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Auf dem kleinen Eddivan hatten drei Damen Platz ge­nommen; ein Herr mit Nußknaderzähnen und Ansatz von Embonpoint machte ihnen mit seltener Unparteilichkeit den Hof. Es war Bolten, der Chefredacteur eines sehr gangbaren Unter­haltungsblattes; diese drei waren die Sterne seines Journals. Drei große Talente auf einem Sofa!

Sonntagsplauderet.

Der Mangel an Bewußtsein hat, wenn man unseren Richtern und Staatsanwälten glauben darf, bereits epidemischen Charakter find die eigentlichen Leidenden nicht mehr diejenigen Personen, die angenommen. Der größeren Intensität der Krankheit entsprechend von diesem interessanten Uebel befallen werden, sondern ihre Um­Links, Alinde Rosen, beherrschte den Salon; entzückende gebung, auf die sich die bewußtlosen Handlungen der Kranken be­graziöse Plaudereien entstammten ihrer Feder, sie traf den ziehen. Der letzte, einer größeren Oeffentlichkeit bekannt gewordene Ton der guten Gesellschaft wie kein anderer Autor; ihr Stil Fall hat einigen Darmstädter Kaufleuten ihr Geld gekostet. Der blühte in sonniger Schönheit, die Helden waren unglaublich Landgerichts Direktor dieser Stadt, Herr Küchler, leidet an perio männlich, die Heldinnen unheimlich schön, Verlobung und bischer Bewußtlosigkeit. Wenn er volles, fubjektives Bewußtsein hat, Hochzeit die Hauptthemata. Jedes Werk ihrer Feder setzte die liebenswürdigen Leserinnen in Brand.

Alinde Rosen war befreundet mit Frau Mia Widmann, der reizenden Blondine in der Mitte, deren Füßchen kaum den Boden erreichten Diese Kleine Frau war eine energische Vorkämpferin der Frauenemanzipation. Mit männlicher Kraft zog fie in's Feld. Ich schreibe unter M. Widmann. Sollte mich einer noch nicht kennen, hält er mich für einen Mann," fagte sie mit Stolz. Dies Madonnenköpfchen schwärmte für freie Liebe ", trotz Mann und drei Kindern.

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wenn er sich dafür Sicherstellungen auf Roften fremder Gläubiger befaßt er sich mit Gelddarlehen, die er guten Bekannten giebt; geben läßt, so ist ihm das fubjektive Bewußtsein abhanden ge­kommen. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb nur gegen seinen allzu liebenswürdigen Schuldner die Anklage erhoben, den Herrn Landgerichtsdirektor aber nicht, weil sie nach Meldungen der Blätter annimmt, daß ihm das subjektive Bewußtsein von der Bahlungsunfähigkeit seines Schuldners gefehlt habe. So bedauerlich das Umsichgreifen psychischer Krankheiten ist, so sehr muß man sich Bleiben unsere Gerichte konsequent auf diesen Standpunkt, so hoffen über den psychologischen Scharfblic unserer Staatsanwälte freuen. wir zuversichtlich, daß sich auch bei angeklagten Socialdemokraten die Spuren dieser merkwürdigen Krankheit werden nachweisen lassen.

Leider scheint man aber von der geistigen Kraft unserer Genossent eine so ausnehmend gute Meinung zu haben, daß man ihnen schon das Gedankenlesen zutraut. Vor zivei Tagen ist Genosse Quarck das Opfer seines guten Rufes geworden: das Gericht nahm offenbar an, er hätte wissen müssen und habe gewußt, das sich die Anschauungen des Kaiſers mit denen der Chromrede deckten, und diese Anerkennung seiner spiritistischen Fähigkeiten verschaffte ihm vier Monate Gefängnis.

Heute war sie sehr erregt. Sie sprach mit ihrer Nachbarin in der rechten Sofaecke, der schönen Frau von Lindenhayn. Ist es nicht unerhört? Da verurteilen sie das arme Weib, weil es den Mann, der es verraten hat, niederschießt! Traurige, strafbare Ungerechtigkeit! Wir dürfen es uns nicht gefallen lassen." Sie warf das Madonnenköpfchen hinten über, daß die kunstvoll gedrehten Löckchen auf der faltenlosen Stirn wippten. Wir Schriftstellerinnen sind zu Führerinnen, zu Verteidigerinnen der unterdrückten Frauenwelt bestimmt! Auch ehemalige Staatsanwälte arbeiten jetzt mit dem partiellen Wie ist es, Liebste, wollen wir nicht einen Verein gründen zur Mangel an Bewußtsein. Der Universitätsrichter Herr Geheimrat Wahrung der geistigen und körperlichen Interessen der Frau'? Daude, ehemals Staatsanivalt, sette in einer atavistischen Anwand­Wir könnten doch vorderhand schon immer die Woche einmal zu- lung beim Rektor die Beschlagnahme der Socialistischen Monats­fammenkommen und beraten. Und denken Sie, welche interessanten hefte" in der akademischen Lesehalle durch. Nun hielt man seiner Stoffe lassen sich finden, wenn man hinabsteigt ins intime Magnificenz, Professor Waldeyer, vor, daß er selbst ja das Halten Leben der Frau! Doktorchen!"... sie streckte die Hand dieser Zeitschrift erlaubt habe. Da war guter Nat teuer; aber, wo nach Bolten aus... Sie werden Schriftführer. Einen alles fehlt, fehlt auch wenigstens teilweise das Bewußtsein, und so Mann müssen wir haben!" pijl din st

,, Natürlich!" Der Redacteur füßte das ausgestreckte Händchen; er hatte keine Ahnung, von was die Rede war. Ich bin dabei! Alle drei Damen mit von der Partie?" Er sah sie schmunzelnd der Reihe nach an alle drei nicht zu verachten! Frau von Lindenhayn war eine bewunderungs­würdige Schönheit, die kleine Widmann pikant, Allinde Rosen hatte noch schöne Reste.dl

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Von was ist denn die Rede?" fragte Alinde gerade jetzt. Sie hatte bis dahin mit einem blutjungen Bürschchen in Einjährigen- Uniform fofettiert; sie studierte das Militär. Bon was wird denn gesprochen?"

war sich der Rektor wohl bewußt, die Zeitschrift erlaubt zu haben, er war sich aber nicht bewußt gewesen, daß einer seiner Vorgänger fie verboten habe: mithin war der Angeklagte freizusprechen", wie die Formel lautet. Auf alles, was socialistisch heißt, ist übrigens der Rektor ziemlich schlecht zu sprechen; passierte ihm doch das Malheur, einen Vortrag zu bewilligen, den neulich das Malheur, fraten tennen!" soll der Herr Profeffor verzweifelt ausgerufen haben, Genosse Schippel hielt." Ich kann doch nicht alle Socialdemo als man ihn auf den Fehltritt, den er begangen, aufmerksam machte. Nein, wirklich nicht, Magnificenz, das kann man nicht von Ihnen verlangen; das bringen nicht einmal unsere Polizeibehörden zu stande.

Wir wollen uns der leidenden Frauenwelt erbarmen," antwortete ernst die Widmann. Wir müssen helfen!" läßt. Bevor die Freifinnigen einmal thaten, raten sie lieber ihr Pst! Pst!"

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Manchmal kommen auch Fälle vor, wo die Parteien sich in die Psyche des Gerichtshofes vertiefen, besonders bei der Partei der Bildung und des Befiges", wie sich unser Freifinn so gern nennen ganzes Leben lang, und bevor sie ihr Recht erkämpfen, verzichten sie lieber darauf. Bekanntlich ist Genosse Singer feiner Zeit in die Schuldeputation gewählt worden. Der Magistrat hat sich be= wogen gefühlt, beim Kultusministerium anzufragen, und das Ministerium hat dem freisinnigen Magistrat den Ge­fallen erwiesen, die Wahl nicht zu bestätigen. Nun stellt b4pB sista sich aber heraus, daß das Ministerium gar kein Bestätigungsrecht Frau Leonore bat um Gehör. elt med Gun hat. Trotzdem verlangte der Magistrat von der Stadtverordnetens Himmel, schon wieder. eine Rede? Sie hat ja bei Tisch erst geredet!" flüsterte die Widmann.

In der Thür des Mufifzimmers stand die Hausfrau. Fräulein Maschka hatte eben das Herenlied von Wildenbruch, eine Meisterleistung sinnverwirrender Schnelligkeit, beendet; Beifallstürme brausten, ein Orkan der Begeisterung für Dichter und Interpretin.

Bolten nickte geheimnisvoll: Sie schreibt auch!" Verzeihen Sie, wenn ich noch um eine halbe Stunde Gehör bitte," sprach die Dame des Hauses.

Halbe Stunde-?!" Eine merkliche Unruhe flog durch die Festräume.

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Hier" die Gastgeberin zog mit liebenswürdigem Lächeln ein junges Mädchen vor, das bescheiden hinter ihr gestanden hatte hier Fräulein Elisabeth Reinharz soll uns eine ihrer Heinen Novellen vorlesen. Urteilen Sie selbst!" Was- wer? Vorlesen?!" Man wurde aufmerksam, Wieder eine Dilettantin mehr!" seufzte Frau Widmann. " Ganz angenehmes, aber unbedeutendes Gesicht!" Die schöne Lindenhayn hielt sich die Lorgnette vor die Augen. Alinde Rosen war gutmütig:" Sie ängstigt sich!" Hom, Passen Sie auf, Doktor" nedten die drei, nun be kommen Sie was zu drucken, Frau Mannhardt protegiert wieder!"

" Ich lasse mich nicht bestimmen," sagte Bolten würdevoll, ich bin auch gar nicht begierig."

Sie standen aber doch alle auf und näherten sich der Thür des Musiksaales ( Fortsetzung folgt.)

Bersammlung die Vornahme einer neuen Wahl. Die Majorität der freifinnigen Stadtverordneten lehnte voll Mut dieses Ansinmen ab; aber da sie vor nichts mehr Angst haben, als davor, man könnte ihnen wirklich Mut zutrauen, lehnten sie es auch ab, den Magistrat aufzufordern, Genossen Singer schleunigst in sein Amt einzuführen. Es giebt eben immer Helden, die sich den Regenschirm aufspannen, wenn man ihnen ins Gesicht spudt.

Man deute auch, was geschehen wäre, wenn der Freisinm radikal fein Recht vertreten hätte; es wäre alle Haare der alten Tante Boß sträuben sich vor Entsetzen es wäre zum Prozeß vor dem der Intelligenz, fich bei der Haltung des Freifinns zu beruhigen, der Ober- Verwaltungsgericht gekommen! Und so empfiehlt das Blatt gleichzeitig radikal zu bellen und mit dem Schweife ergebenst zu

wedeln versteht.

Es liegt der Gedanke nahe, daß der Kommunalfreifinn umgekehrt die Furcht hegte, bei einem Rechtsstreit Recht zu behalten. Wie gerne hätte der Magistrat schon bei dem Streit um das Friedhofs= portal ausgeglichen; aber da mußte er zurück in die Schlacht. Jetzt nochmals fämpfennie und nimmer!

Herr von der Rede bestätigt noch immer nicht? Da scheint allerdings das Maß des bei unserem Freisinn Erreichbaren noch nicht voll zu sein.

Das Interesse, welches deutsche Gerichte in der letzten Woche für sich in Anspruch nahmen, war in einem Falle auch durch die hohe Politik bedingt. Der lippesche Erbfolgestreit kam in einer Gerichts­verhandlung zur Sprache. Angeklagt war ein ehemaliger lippescher