war nach jener ersten bittersten Zeit des Entsagenmüssens, da Jedes heimlich dem Andern gegrollt, weil es in ihm die Ursache so herber Enttäuschung suchte, dann hegte die Frau noch ein Sonderleid. Eine Schwester hatte sie beseffen, von reicheren Gaben, um Vieles jünger, von seltener Aumuth und unendlich liebenswerth. Man hatte das Kind gehätschelt, und zumal sie war ihm mit Allem angehangen, was in ihrer Seele zu lieben vermocht. Die war verkommen; dem Elternhause war sie entlaufen, ohne daß man nur ahnen konnte, warum sie es that, noch wo sie war. Freilich hatte auch Niemand jemals ihrem Schicksale nachgeforscht; ihr Angedenken ward todtgeschwiegen, und wenn irgendwie Kundschaft von ihr zugetragen wurde, dann war sie immer traurig und betrüblich und erzählte von Hunger und Herzeleid. Aber Frau Salome hatte kein Mitleiden mit ihr; sie gab viel, wenngleich nur bedacht und nie ohne weise Lehren, aber für ihre Schwester, das hatte sie sich zugeschworen, sollte ,, Nun, der Theres ihr Kind. Und das hat Niemanden ihre Hand immer geschlossen bleiben. Keine Versuchung, auf der Welt, wenn nicht uns. Oder soll sie schlecht werden ihren Eid zu brechen, trat an sie heran. Die Verlorene litt auch? Und weil wir so keines haben, so möcht' ich denken und ertrug es klaglos, daß man sie selbst bei der Erbtheilung Er unterbrach sie heftig:" Ich mag kein Mädel. Das nach dem Tode der Eltern überging freilich über lett- von der Komödiantin schon gar nicht." willige Verfügung. Das that Salomen fast wohl; es war ,, Ueberleg' Dir's, Rupert!" bat sie.... nur in der Ordnung, wenn die Sündige schon in diesem es ist Schickung, daß die Gabi zu uns kommt. Leben ihren Lohn erhielt; aber es war schön, daß sie werden, als die Theres gewesen ist. Und Du gegen ihr Loos nicht murrte, wider den Stachel ihr die Thür zu schließen?" nicht lödte", wie wie es sich für ein tapferes Weib ge- Sie wird's nicht! Ich will sie nicht! hört. Im Innersten aber war sie ihr doch noch immer nichts!" schrie er. zugethan, und wenn sie ihren Mann einmal aufs Höchste gereizt, wenn der sich nicht mehr zu lassen wußte vor Wuth, dann beschwor er das Angedenken der Komödiantin". Er that's felten, denn er wußte, dann ward sein Weib blaß wie der Tod, dann flog ihr Athem, und unsäglich leidvoll entrang fich ihr: Sie ist doch braver wie Manche in Seide und ist stolz und calvinisch geblieben," dieser lezte, arme Troft ihren Lippen. Tags danach litt sie, und das war der wohlfeile Triumph, seinem Weibe gegenüber einmal das letzte Wort behalten zu haben, für Rupert Lohwag am Ende doch nicht werth.
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II.
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Und dennoch sollte ein Tag kommen, an dem an Salome's Wunde, sonst so sorglich gehütet, daß sie ihrer kaum mehr bewußt zu sein glaubte, gerührt wurde. Von fremder Hand geschah es, und so rauh und unversehens, daß sie vor Schmerz und Scham zu vergehen meinte. Eine Verwirrte ging fie an jenem Lage umher. Nur einmal hatte sie den Brief gelesen, der ihr solches Weh brachte, und dennoch kannte sie jede der hochtrabenden und vunderlich geschnörkelten Wendungen aus wendig, in denen ein ganz Unbelannter einer nicht genug verehrlichen Frau ergebenster Diener und Theater- Direktor" ihr mittheilte, daß der wundersame Finger des höchsten Wesens das sehr schätbare und naive Mitglied seiner vortrefflichen Künstlergesellschaft, die Demoiselle Therese Wagner , mit plötz lichem Binke zu sich gewunken habe, so daß ihr unmündiges Kindlein Gabriele eine gänzliche Waise geworden sei Allerdings hätte er sich der
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Ich sag' Dir: Sie soll besser hast das Herz, Ihr taugt Alle
( Fortsetzung folgt.)
( Nachdrnd verboten.)
Bergstürze.
Die Katastrophe, die in den legten Tagen des vorigen Jahres einen Theil des Dorfes Airolo am südlichen Ausgang des Gotthardttunnels zerstörte, wird demnächst außer den bereits erfolgten natür lichen Nachstürzen auch noch ein fünftlich herbeigeführtes Nachspiel erleben. Der Sasso Rosso, deffen gelockerte Felsmassen den drohenden Absturz durch das Oeffnen von Spalten und die einem Bergsturz in der Regel vorangehenden Geräusche auch diesmal schon lange vorher angekündigt hatten, ein Umstand, dessen Berücksichtigung die geringe Zahl der Verunglückten zu verdanken ist, will sich so leicht nicht wieder beruhigen. Drohende Spalten ließen bei der der Katastrophe folgenden Untersuchung sofort vermuthen, daß dem ersten Sturz noch weitere folgen würden. Von dem nur zum Theil zerstörten Orte sollen freilich nach dem Urtheil Bergkundiger die etwa noch zu erwartenden Felsstürze größtentheils durch eine feststehende Gebirgsrippe abgelenkt werden, doch glaubt man, daß bei weiteren Rutschungen die bis jetzt verschonten Anlagen der Gotthardbahn in Gefahr lommen können. Im diesen üblen Aussichten zuvor autommen, will die Direktion der Gotthardbahn schon jetzt gemeinsam mit der Regierung von Tessin zur Sprengung der gefährlichen Stellen schreiten, um sowohl das Dorf als auch die Eisenbahn-. anlagen vor späteren plötzlichen Katastrophen zu schützen. der Bewohner aus dem bedrohten Orte einen erheblichen Fort Diese Maßnahmen bedeuten ebenso wie die rechtzeitige Flucht schritt in dem Verhalten der Gebirgsbewohner gegenüber den fie bedrohenden Gefahren. bedrohenden Bisher haben sich die Bes angenommen, wohner der Alpen und wahrscheinlich auch die anderer Hochgebirge gegenüber den zahlreichen Gefahren, die dort den Menschen in vielen Gestalten bedrohen, fast immer durch Fatalismus und durch eine nur durch die Gewohnheit vieler Jahrhunderte zu er flärende Gleichgiltigkeit auszeichnet. Lediglich vor den Lawinen, wo dieselben mit unveränderlicher Regelmäßigkeit ihre Züge verfolgen, ben belebteren Alpenstraßen zu schützen gesucht, dagegen steht man hat man sich schon seit langer Zeit durch Gallerien wenigstens an den Bergstürzen, den Gletscherbrüchen und manchen anderen vorauszusehenden Ereignissen mit einer Ruhe und aus. Eine Todte war die Verschollene Salomen seit Jahren. Einer scheinenden Theilnahmslosigkeit gegenüber, die nun erfreulicherfolchen grollt man nicht, man hadert nicht oft und nie lange über's weise größerer Vorsicht und Aufmerksamkeit zu weichen scheint. Grab. Aber nun ward der Ueberlebenden die Schande der Einer der besten Kenner der geologischen Verhältnisse in den Anderen gegenwärtig; das lebende Zeugniß davon pochte an Alpen , Professor Heim, schreibt über diesen Punkt:„ Es ist für uns ihre Thür, die sie so sorglich vor allem Unehrenhaften ge- stürzen vorausgehenden Gepolter zuschauen, ohne zu fliehen. unbegreiflich, daß die Menschen dem zunehmenden, fast allen BergDer hütet. Sie mußte sich des Kindes annehmen, das stand fest; Sturz am Vorderglärnisch, dessen Vorboten allerdings für alle Thales var Gottes Finger, seine Schichung, von der sie bewohner leicht sichtbar und hörbar waren, ist der einzige mir be nach den Satzungen ihres Glaubens fest überzeugt war. tannt gewordene, wo man zeitig flüchtete. Nicht etwa, daß man die Aber ein heißer Zorn tam ihr vor dieser Nothwendigkeit;| Vorboten in den anderen Fällen übersehen hätte bei den meisten
tönne sie wohl gar in Kinderrollen verwenden. Aber das scheine nicht mit denen Intentionibus der nun mehro Seligen zu stimmen, die niemalen ein Auftreten derselben gelitten. Und so ergehe denn die Frage an sie als die Tante, ob sie sich des Waisleins erbarmend annehmen, ob sie es ihm überlassen wolle, der freilich wenig für eine Erziehung mehrbemeldeter Gabi Wagner zu thun und als mit eigenen Kindern genugsam gesegnet vermögend sei.