Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 65.
2]
Ophelia.
Freitag, den 31. März.
( Nachdruck verboten.)
Novelle von Julius Knopf.
( Schluß.)
Die schöne Lilli fing an, sich zu langweilen. In dem öden Theater war niemand, der ihr imponirte, außer Fengler, der so hübsch arrogant auftrat. Anfangs war er ihr zu häßlich. Aber schließlich gewöhnte sie sich an ihn. Da hörte sie von einer Kollegin, daß da nichts zu holen sei: er wäre verlobt. Das reizte sie. Sie fofettirte mit ihm. Wenn sie mit ihm zusammenspielte, drückte sie seine Hand fester, sah sie ihn inniger an, legte sie ihre Lippen stürmischer auf die seinigen, schmiegte sie sich dichter an ihn.
Er schwankte.
Zuerst fühlte er sich geschmeichelt, daß sie ihm Avancen machte, dann fing er Feuer. Er verliebte sich in ihre Figur, in ihre weichen, verheißenden Formen, in ihre volle leuchtende Büste.
Er war aufgeregt, wie er es noch nie gewesen. Wenn er fie umarmte, ging es ihm wie ein Feuerstrom durch den Körper, und er preßte sie so fest an sich, daß sie stöhnte. Das Publikum klatschte wie rasend über das vollkommene, naturalistische Spiel.
Aber noch blieb er fest..
1899
Das Verhältniß zwischen Fengler und der Croissant kannte bald jeder im Theater, von der jüngsten Choristin bis zur ältesten Heroine. Die Croissant gab sich auch keine Mühe, besonders geheim zu thun. Im Gegentheil, sie paradirte damit und war stolz darauf, ihn dem tugendhaften Bürgerpussel abwendig gemacht zu haben.
Gefällige Zwischenträgerinnen fanden sich bald, die Frau Thiele alles haarklein erzählten. Diese schäumte vor Wuth, umsomehr da sie merkte, daß auch Grethe von den Klatschbasen nicht verschont geblieben war.
Trübsinnig ging diese umher. Kaum, daß sie ein paar Bissen über die Lippen brachte! Wenn die verzweifelnde Mutter in sie drang, doch wenigstens etwas zu genießen, so lächelte sie freundlich und würgte einige Kleinigkeiten hinunter. Sie sprach noch weniger als sonst. Nur als davon dic Rede war, die Verlobung zu lösen und den Menschen rauszu werfen, thaute sie auf. Sie schwor, sich etwas anzuthun, wenn das geschähe. Seufzend fügte sich die Mutter.
Der Meister merkte nichts. Tagsüber hatte er unten im Laden mit den Stiefeln zu thun, Mittags machte er sein Schläfchen, und Abends las er sein Leibblatt.
Von Eifersucht getrieben, hatte Grethe ihrem Bräutigam Sie hatte ge schon mehrmals nach der Probe aufgelauert. sehen, wie er in zärtlicher Unterhaltung mit der Rivalin aus dem Theater gekommen war, und wie beide den Weg nach Eine Aber das fah Grethe. Sie sagte ihm kein Wort, war der Wohnung der Schauspielerin eingeschlagen hatten. zärtlich wie immer, wurde aber täglich blasser. Es wühlte innere Scheu hielt sie davon ab, ihnen zu folgen; wohl auch und arbeitete in ihr.. Sie wußte sich feinen Ausweg. Scham die Furcht, sich um den letzten Rest der Hoffnung zu bringen. und Scheu hielten sie davon ab, ihm Vorwürfe zu machen. Sie lullte sich immer noch mit Gewalt in trügerische Phantastisch, wie sie stets gewesen, dachte sie an's Zweifel ein. Vielleicht, daß doch nicht Alles wahr wäre? Sterben. Eines Tages wurde sie von einigen Choriſtinnen bemerkt, welche sie mitleidig ansahen. Voll Scham und Gram war sie davon gerannt.
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Ein neues Stück war in Vorbereitung. Fengler und die Croissant sollten wieder die Hauptrollen spielen, aber es wollte immer noch nicht recht flappen. Abgespannt kamen sie Beide eines Mittags aus der Probe. Da bat ihn Lilli um ein paar Minuten. Sie gingen in's Theater- Restaurant.
Herr Fengler," fing Lilli an, es geht halt immer noch nicht mit dem Stüd. Namentlich unsere große Szene im dritten Att will nicht werden. Kommen Sie doch, bitte, heute Nachmittag zu einem Täßchen Kaffee auf ein Stündchen zu mir. Wir wollen dann mal ordentlich proben."
Er sah sie starr an und schivieg eine Weile." Ich kann heute nicht," sagte er endlich zögernd. Ich wollte mit meiner Braut.
"
Spöttisch musterte sie ihn. Ach so! Sie haben Angst zu mir zu kommen geradheraus. Ich werd' Sie nicht beißen. Oder erlaubt's Ihr holde Braut nicht, Sie fühner erster Held und Liebhaber? Wissen Sie was! Bringen Sie einfach Ihren Feldwebel mit, wenn Sie allein nicht dürfen,"
Er fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß. Er biß sich auf die Lippen und starrte auf die Erde.
Na," fuhr sie fort, ich bin nicht gewohnt, jemanden crst lange zu bitten. Wenn Sie nicht wollen..." Sie erhob sich und wollte an ihm vorbei gehen. Dabei streifte ihn ihr Kleid, und flüchtig berührte ihre warme, weiche Hand sein heißes Gesicht.
Erregt sprang er auf, zahlte und ging mit ihr hinaus. Nun?" fragte sie, als sie sich an der nächsten Ecke
trennten.
" Ich werde kommen.. um drei Uhr." Lächelnd verabschiedete sie sich von ihm.
Punkt drei Uhr fand er sich bei ihr ein. Das Herz flopfte ihm bis an den Hals hinan. Er fieberte. Von seiner Rolle wußte er kein Wort, so aufgeregt war er. Er würdigte die schöne Zimmereinrichtung nicht eines Blides. Ein weiches Fliederparfüm fiel ihm auf die Sinne. Er war willenlos. Als er am späten Nachmittag von ihr ging, war er nicht mehr frei; sie hatte ihn unterjocht.
Am Abend spielte er gut, zum ersten Mal in seinem Leben.
Von nun an lebte er ein Doppelleben. Zu feige und zu bequem, mit Grethe zu brechen, heuchelte er sich von einem Tag zum anderen durch, in der Hoffnung, daß sie zu Hause nichts merkten. Aber es fiel auf, daß er, der solange folide gewesen, jetzt manchmal ganze Nächte hindurch fortblieb. Auch die Nachmittage war er oft nicht zu Hause.
Sie konnte immer noch nicht den Gedanken fassen, daß er sie betrog. Er hatte ihr doch tausendmal geschworen, daß er sie liebte, und noch jetzt that er das oft, indem er sie herzte und füßte. Er konnte doch nicht zwei zugleich lieben! Und noch dazu so Eine! Vielleicht übertreiben die Leute! Ihr fleines Gehirn vermochte nicht, sich in diesem Labyrinth von Gedanken zurechtzufinden.
Nein, so durfte es nicht weiter gehen! Gewißheit mußte sie haben. Als sie wieder einmal nach dem Theater ging, tam ihr die Croissant entgegen. Grethe gab sich einen Ruc und trat hart an sie heran. Die lächelte spöttisch und wollte vorbei. Grethe hielt sie fest.
" Fräulein Croissant, auf ein Wort! Ist es wahr, daß Gustav..., daß Herr Fengler
•
,, Ach, Sie sind die kleine Grethe Thiele," fiel ihr die Schauspielerin ins Wort und musterte sie gelassen von oben bis unten. Nicht übel! Gustav hat keinen schlechten Geschmack gehabt; nur' n Bissel hausbacken."
" Fräulein," bat Grethe flehend, ich wollte Sie nur fragen, ob an dem Gerede der Leute wegen Ihnen und Gustav was dran ift."
" Fragen Sie ihn doch selber."
" Das hab' ich schon gethan," sagte Grethe mit flackernder Stimme; er stellt's in Abrede, und nun wollte ich
Was!" unterbrach die Croissant sie, stellt's in Abrede? Na so'n...! Ath so... ich verstehe, warum. Arme Kleine! Er will Sie schonen." Ueberlegen lächelte sie. Wissen Sie, machen Sie sich nichts d'raus. Er paßt doch nicht zu Ihnen. Schlagen Sie sich den lieben Gustav aus'm Kopf."
Flüchtig grüßend rauschte sie davon.
"
Grethe folgte ihr und sah, wie sie in ihre Parterrewohnung eintrat. Ohne sich Rechenschaft zu geben, warum, stellte sie sich in den gegenüberliegenden Hausflur. Nach einer halben Stunde tam Fengler. Sie bemerkte, wie er ins Zimmer trat und die Schauspielerin füßte, wie diese sich wehrte, auf ihn einsprach und ihn schließlich fest umschlang. Dann wurden die Vorhänge vorgezogen.
Am Abend gab man den Hamlet. Fengler spielte die Titelrolle, die Croissant die Ophelia. Auch Grethe war im Sie verfolgte theilTheater, diesmal ohne die Mutter. nahmslos die Vorgänge auf der Bühne.
Nur als Ophelia, wahnsinnig, Raute und Maßliebchen im Haar, auftrat, verfolgte sie starr das Spiel. Ihr Auge