Anterhaltungsblatt des Vorwäris

Nr. 66.

Sonntag, den 2. April.

( Nachdruck verboten.)

Der Schuldige?

1. Stoman bon ector Malot

702

Erster Teil. I.

1899

konnte. Auch der Garten wurde ganz und gar verändert. Der Buchsbaum wurde herausgerissen, die Steinfiguren zer­brochen; man hatte eine kreisförmige Allee angelegt, die einen Grasplak umschloß und am Rande, nach dem Quai zu, wurde ein mit bunten Glasscheiben versehener Pavillon er­richtet, so daß man über die Mauer weg das schöne Panorama vor Augen hatte. Endlich wurden an dem frisch gestrichenen Gitterthor neue flammende Messingschilder des Notariatswappens angehaft, und die in der Mauer befindlichen Holztafeln wurden mit verschiedenfarbigen Anschlagzetteln beklebt, die in allen denkbaren Lettern den Namen" Monsieur Courteheuse, Notar in Dissel", wiedergaben.

Das an den Wald gelehnte und längs des Flusses ge­baute Oissel ist eins der schönst' gelegenen Städtchen an den Ufern der Seine, und das niedlichste Häuschen gehört dem Notar. Es hat seine Fassade nach dem Quai gerichtet, ist aber von demselben durch ein Gärtchen getrennt und hat jenseits grüner Inseln, zwischen denen sich der Fluß in mehrere Arme Dieses Häuschen mit seiner freundlichen Fassade, seinen teilt, die Hochebene von Tourville in ihren bunten Farben vor schön drapierten Vorhängen, seinem sammtartigen Rasenplatz sich, sodann auf jeder Seite die Seine , welche ihren majestätischen konnte man nur mit dem Gedanken an Glück und Wohlstand Lauf von Elbeuf bis Rouen verbreitert. Lezteres fann man in Verbindung bringen. Seine Bewohner konnten nur Leute zwar infolge der Rauchwolfen, die über beiden Städten schweben, sein, die ein leichtes und, wie es schien, glückliches Leben ge­nicht sehen, aber doch erraten. Auf der Eisenbahnbrücke und noffen. Oft hörten der Notar und seine Frau, wenn sie sich auf dem Flusse herrscht eine fortwährende Bewegung; ist es kein Sonntags im Pavillon befanden, von den spazierengehenden Zug, der mit Donnerrollen vorüberfaust, so sind es leichte Segler Arbeitern der Umgegend diese Meinung in naiver Art aus­oder Schleppdampfer, die den Fluß herauf- und hinunterfahren: drücken: Mit 100 Sous täglicher Rente ließe sich's gut darin das rauhe Pfeifen der Dampfer mischt sich mit dem gellenderen sein! Das könnte mir passen! n up of out der Lokomotive.

schweben.

Eines Freitags im September ging Courteheuse rauchend in seinem hübschen, noch vom Nachttau glitzernden Garten spazieren und amüsierte sich damit, die Spinnen, welche mit ihren Fäden die Rosen- und Geraniumstöcke überzogen hatten, mittels seiner brennenden Cigarre zu tödten. 100

Seit langer Zeit war jenes, durch sein Alter vermoderte Haus mit seinem bemoosten Garten, der ihm Ansehen und Farbe raubte, das düsterste des Ortes gewesen. Jahre um Jahre nämlich wurde es vom Vater Rotin bewohnt, der als Eigentümer, sowie als Notar Mann eines früheren Zeitalters Als er bei diesem Gemezel, an dem er wirkliches Ver­mit anderem Geschmack und anderen Ideen, als die unserigen, gnügen zu finden schien, in die Nähe des Pavillons angelangt war. Zu was hatte dieses alte, aber solide Haus, zu was war, hielt er plößlich inne: er entdeckte in dem tags vorher diefer in antifem Geschmack angelegte Garten mit den von umgegrabenen, gehackten Erdreich frische Fuß- Abdrücke. Was Buchsbaum umfäumten Vierecken und den grüngewordenen war das?

Steinfiguren nöthig, ausgebessert oder erneuert zu werden? Da gab es nichts zu suchen: dentlich, unbestreitbar war Er sah es nicht ein. Was für seine Vorgänger gut gewesen, das der Abdruck eines Mannesstiefels oder Schuhes, dessen das war auch für ihn gut, und das würde auch für seinen ziemlich kleiner Absatz und dünne Sohle mit großer Genauig Nachfolger gut sein. Als er sich aber endlich nach mehr denn keit auf dem frischen Erdboden abgeformt war. Der Gärtner, vierzigjähriger Ausübung seiner Thätigkeit entschloß, fein An- welcher Donnerstag Abend an dem Blumenbeet gearbeitet waltsbureau zu verkaufen, waren sein Nachfolger und dessen hatte, trug nur Holzschuhe, jene Fußtapfen konnten also nicht junge Frau nicht der Ueberlieferung gefolgt.i von ihm herrühren. Als er felbst sich bei einbrechender Nacht entfernt hatte, war die Schreibstube schon geschlossen ge­wesen; andererseits war zu dieser frühen Morgenstunde das Gitterthor noch nicht geöffnet worden; folglich rührte diese Fußspur weder von ihm, noch von einem seiner Schreiber, noch von einem seiner Kunden her.

Dieser junge Notar, in einem kleinen Bauernhof in Caux geboren, hatte keinen anderen Unterricht genossen, als den der Elementarschule, keine andere Erziehung als die er zufällig hier und da während seiner Gehilfenzeit in Rouen aufge schnappt hatte; er zeigte mehr Verstand als feine Manieren und besaß mehr Geist als Geschmack, und er hätte sich gern, da er weder an Lurus noch an Bequemlichkeit gewöhnt war, mit dem vorgefundenen Haus begnügt. Aber seine Frau bildet einen vollständigen Gegensatz zu ihm.

Sie war eine ideal angelegte Natur, während er plump war. Sie nahm seine Hand nur an, um aus dem Kloster zu tommen, denn für fie, als eine Waise, gab es kein anderes Mittel dafür, als die Heirat; aber um feinen Preis wäre sie in jenes alte Haus in Dissel eingezogen, ehe es aufgefrischt

und neu möblirt worden wäre.

Das deutlich fundgegebene Verlaugen eines zwanzigjährigen Mädchens, welches 120000 Franken Mitgift besitzt und zudem die Aussicht hat, von ihrem Onkel mehr als 300 000 Francs zu erben, ist für einen Mann, der seinerseits nichts zubringt, unbestreitbar. Das alte Haus wurde also vom Keller bis zum Boden neu hergerichtet, das Moos entfernt, die Steine der der Fassade frisch bekalkt, die Jalousien und Balkongitter olivenfarbig angestrichen.

Also ein Fremder war während der Nacht in dem Garten gewesen!

Diese Schlußfolgerung drängte sich ihm widerspruchlos auf. In welcher Absicht war der Fremde gekommen?

Eiligst lief er nach seinem Arbeitszimmer, um zu sehen, ob der Geldschrank durch Diebe gesprengt worden sei; er fand ihn unversehrt, desgleichen die schwarze Ledermappe, die er auf seinem Bureau Tags, vorher zurecht gelegt hatte, um sie mit nach Rouen zu nehmen. Auch in der Schreibstube seiner Leute fand er alles in Ordnung iton

,, Nicht bestohlen, ach!" sh.de

Jezt konnte er wieder aufathinen; es mußte sich ja schon finden, wie und wo man sich in den Garten eingeschlichen hatte. An den Mauern, die er untersuchte, entdeckte er nichts: feine Spur von Ersteigung; das Schloß des Thores war fest geschlossen. Da der Besucher nicht aus einem Ballon nieder­gefallen war, so mußte er durch den Pavillon gekommen sein. Aber derselbe enthüllte auch nichts: die Fenster waren im Zur Zeit des guten alten Rotin und seiner Vorgänger Innern fest geschlossen und da keine Fensterscheibe zerbrochen waren die drei Räume des Erdgeschosses mehr als hinreichend. war, so konnte niemand von außen eingedrungen sein. Der eine diente als Bureau für den Notar und seine Verwirrt fuchte er um sich her: das Meublement des Schreiber, der andere als Eßzimmer und gleichzeitig als Pavillons bestand aus einem Schaukelstuhl, einigen Stühlen, Salon, der dritte endlich als Küche. Aber jene Einteilung einem Kissendivan. Alles schien in Ordnung zu sein; als war nicht mehr schicklich. Der Vater Rotin konnte wohl die er jedoch ganz genau hinblickte, entdeckte er Sand und Erde Schreiber an seiner Seite arbeiten lassen, denn er hatte ihnen vor dem Divan. nichts zu verbergen. Das Amt seines Nachfolgers war weniger Wie und wann war das hereingetragen worden? einfach und forderte mehr Verschwiegenheit.

Ein fleiner rechtwinkeliger Bau wurde also im Garten für eine Schreibstube und eine Küche errichtet, so daß man, dank diesen neuen Räumen, die ehemalige Schreibstube in ein Arbeitszimmer für den Notar, das Eßzimmer in einen Salon für Madame und die Küche in ein Speisezimmer umwandeln

dra

Er zog die Klingelschnur. Alsbald erschien in dem Garten ein sehr häßliches Dienstmädchen von 45 bis 50 Jahren und stieg, ohne sich zu beeilen, mit ihren Lizenschuhen schleppend die Treppe zum Pavillon hinauf.

Celanie, wann haben Sie diesen Pavillon reingemacht?" Mit unbestimmtem Lächeln frug fie: