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Sat man sie gestern eber erst heute Morgen hinein­gethan?"

,, Das kann ich Ihnen nidt fagen."

Du wirst das Dienstmädchen fragen und es mir sagen, wenn Du wieder Medizin Holst, niht wahr?"

" Ja, mein Herr."

Troß dieses Ja's nahm fch Léon vor, kein Wort von alledem zu sagen: diese Fragereien ärgerten ihn und er fand den Apotheker mit diesen Verhörer, die niemals ein Ende nehmen wollten, langweilig; als er in das Bureau zurückfam, teilte er seinen Entschluß Fauchon mit, der ihn billigte, ja sogar vorschlug, einen Jur aus der Sache zu machen; aber La Vaupalière widersetzte sich:

" Mischen wir uns nicht in diese Geschichten ein; der Herr ist so trant, daß wir mit seiner Krankheit nicht noch Spaß treiben dürfen."

,, Nicht über den Herrn, sondern über Herrn Turlure wollten wir uns lustig machen."

,, Nun, Sie können machen, was Sie wollen; Sie sind groß genug, um sich selbst zu leiten; aber Léon verbiete ich, sich um Ihre Späße zu bekümmern."

Fauchon, der weder eigensinnig noch empfindlich war, sagte:

,, Gut, lassen wir also den Herrn Bürgermeister; aber er hätte wohl verdient, daß man sich über ihn ein wenig luftig macht."

"

Vielleicht nicht so sehr, versetzte Boulnois."

Was soll das heißen?"

Was Sie wollen."

" Sie wissen, Herr Boulnois, Cie sind zu tief denkend für mich; das geht über mein Alter hinaus," sagte Fauchon mit spöttischer Demut.

Zwei Tage darauf benachrichtigte Celanie am Morgen ihre Herrin, daß der Barbier gekommen sei, Herrn Courteheuse das Haar zu schneiden.

"

Du hast ihn holen lassen?" frug sie ihren Mann. ,, Ganz und gar nicht."

" Ich werde sehen, was das bedeutet.".

Seit Herr Courtcheuse das Zimmer hütete, hatte er sich weder rafieren noch das Haar sameiden lassen; diesen Besuch des Friseurs konnten sie sich nicht erklären.

Ob Ihr alle da feid, frag ich, in des Teufels Namen?" schrie der Direktor zum zweitenmal mit dem Ton eines Karl Moor. Nun antwortete ein buntes Stimmengewirr: Ja wohl! Gewiß! Losfahren!"

Nein, Herr Robert ist noch nicht da!"

Unsinn, ich size schon seit einer Viertelstunde in dieser miserablen Ecke, wo ich die Beine nicht ausstreden kann", opponierte der fälsch lich Vermißte aus der Tiefe des Wagens.

Komm' man ruff, Direktor,' s fehlt feiner", fagte Herr Ziegler, der Charakterspieler und Zettelträger, indem er eine einladende Handbewegung gegen den Bühnenvorstand machte, der sich noch unten bei dem Pferde befand.

Nun stieg der Direktor auf ein Wagenrad und schwang sich eben­falls auf eines der übergelegten Bretter, dicht hinter dem Kutscher, er an der Seite einer Dame Plazz nahm, die er an ihrem starken Leibesumfang als seine Gattin refognoscierte.

Es war nämlich ziemlich dunkel, da der Mond sich trotz der vor­gerückten Nachtſtunde noch immer konsequent hinter einer schwarzen Wolfenschicht verbarg.

" Haste die Kasie, Mutter?" flüsterte der Direktor und tastete nach dem Schoß seiner Ehchälfte.

Die Untersuchung mußte ihn wohl befriedigen, obgleich er. teine Antwort erhielt, denn er gab unverzüglich den Befehl zur

Abfahrt.

Los!"

Der Thespiskarren fetzte sich in Bewegung.

Man hatte gut drei Stunden zu fahren, che man Dorum  , das gebildete Dorf, in welchem der Direktor zur Zeit sein tünstlerisches Hauptquartier aufgeschlagen, erreichen konnte.

In Dorum   selbst wurde aber nur dreimal die Woche gespielt. An den übrigen Tagen machte man Abstecher in die Umgegend.

Das Theater  " war leicht abzubrechen, die sogenannten Coulissent und Dekorationen fanden auf dem größten Leiterwagen des Dorfes Blag, ebenso die Künstler selbst. Eine Bahnverbindung gab es natürlich auf ein paar Stunden in der Runde nicht. Das Aufschlagen" der Bühne besorgte der Direktor, der hierbei die Geschicklichkeit eines Zimmermanns entfaltete, unterstützt von Herrn Ziegler, dem Charakter­spieler und Bettelträger.

Heute hatte man vor den Pfahlbauern von Lammstedt Suder manns Heimat" aufgeführt. Die Bevölkerung war ernst veranlagt und liebte keine Possen und Schwänke.

Die Schauspieler selber waren von dem Stück, das neu­einstudiert worden, noch ganz begeistert und unterhielten sich während der Heimfahrt lebhaft über die Erfolge, die sie erzielt zu haben glaubten.

Schauspieler fönnen unter sich überhaupt von nichts weiter als bom Theater sprechen. Es ist, als ob fein anderes Gesprächsthema " für sie existierte. " Ja, ja, es geht an die Nieren," sagte Herr Robert, der Väter­spieler. " Halten Sie doch Ihre Beine ruhig!" erwiderte die Anstands­dame auf die geistreiche Bemerkung des Väterspielers.

Wer hat Sie heute morgen kommen heißen?" frug sie. Mein Gott, gnädige Frau, ich habe gedacht.. stammelte der Barbier bestürzt über die barsch hervorgebrachte Frage. Sie haben ganz und gar nichts gedacht; man hat Sie aufgefordert, zu sehen, wie es Courteheuse gehe, und da sind Sie gekommen."

Aber gnädige Frau, ich versichere Sie..." Sie zögerte zwei bis drei Sekunden:

Nun, Sie können ihn sehen: wenn er sich das Haar schneiden lassen will, so werden Sie es schneiden; das einzige, was ich verlange, ist, sich nicht merken zu lassen, daß Sie ihn verändert finden."

Keine Gefahr, Madame!"

" Da ist Herr sidor," sagte sie eintretend, der die Idee hatte, Dir das Haar zu schneiden."

"

lind Sie zu rasieren," sekte fidor, sich verbeugend fort, das ist für Kranke gut."

Wenn Du nicht zu müde bist, könntest Du es versuchen." " Im Grunde, warum auch nicht?" sagte Courteheuse, mit Mühe sein Sopha verlassend und sich gegenüber dem Fenster zu setzen; fangen Sie beim Haar an, wenn es mich nicht zu sehr ermüdet, fahren Sie beim Bart fort; schneiden Sie es kurz."

Sobald der Barbier angefangen hatte, verließ sie das Zimmer, um sich in das ihrige zu begeben, dessen Thür offen stand und von dem aus sie alles beobachten und hören

Tonnte.

( Fortsetzung folgt.)

Heimfahrt.

( Nachdruck verboten.)

Eine Schauspieler- Geschichte von Karl v. Heuget. Na, seid Ihr alle da?" rief Direktor Schent, und überflog mit prüfenden Bliden den Leiterwagen, der sein Schauspiel- Ensemble nach Dorum   zurückbringen sollte.

Auf und zwischen den Brettern des Wagens rüdte, stieß und drängte sich das Künstlervölkchen. Jeder suchte einen möglichst be­quemen Siz zu erhaschen.

Na, Paulsen, Sie haben heute Abend wieder schön geschwommen," ließ sich jetzt der Direktor vernehmen, und wandte sich von seinem Brett nach der Anstandsdame um, die an der Seite des dicken Bäterspielers, vorn, in der Tiefe des Wagens, auf dem Stroh tauerte.

Unter Schwimmen" versteht man im Theaterjargon, wenn ein Schauspieler seine Rolle schlecht memoriert hat und hauptsächlich auf dem Souffleur" spielt.

Das ist nicht wahr, Direktor! giegler, als Schwarze, hat nie ein richtiges Stichwort gebracht, und das hat mir tonfus ge­macht!" Mich!" rief Oberstleutnant Schwarze, alias Herr Ziegler, vom legten Brett des Wagens herüber.

" Ree, mir!"

Ra, ooch gut, also meinetwegen Ihnen! Die ganze Gesellschaft brach in Gelächter aus.

" Die Paulsen wird ihr Lebtag nicht richtig. Deutsch lernen," murmelte die Direktorin, deren Haupt bereits schlafmüde an der Brust ihres Gatten lag.

" Ja, es ist ein Skandal, daß man solches Frauenzimmer Kollegin nennen muß," flüsterte der jugendliche Liebhaber und Bonvivant der Darstellerin der" Magda" zu.

Lassen Sie meine Hände los," antwortete diese leise. Mein Oller beobachtet uns."

In der That hatte Herr Ziegler, im gewöhnlichen Leben der Gatte der Magda", den Kopf halb nach dem Pärchen gewendet, das in den hinteren Tiefgründen des Wagens Platz gefunden.

Aber die Dunkelheit war so groß, daß der würdige Zettelträger und Charakterspieler nichts von der zärtlichen Vertraulichkeit wahr nehmen konnte, die der junge Kollege sich gegenüber seiner, Zieglers Gattin, herausnahm.

Die Direktorin sollte sich man an ihre eigene Nase fassen," bemerkte Fräulein Paulsen getränkt, aber in so unterdrücktem Ton, daß nur ihr Nachbar, der Väterspieler, es hören konnte.

" Lassen Sie nur gut sein, Paulsen," tröstete Herr Robert. Mir haben Sie als Tante Fränzchen" außerordentlich gefallen."

Dabei gab er ihr, seine langen Beine zusammenziehend, voir einem plöglichen Ruck des Wagens unterstützt, mit den Knien einen bekräftigenden Buff, welche Bewegung von Fräulein Baulfen dies­