Hnterhaltungsblatt des WorwSrts Nr. 49.. Donnerstag, den 9. März. 1899 (Nachdruck verboten.) ?> Das Vlttk. Roman von I. I. David. VI. Am schweigenden Weiher hatte die Bekanntschaft zweier armer und liebeverlasscner Kinder angehoben, an einem heißen Junitage, und nichts verkündete in ihrem Anbeginn, mit welcher Leidenschaftlichkeit sich Gabi dermaleinst, wenn auch nur für kürzeste Frist, an das Angedenken des Gespielen klammern sollte. In ihrer hohlen Weide saß sie und starrte in das Gluthen des schwülen Hochsommermittags: in das Flimmern, Flirren und Glitzern, das vom uugeregten Gewässer rückstrahlte und die Welt durchflammte und erfüllte. Da brach ein Schatten in all das Licht; denn ganz unversehens staunten große, schwarze, wimpernlose, ein wenig entzündete Augen zur Einsamen herüber. Und- in eine Sttlle, die so tief war, als schliefe der Tag selbst und die ganze Natur verhielte den Athem, ihn nicht zu wecken, klang ihr jähzornig ängstliches:„Geh' weg, hörst? Ich brauch' Dich nicht I" hinein.„Ich dachte nur!" kam's zurück, und das abgemessene Hochdeutsch dieser Worte war das erste, was ihr neben seiner Häßlichkeit an ihm auffiel.' Sic aber ballte die Fäustchen:„Hast nichts zu denken, hörst? Geh' weg. Ich mag Dich nicht, aber schon gar nicht. Bist mir zu garstig." Der Bube zuckte zusammen, als habe ihn ein unvcrsehener Peitschenschlag getroffen; aber er wagte keine Widerrede, und in unterwürfigster Demuth entfernte sich Eduard Böhm. Des nächsten Tages erschien er wieder. Zum andern Male vertrieb ihn ihr Gebot, und so hielten sie es fortab eine Zeit. Bis Gabi fast neugierig wurde, was der wunder- Ii che Geselle eigentlich von ihr begehre, und ihn nur noch anherrschte, um zu sehen, ob er ihr noch gehorche: denn sie gebot desto lieber, je minder ihr eigenes Wollen im Hause selbst etwas vermochte. Hier galt es immer. Sie duldete ihn also manchmal von ferne; dann hielt er sich stille, und sie be- nahm sich, als wäre niemand zugegen, spielte mit ihrem Püppchen, nur vielleicht etwas zierlicher als sonst, oder knusperte an den Bißchen. die ihr, der am Tische der Eltern jeder Bissen widerstand, die Susanne zuge- steckt. Dann schielte er verlangend nach ihr hinüber und blieb dennoch stumm. Bis einmal ihre Guwmthigkeit es ihrem Wunsche abgewann, sich bitten zu lassen. Sie schlich hinter ihn. der gerade aus die Wasser hinaus starrte:„Da hast. Iß! " Er langte rasch danach:„Ich danke auch schön." Sie kehrte sich behend ihrem Unterschlupf zu:„Giebt's nichts zu danken. Das Hab' ich, wie viel ich will." „Du hast es aber gut!" rief er bewundernd. „Meinst?" Ein ganz unkindlicher Hohn, ein entsetzlicher torn brach aus dem einen Worte.„Meinst? Dummkopf I iarsch, der Teich gehört mein." Aber, mochten sie immer im Bösen geschieden sein, ohne daß der Knabe nur ahnte, was Gabi erzürnt, das Eis war nun einmal gebrochen. Danach fielen Regentage ein, die jeg- liches ans Haus banden; aber ein jedes ersehnte auch den wannen Sonnenstrahl. Und als der endlich über die Erde glitt, da lebte ein Glücksgefühl in Gabi. Zum ersten Male erwiderte sie seinen Gruß und beide verhielten sich still, wie sie's gewohnt. Bis ihn Gabi einmal ganz unvermittelt aus ihren Träumen heraus anrief:„Du, was hast gedacht?" Er besann sich erst:„Wann, jetzt?"—„Narr, damals, wie Du zuerst hergekommen bist I" Da lächelte der Junge ganz leise:„Ich dachte nur, weil wir beide so einsam sind, denn ich hatte Dich oft allein ge- sehen, so könnten wir vielleicht Freunde werden." „Warum bist Du's? Ein Bub I Ich lvollt', ich wär' einer. Geh' Dich raufen und laß mich in Ruh'." Er wiegte sachte den unschönen Kopf. Dann streifte er bedächttg den viel zu kurzen Aermel seines Rockes, das schlechte Hemd auf. Ein magererr, überschwacher Arm kam zum Vor- schein. Sie kehrte sich in einem Schauder:„Dann..." „Und_ das ist noch nicht Alles," sprach er, achtlos für ihren Zwischenruf.„Aber wenn sich die vom Dorfe prügeln mit den Böhmen , dann kommen sie: Halt' mit Böhm. Ich habe mitgehalten: danach haben die Anderen auf mich gepaßt und haben mich durchgehauen, weil ich nicht mit ihnen gegangen bin, und kein Mensch hat mir geholfen. Und über» Haupt: Jeder prügelt mich, wer gerade Lust hat, und der- langt dann noch, ich soll für ihn Partei nehmen. Das kann ich nicht, und so geh' ich lieber dorthin, wo ich keinen treffe. So bekomme ich wenigstens nur von den Deutschen Schläge, und ich gehöre doch zu denen, wenn sie mich auch beneiden, weil ich schöner spreche und nicht so bäuerisch wie sie. Denn sie haben's nur von ihren Eltern gelernt, ich aber vom Herrn Lehrer in der Schule, und ich gebe gut acht, daß ich genau so spreche wie er und die gebildeten Leute." „Hast keine Eltern, Böhm?" „Ich denke kaum mehr, daß ich sie hatte." Ein stärkstes Mitleiden regte sich in ihr. Sie'machte sich schmal:«Rück zu, Böhm." Er tbat's, und nun, die Höhlung bot beiden Raum, saßen sie lange ernsthaft und sinnend bei» sammen. Damals wurden sie Freunde, und fommerlang wuchs dieses Gefühl, bis Gabi einmal von ihrem Teller weg einen guten Bissen für ihn aufsparte. Den trug sie ihm zu:„Das war für mich, das Hab' ich nicht von der Susann'." Er aber war froh damit, denn er erkannte den tieferen Sinn dieser Spende. Sie sahen sich auch im Winter, dann strich er ums Hintere Thor, und die Ge- fährtin kannte die Zeit, in der er ihrer zu harren gewohnt war, und verfehlte sie niemals. War's auch nur, daß sie einander die Hände drücken konnten, denn ob sie gleich wußte, daß ihre Gaben ihm sehr willkommen wären, und sie dachte, er nehm' es vielleicht nicht so genau— sie mochte ihm doch nichts mehr geben, was heimlich der Speisekammer enttragen wurde, nichts, das sie nicht einen Verzicht und ein eigenes kleines Opfer kostete. Es wurde wieder Sommer. Oester und für länger wie ungestörter konnten die Beiden einander sehen. Nun wäre es dem Mädchen längst nicht mehr zu Sinn gekommen, daß Eduard Böhm ihr fremd und nicht zu ihr gehörig sei. Viel- mehr, sie harrte seiner schon mit Ungeduld; dann hockten sie zusammen und mit ewig heiserer wie klagender Stimme be- richtete er der Genossin von seinem Leben, entrollte düstere und leidcnvolle Bilder, die nur desto trauriger waren, weil er gar nicht zu empfinden schien, wie übel ihm das Schicksal mit- gespielt, weil er alles mit stumpfer Ergebung hinnahm. Denn er konnte darum leichter ausharren und ertragen, weil ihm schon in jungen Jahren bewußt war, die Leiden der Gegen- wart seien ein Uebergang zu einem Ziele, das ihm damals schon klar und wohlerwogen vor der Seele stand, während sich Gabi nicht Ende, nicht Ausweg aus ihren Be- drängnissen wußte. Er war willensmächtig und hell- denkend; er schwärmte nicht, und was er fürchtete, das waren nicht Schatten, die aus dunklen Tiefen der eigenen Seele auf- tauchen, das hatte leibhaftiges Leben und verstand das mit Püffen und mit Schelten ihm eindringlichst fühlbar zu machen. Und an nichts davon hat es ihm jemals gefehlt; er war ortsfremd und verwaist, und trug ihn die Erinnerung in ver- gangene Tage, dann sah er auch darin nichts Holdes. Eine tolle Laue des Zufalls hatte ihn hierher verttagen, dem in der fernen Großstadt die Mutter für nun und alle Tage schwieg. Da sie heimgegangen, hatte der Arm des Gesetzes nach ihrem Kinde gegriffen. Von einem großen, wüsten Hause erzählte er dann, dessen Insassen die freie Luft nur selten, nur zu bestimmten Zeiten, nur strenge überwacht auf einem öden Hosraum athmen durften, auf den auch nicht der Schatten eines grünen Blattes fiel. Dort hatte er Monate verbracht, denn niemand Ivollte sich seiner erbarmen. Ihm waren Sttolche und Diebe Genossen gewesen; mit ihnen auf hartem Holzlager schlief er, theilte ihre Mahlzeiten, vernahm ihre Reden, athmete den Dunstkreis des Elends und des Ver- brechens. Derweilen aber suchte und forschte man, wo er wohl zu Hause sei, bis man ausfand, in einem»veltfernen Dorfe Mährens sei sein Großvater vor Jahren ansässig, begütert ilnd heimathberechttgt gewesen. Dorthin sendete man den Knaben, einen üblen Gast, der niemandem gelegen kam und gegen den man sich wohl verwahrt hätte, wäre die Lage der Dinge nicht zu klar gewesen, den man mindestens entgelten ließ, was er nicht verschuldet und was ihn selber zu aller- härtest betraj>.>
Issue
16 (09/03/1899) 49
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