-

366

Nachdem er dem Apotheker noch über die Rechtskapitel, die er heute studiert habe, Auskunft hatte geben und einige weise Bemerkungen desselben hatte anhören müssen, konnte er fich endlich von ihm freimachen und suchte die verlorene Zeit durch schnellere Fortseßung seines Weges einzuholen. Im Bureau angelangt, war er außer Stande, an seinem Pulte zu bleiben, zu lesen oder zu schreiben; er lief auf und ab, wie ein Tier

in einem Käfig.

ni

Are Boulnois diesen Vergleich zog, antwortete Mederic: Das ist gerade mein Fall, und wenn ich nicht Madame La Vaupalière um Noten bitten müßte, so wäre ich schon aus dem Hause."

,, Run, so lassen Sie sich doch Ihre Noten geben und gehen Sie; wegen dessen, was Sie heute arbeiten würden, lohnt es sich wirklich nicht, dazubleiben."

Ich möchte die Frau nicht gleich nach ihrem Mittagessen stören."

Sind Sie gelviß, daß Sie sie stören?"

Es ist wahr; ich werde doch lieber gleich gehen", ant­woriete Mederic, der vor lauter Begierde, Hortense zu sehen, die ironische Anspielung, die in Fauchous Frage lag, un beachtet ließ. de

Finden Sie ihn nicht schon recht blasiert?" Boulnois, als der junge Mann draußen war.

Nicht sehr; gegen die Frau Notar zeigt er grün."

19012

-

Der und der

( Nachbrud verboten.)

Der König und der Kaffellan.

Von Mikael Lybed.*)

Sehen Sie selbst auf der Karte nach: das Reich liegt im Bor­stellungskreise, nahe der Grenze des Unmöglichen. Eines der hohen Schloßfenster im Gesandtschaftssaal steht gegen den Park hin offen. Die Morgensonne gligert im Tau auf den Rasen. Im Fensterbogen steht der Kastellan, die Ellbogen auf die Sammetdecke des Fensterbrettes gestügt, mit einer feinen, starten Havanna im Munde, und betrachtet nachdenklich die herrliche Aussicht. Links schimmert ein Stück des Flusses mit den Brücken hervor, und rechts, über den Wipfeln der Bäume, der am Fuß des Berges an gelegte Stadtteil, Kirchtürme, Fabrikschornsteine, Dächer; in weiter Das alles ist ihm wohl Ferne verzieht sich ein blänlicher Nebel. bekannt, fast allzu bekannt, hat aber heute gleichsam eine neue Be leuchtung. die

Nur einmal hat er mit erhobener Stimme den Männern, unten auf dem Kieswege in Haufen stehen, zugerufen: ,, Erinnert die anderen daran, daß fie uns in Frieden lassen follen, wie es beschlossen wurde... Ich denke, der Alte erivacht bald!"

Nachdem der Kastellan genügend die anmutige Landschaft ge= nossen hat, zieht er den Oberkörper herein, fieht nach seiner Uhr, holt meinte einen großen Nickelschlüssel hervor und durchwandert mit gemächlichen Schritten eine lange Reihe von Sälen, die alle leer sind. Dann biegt er nach rechts ab, passiert den Raum der Leibwache fein sich eher Mensch zu sehen das Zimmer des jourhabenden Offiziers, 90901 auch dieses ist Leer. Hier bleibt er stehen und zündet Er war die Cigarre, die ausgegangen ist, wieder an. Dann ver alle Thüren, bis auf eine, zicht schließt und verjiegelt er feinen tressenbeseßten Rock aus, hängt ihn an einen Haken, setzt sich neben den Ofen hin und starrt auf seine Schuhspitzen hinab.

Sie empfing ihn im Salon des Erdgeschosses. rasch eingetreten, aber an der Thüre blieb er stehen und blickte sie mit stummer Erregung an.

Nun?" sagte sie lächelnd.

Er rührte sich nicht.

Wie blaß Sie sind!" fuhr sie fort, indem sie ihn freund lich anblickte.

11193

,, O, wenn Sie wüßten!" sagte er, indem er sich ihr lang sam näherte.

" Ich glaube schon zu wissen... Sie wollen mir gewiß eine Liebeserklärung. machen."

Und Sie finden das... lächerlich."

,, Nun ja, ein wenig schon."

-

In dieser Stellung bleibt er noch sizen, als eine Glocke läutet, und eine dünne, zornige Stimme etwas ruft. Niemand gehorcht. Noch ein Ruf... dasselbe grabähnliche Schweigen... Schnelle Schritte über den Boden des Nebengemachs, mit Unterbrechungen, wenn der Laut in den Teppichen erstickt... etwas wird mit leisem Gepolter umgestoßen... die Glocke läutet noch einmal... wieder Schritte.

Der König steht auf der Schwelle..

Es ist nicht der Sagenkönig mit Krone, Reichsapfel und Scepter, sondern ein kleiner, gelbblasser, zorniger Herr mit einem Kahlkopf,

Also sehen Sie, daß meine Aufregung, meine Angst und einen furzsichtigen Augen und graugesprenkeltem Badenbart. Er ist

Blässe nicht grundlos war."

"

Weshalb?"

Aber

"

"

27

Und so leidenschaftlich!"

ganz plöglich stehen geblieben vor bloßem Erstaunen. Sein unterer Stinnbacken zittert, während sich die Hände so hart aneinander­pressen, daß die Knöchel weiß werden. Der Kastellan erhebt ein wenig den Kopf und nickt freundlich guten Morgen...

Sie wollen mir doch wohl sagen, daß Sie mich lieben?" Er nidt guten Morgen!..

,, Und ferner?"

Und ferner?"

" Sicher wollen Sie mich auch fragen, ob ich Sie gleich falls liebe. Wozu dies, da Sie es doch schon wissen?"

Er kniete vor ihr nieder und küßte ihre Hände, ohne ein Wort zu sprechen; nur seine Seufzer verkündeten beredt, was er empfand.

Nach einer Weile machte sie sich sanft von ihm los und fagte:

Sehen Sie sich hierher, dicht an meine Seite; so, num wollen wir plaudern. Also Sie sind gekommen, uni mir zu fagen, daß Sie mich lieben, und das Geständnis meiner Gegenliebe zu hören. Aber ist denn nicht unser Ein verständnis am Spieltische schon der Beweis unserer Liebe? Nicht die Freude am Betrug einigte uns, sondern der Ge­nuß des Einvernehmens und der gemeinsamen Schuld. Unjer heimlicher Händedruck hat Ihnen alles sagen müssen. Und als ich Ihnen meinen Ring an den Finger steckte, den Ring meiner Mutter, mein teuerstes Kleinod, was fühlten

Sie da?"

Ich war außer mir vor Glück, dem höchsten, das ich je empfunden!"

Und doch verlangen Sie noch Worte. Jm Roman, auf der Bühne mag die Erklärung notwendig dazu gehören; aber wir sind über die Zeit der Troubadoure hinweg, und das Leben ist Gott sei Dank fein Theaterstück."

Diese spöttischen Worte, wie sanft und zärtlich sie auch ausgesprochen wurden, brachten ihn außer Fassung; sie fuhr fort:

,, Sie lieben mich, ich liebe Sie..." O Teuerste!"

Ja, ich liebe Sie. Und jetzt?"

Er blickte sie an, verwirrt, sprachlos. Träumte er? Sprach sie ernsthaft? Oder machte sie sich über ihn lustig?

( Fortsetzung folgt.)

" Was... was soll das heißen.

...?"

Der Kastellan bläst den Cigarrenrauch in einer Reihe leichter Ringeln in die Luft, ehe er antwortet: Du stehst spät auf. wie gewöhnlich Vielleicht sollte ich Dich Outel nennen, da Du ja neunzehn Jahre älter bist,

als ich?"

Die Wirkung dieser Worte war überraschend. Der König finkt traftlos auf einen Stuhl an der Wand nieder und fährt mit der linken Hand ein paar Mal von der Stirn nach dem Nacken hinunter. Seine Augen stehen weit offen. Schließlich murmelt er mit voll­kommen veränderter, schlaffer und eintöniger Stimme:

Wo ist Jean, wo ist der Barbier. und alle andern?" " Das weiß ich wirklich nicht! Wahrscheinlich irgendwo unten oder zu Hause bei sich!" Der König erhebt sich mühsam und sagt mit ausdruckslosem Lächeln:

" Ich verstehe das nicht, gar nicht! Ich bin gewiß frank."... Er macht eine gebietende Handbewegung... Seien Sie so gut, den Wachthabenden..." Wache?"... Wieder einige Rauchringe.... Es ist am besten, wenn jeder sein eigener Wächter ist. Es ist niemand da, den ich rufen fömite!"

Der König hat plötzlich beide Arme über den Kopf erhoben und ist mitten ins Zimmer gesprungen; aber der Kastellan hält ihn mit einer warnenden Gebärde zurüd, indem er gleichzeitig die Gelegen heit benutzt, feinen Stuhl vor die einzige unverriegelte Thüre zu rücken, diejenige, die sich soeben geöffnet hatte.

Nein, nein, Liebster," sagt er dabei, keine Thätlichkeiten; ich bin ja siebenmal stärker als Du, wie Du Dir wohl denken kannst. Reden wir hübsch ruhig weiter!" Ich ſoll.". Ich soll mich in ein Gespräch einlassen mit meinem 2"

*) Mikael Lybeck , der Autor dieser Slizze, ist ein Finne, einer der angesehensten Lyriker seiner Heimat, der aber auch vielfach Kleine psychologische und satirische Stizzen schreibt. Auch seine Gedichte sind vielfach politisch. Charakteristisch für seine leidenschaft­liche Parteinahme find folgende Worte, die er fürzlich an den Ueber­seger dieser Stigge richtete: Sie wünschen meine wichtigeren Er lebnisse zu wissen? Das für alle Bürger Finnlands Gemeinsame: die Gewaltthat gegen unsere Staatstonstitution vom 15. Februar 1899: Vor diesem Ereignis wird alles Persönliche unbedeutend!"-