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zur Kirche. Eben trat aus einem Hause eine solche Familie. Boran verblüffend reiche und mannigfaltige. Die Zahl der Windungen des ging der Vater mit seinem Sohn. Der Junge stat in frischen, neuen Stirnbirnes zum Beispiel war so groß, daß man die sonst leicht auf­Hosen und neuem Rock. Vorn auf der Brust hatte er ein kleines, weiß- findbaren Kleinen Nebenwindungen kaum mehr unterscheiden konnte. grünes Sträußchen. In den Händen, die in schwarze Handschuhe Das sonderbarste Ergebniß der Untersuchung war aber, daß noch allerdings längst vergangenen Entzündungs­Bater hatte sich ebenso würdevoll und feierlich gekleidet. Trotz des prozesses Indem Professor Hansemann dies falten, feuchten Märzwetters ging er ohne Mantel. Sein langer, mittheilte, erwähnte er, daß Helmholz öfter zu ihm geäußert, er schwarzer Gehrod war von oben bis unten zugeknöpft und stand( Helmholtz) habe in seiner Jugend einen Wasserkopf leichter Art vorzüglich zu dem Ernst des Gesichts. Auch der Zylinderhut war gehabt. Dieser Krankheitsprozeß führte natürlich zu einem andauernd frisch gebügelt. An seinem ziemlich erhabenen Bäuchlein war zu etwas vermehrten Hirndruck, woraus sich die tiefen Eindrücke auf sehen, daß er ein fleiner Geschäftsmann war, dessen Frau ihm red- der Innenseite des Schädels erklären und auch die auffallende That­lich zur Seite stand. Das war ihr, die mit zwei Töchtern folgte, sache, daß Helmholz inmitten völliger Gesundheit nicht selten an auch anzusehen. leichten Ohnmachtsanfällen litt, die ihn in den Ruf eines Epileptikers Verschiedene Geschäftsleute, die vor ihrer Thür standen, er- gebracht hatten, zumal er sie selbst als epileptiforme bezeichnete. kannten den Familienvater. Sie grüßten und sahen ihm mit Auf die einst vorhandene Hirnwassersucht, welche, wie nicht erst neidischem Lächeln nach. Wie er so stolz und selbstbewußt an der gesagt werden muß, vollkommen ausheilte, wies auch die ungewöhn­Spize seiner Familie dahinzog! Ja, der Klempnermeister Mosow liche Ausdehnung der Gehirnhohlräume hin und nicht zum wenigsten war ein tüchtiger Mann. Er konnte sich sehen lassen mit seinen An- der im Verhältnisse zur nicht großen Statur ungewöhnlich große gehörigen! Das war ja auch der Zweck des Mariches zur Kirche. Kopfumfang. Uebrigens wurde auch bei Cuvier und Rubinstein ein Er hätte zwar auch ebenso gut eine Equipage nehmen können. Aber ausgeheilter Wasserkopf gefunden. seine Bekannten sollten doch mal sehen, wie er seiner Familie vor­stehen konnte und daß er allen Angehörigen das zukommen ließ, was ihnen gebührte.

gezwängt waren, trug er ein neues, glänzendes Gesangbuch. Der deutliche Reweisbar waren.

Solche Gedanken bewegten ihn; da stieß ihn sein Junge an, indem er seinen kleinen runden Hut zog. Klempnermeister Mosow folgte der Richtung des Grußes. Er hatte den Infassen einer Equipage gegolten, die fich zwischen Straßenbahnen und Lastwagen durchzwängte. Die Insassen der Equipage stellten auch eine zur Kirche eilende Fa­milie dar: Vater und Sohn auf dem Vordersiz, Mutter und Tochter auf dem Rücksitz. Dem Klempnermeister war, als kenne er den Mann in der Equipage. Doch verschwand der Wagen gleich hinter Straßenbahnen. So fragte er denn seinen Jungen: Wer war denn das?"

Mein Freund Gustav."

"

" Ach, ich meine, wie der Vater heißt!" fagte Herr Mosow un­geduldig. Kirschner, Maurermeister Kirschner!"

21 Na, warum haft Du das denn nicht schon früher gesagt?" fragte Herr Mosow ganz entrüstet.

Und der Junge wird mit Dir zusammen eingesegnet?" " Ja."

Ja... ich wußte doch nicht, daß Du Herrn Kirschner kennst." Herr Mojow hatte sich schon rüdwärts nach seiner Frau ge­wendet: Dent Dir, Auguste, der Kirschner! Hast Du ihn gesehn? In der Equipage! Mit seiner ganzen Familie! Unsereins läuft zu Fuß, und so'n Schurke leistet sich' ne Equipage! Das ist doch wirt lich doll! Das geht doch über die Hutschnur!"

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Eine

Im Berliner Theater jagen fich die Novitäten, und fie gleichen sich. Am Freitag gab es wiederum eine Wiener Komödie: Die neue Richtung" von Marcus Brociner und Alexander Engel. Wiederum eine dünne Harmlosigkeit, auf die einzugehen überflüssig erscheint. Wer rettet uns vor dieser Fluth von Stüden, die im Ernst wie im Scherz faum groß genug ge­wachsen sind, um sonst ein Beitungsfeuilleton zu füllen? magere Humoreste mit einem altbekannten Einfall wird auf ausgeredt. Ein Philister soll sich ein mal austoben; ein Syrupdichter, dessen Arbeiten feinen rechten Absatz mehr finden, soll sich der neuen Richtung an­bequemten, feine Mondscheinverse mehr machen, sondern topfüber sich ins Leben stürzen, wo es am wildesten ist. Aber aus einem zahmen Karpfen wird niemals ein wilder Hecht; und so verdrießt en Bonbons- poeten fein erftes unregelmäßiges Abenteuer mit einer malenden Dilettantin, die im Grunde auch ein ehrfames Philisterweibchen ist, und reuig kehrt der Dichter zu seiner tugend­haften Hausfrau und damit auch zu seinen Tugenderzählungen für Haus und Familie zurück. d

Lan ließ man das laue Lustspiel an sich vorübergehen; die parodistischen Scherze, die auf Kosten eines bekannten Berliner Theaterdirektors gemacht wurden, machten wohl einigen Leuten mancherlei Spaß. Aber wie viele außerhalb der Premièrenbesucher sind es denn, die das Original dieses Direktors, seinen Schmurrbart, wie fein gespanntes Verhältniß zu den leidigen Fremdwörtern temen?

Die Frau und die Töchter waren ebenso entrüstet und voller Wuth. Sie beriethen einen Augenblick miteinander. Die Frau sagte auf In Ton und Haltung hatte Herr Hansen die Eigenheiten alle seine Vorschläge:" Ja, ja; das wäre ja ganz gut. Aber besser des Direktors gut abgesehen. Sonst gab den schüchternen Bucker­wäre doch, Du gingest gleich! Er hat doch ficher' ne goldene Uhr Boeten der schüchterne Liebhaber, die Backfischrolle der theatralische und' ne Kette bei sich. Und baares Geld schließlich auch. Rasch Backfisch gethan, ist halb gewonnen."

" Siehst Du, das habe ich mir auch gesagt!" Und er eilte schnell davon, während seine Angehörigen allein den Weg zur Kirche fortsetten.

Die Einfegnung war fast beendet. Die Konfirmanden gingen eben zur Dreien vor nach dem Altar, um dort den Segen des Bastors zu empfangen. Da ging die große Eingangsthür. Bor fichtig war sie geöffnet werden, fnarrte aber doch. Die Gemeinde fah sich unwillig nach den Störenden um. Herr Mosow war mit einem Herrn, der auch festlich gekleidet war, näher getreten. Als die Gemeinde bemerkte, daß die beiden ergeben und fromm ihre Köpfe fenkten, wendete sie sich befriedigt wieder dem Vorgang am Altar zu. Auch die beiden Buspätgekommenen schienen nur Augen für den Gottesdienst zu haben. Der Küster, der sie immer noch anstarrte, verlor seinen ver­ärgerten Ausdruck über ihre Aufmerksamkeit.

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Und als mun das Schlußgebet gesprochen wurde und der letzte Vers im Kirchengewölbe widerhallte, da war es, wie wenn sich ein Leuchten über die beiden Männer ergoß. Ihre glühenden Gesichter bot ber stachen ab von den durchfrorenen der andern. Erschüttert von der Dramatiker war, Macht des Wortes, vom Gesang und dem Orgelspiel beugten sie fich vor.

Mufik.

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-ff.

Aus der Woche. Es sind bereits Andeutungen gefallen, daß die Wagner- Vereine ihre Aufgabe erfüllt und sich fiber­lebt hätten. Das Konzert der Wagner Vereine Berlin und Berlin - Potsdam bom legten Montag ließ nichts davon merken und erinnerte uns daran, daß in wenigen Monaten wieder die Festspiele in Bayreuth beginnen. Solche Wagner- Konzerte leiden von vornherein unter dem gleichen widerspruchsvollen Uebel, das Wagner selbst erdulden mußte, als er irdischer Noth halber Konzerte gab. Ihre Hauptstücke sind ja doch nur Theile aus Wagner'schen Dramen, also eine Geschmackswidrigkeit und speziell eine Sünde wider den Wagner'schen Geist. Immerhin ist die Sünde hier geringer, als wenn in anderen Konzerten fonzertiidrige Stücke aufgeführt werden: hier fügen sie sich doch noch eher als dort zu einer annähernden Einheitlichkeit zufammen und erscheinen troiz allem als Bestandtheile einer großen, wenigstens historisch ges schlossenen Bewegung. Ein Zielpunkt dieser Bewegung ist nun auch Berlioz . Daß er nicht blos Programm- Mufiler, sondern auch Berlin , sollte uns durch eine Hauptnummer jenes Konzertes in Erinnerung gebracht werden. Es war dies ein Stück aus den ( nicht in Berlin ) enthält das wieder sehr gut verfaßte Programm Trojanern"; Bemerkungen über die Schicksale dieses Werkes buch des Konzertes. Soweit sich urtheilen ließ, haben wir es nicht nur mit einer sehr ausdrucksvollen und reich instrumentirten, sondern auch mit einer an Stellen der Steigerung sehr wohlklingenden Musik zu thun. Unter den übrigen Nummern des Konzertes war wohl die zweite Hälfte des 1. Aftes von Wagner's" Parsifal " das Wichtigste. Hier hatten sich mit dem verstärkten philharmonischen Orchester der -Das Gehirn von Helmholt, dem großen Naturforscher Lehrerinnen Gesangverein und der Berliner und Gelehrten, hat, wie die Wr. Med. Bl." schreiben, Dr. Hanse- Lehrer- Gesangverein verbunden. Die Chorgruppen find mann, Professor der pathologischen Anatomie an der Berliner im Drama selbst auf drei Höhen musikalisch und räumlich Universität, untersucht. Die Ergebnisse dieser Untersuchung find vertheilt; das wiederzugeben ist im Konzert schon von vornherein sehr merkwürdig. Zunächst fonstatirte Hansemann, daß das Ge- faunt möglich, und diesmal scheinen die Proben nicht ausreichend wicht des Helmholtz'schen Gehirns 1440 Gramm betrug. Bum gewesen zu sein, so daß manches recht sehr schwankte. Das soll das Vergleiche mag dienen, daß sich bei Cuvier 1600, bei Gauß 1492, bei Verdienst des Dirigenten, des Wagner- Veteranen Josef Sucher , Franz Schubert 1420 Gramm Hirngewicht fanden, und daß man als nicht schmälern; als Amfortas bewährte Herr Scheidemantel Durchschnittsgewicht 1358 Gramm annimmt. Also in Beziehung auf seine wohlbekannte Meisterschaft, und in zwei anderen Rollen gab das Gewicht war das Gehirn Helmholy' nichts sehr Auffälliges. sich Heir Emil Severin viele und erfolgreiche Mühe, seine Be­Dagegen zeigte sich die Gliederung des Organs als eine geradezu fangenheit und seinen anscheinenden Mangel an Routine zu über­

Da ist er, da ist er 1" meinte Herr Mosow flüsternd zu dem Andern. Der nichte. Als die Gemeinde hinausdrängte, da zivängte er sich durch zu dem Maurermeister:' n Tag, Herr Kirschner!" Der wurde blaß und that, als lenne er ihn nicht.

Da sagte der Herr sie waren noch auf den Stufen der Kirche: Ach, Sie erkennen mich wohl nicht?... Wir sind doch alte Bekannte! Ich bin der Gerichtsvollzieher Brandt!!"

"

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