Nr. 211.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Die amtliche Streifstatistik für das zweite Quartal 1899.
I.
Laufende
Sonnabend, den 9. September 1899.
326
34.
35. 36.
In dem soeben ausgegebenen dritten Vierteljahrs- Hefte zur Statistik des Deutschen Reiches wird die Zahl der Streits und Aussperrungen im zweiten Quartal dieses Jahres veröffentlicht. Im Auszuge gehen augenblicklich die Schlußziffern 37. des Berichts durch die Tagespresse und es werden daran parteipolitische Folgerungen von ziemlicher Tragweite geknüpft. So wird angesichts der Zuchthausvorlage namentlich die Bahl der Kontraktbrüchigen im Verhältnis zur Zahl der Streifenden überhaupt bon den Gegnern einer freien Arbeiterbewegung ohne Besinnen ausgenutzt werden. Und alles dies geschieht unter Berufung auf den amtlichen 45. Charakter der Streifstatistik, deren Angaben autoritativen Wert besigen wollen.
Ungefähre Zahl der Streifen
den
Beruf
Maurer
Steindrucker
Ort
Sof Dresden Oranienburg Weida
Cölln- scheila
Weißgerber
Weißgerber
38.
20
Lederarbeiter
39.
600
Musikinstrumenten- Arb.
40.
1500
Bergleute
41.
Steinarbeiter
42.
560
Former
43.
20
Former
44.
23
Appreteure
Greiz
Tischler
Riesa
Tischler
Drechsler
Barbiere
Barbiere
Barbiere
51.
52.
150
Maurer
53.
500
Zimmerer
Zimmerer
Gürtler
20
Tapezierer
46.
47.
48.
49.
50.
54.
56.
Schuhmacher
Angesichts dieses Umstandes halten wir es für angezeigt, die völlige unzulänglichkeit der amtlichen Streifstatistik abermals zu beleuchten. Wir haben über das Ergebnis im ersten Quartal auf Grund einer Privat- Enquete, die bei den in Betracht kommenden Vertretungen der Arbeiter angestellt wurde, die hohe Biffer der Kontraktbrüchigen in ihrer Unrichtigkeit erweisen können. Die Statistik des zweiten Quartals bedarf 55. einer besonders eingehenden Einzeltritit schon nicht mehr. Denn es ist leicht, nachzuweisen, daß die Arbeit, die das kaiserliche Statistische Amt auf Grund der ihm eingereichten Nachweise zu 58. publizieren gezwungen wird, so lückenhaft und unvollständig Die hier aufgeführten 58 Streits, die nicht in der amt ist, daß kein Socialpolitiker, welcher Richtung er auch an- lichen Streifstatistik verzeichnet sind, umfassen mindestens gehören mag, es noch wagen wird, in der Erörterung von 6000 Streifende, da schon für 25 allein die Zahl von Tagesfragen auf diese vorläufigen Zusammenstellungen der 5000 nachgewiesen ist. Nun fragt man sich allerdings anStreits und Aussperrungen sich zu berufen.
57.
-A
Kürschner Buchdrucker
Soldin
gesichts dieser Liste verwundert: Wie ist es möglich, daß der Nach der amtlichen Statistik haben im zweiten Quartal 1899 amtlichen Stelle diese vielen und zum Teil recht bedeutenden 357 Streits begonnen. Wir wollen uns nicht in Nebensäch- Ausstände, die in der Arbeiterpresse durchweg mitgeteilt lichkeiten verlieren und darum nicht untersuchen, ob in der waren, entgangen sind? Sollte es möglich sein, daß diese vorliegenden Statistit mit Unrecht oder Recht eine einzige Streifs, die wir in obiger Tabelle aufgezählt haben, überStreitbewegung, die sich über eine Reihe von benachbarten haupt nicht stattgefunden haben? Selbst zugegeben, diese oder zusammenhängenden Orten erstrect, als ein oder als Möglichkeit träfe für eine Reihe der kleineren Ausstände zu, mehrere Streits zu registrieren sind, aber was wir so wird man das nämliche doch nicht von den verschiedenen wenigstens verlangen, das ist Einheitlichkeit der großen Streits behaupten können, die tage und wochenlang Methode. Und diese fehlt bei der Zusammen- Sie gesamte Presse beschäftigt haben? Uebrigens haben wir stellung. Doch das ist, wie gesagt, Nebensache. Von Grund anzunehmen, daß so ziemlich alle oben genannten höchster Bedeutung dagegen ist die Thatsache, daß eine ganz Streits in der That stattgefunden haben, daß nur von den erhebliche Zahl von Streits, die im zweiten Quartale be- Polizei- respektive Verwaltungsbehörden darüber nichts gonnen haben, in der amtlichen Statistik überhaupt ganz und gar fehlen. Es handelt sich nicht etwa um einzelne wenige unbedeutende Ausstände, die gerade sonst der offiziellen Statistik nicht entgehen, sondern um Ausstände, von denen die Arbeiterpresse ausführlich berichtete und von denen teilweise sogar die Tagespresse aller Parteien voll war.
nach Berlin gemeldet wurde. Denn daß die von uns angeführten Ausstände nicht Falschmeldungen waren, geht einmal daraus hervor, daß sie in der Arbeiterpresse mit Bestimmtheit und wiederholt abgegeben waren, daß Arbeiter organisationen sie teilweise bekannt gemacht haben und daß die private Streifstatistik im Arbeitsmarkt", die trotz ihres Nachfolgend seien diejenigen Ausstände der Reihe nach privaten Charakters weit zuverlässigere Angaben über die aufgeführt, über die wir in der offiziellen Statistik des faiser wichtigeren Ausstände macht, als die amtliche Statistik, die lich statistischen Amtes keine Angabe finden konnten, die jedoch meisten obigen Streits gewissenhaft verzeichnet. Es bleibt im zweiten Quartal durchweg begonnen, meist auch geendet also nur der eine Schluß übrig: in der amtlichen Statistik haben. Es dürfte von Interesse sein, die Liste der fehlenden fehen 16,22 Proz. aller.Streitfälle im zweiten Quartale und Streits vollständig kennen zu lernen, da nur so die gänzliche etwa 17,4 Proz. aller Streifenden sind nicht angegeben. Das Unbrauchbarkeit der offiziellen Streifstatistik zur Evidenz erbracht ist der schlimmste, aber nicht der einzige Fehler an der Streit wird. Es fehlen also in der diesmaligen Streifstatistit folgende statistik fürs zweite Quartal. Fast ebenso schlimm ist die Ausstände:
Laufende
Nr.
Ungefähre Zahl der Streifenden
Beruf
Bergleute
Steinarbeiter
Gießerei- Arbeiter
Arbeiter einer Jute
Ort
Zeche Dahlbusch Striegau Leuzzich Wilhelmshütte b. Saalfeld Krimmitschau Charlottenburg
Eschendorf i. Westf.
Burg
Schwelm
1.
2.
ca. 200
3.
191
4.
17
Metallarbeiter
5.
14
Weißgerber
5.
Färber
7.
300
Stralau
spinnerei
8.
19
Weber
Neumünster
9.
Strider
Augsburg
10.
150 Weber
11.
Politurarbeiter
Fürth
12
123 Tischler
13.
22
Bimmerer
14.
Maurer
15.
27
Maler
16.
Maurer
17.
Maurer
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25.
17
Müller
26.
450
Ziegelei- Arbeiter
27.
30
28.
52
Steinfeger
29.
Former
30.
31.
-
32.
33.
Biegelei- Arbeiter
20 Spigenweber
Cammer bei Lehnin Neuruppin
Burtehude
Flensburg
Halensee
Kiel
Sonnenburg
Frankfurt a. M.
Knautkleeberg
Ueckermünde Loslau( Rybnik ) Altona München Gladbach Großdobriz bei Dresden
Arbeiter einer Möbel- Naumburg
fabrik
Tischler
69 Schuhmacher
Volkmarsdorf Meerane
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
des Lebens nur dann wirksam bestehen, wenn sie mit hinreichender Macht ausgestattet seien. Redner dankte dem Kaiser für die unermüdliche Sorge um die Wehrhaftigkeit der Nation und sprach die Hoffnung aus, daß der Kaiser in dem wachsenden Wohlstande, in dem Bildungsstande und dem Glück eines freien und treuen Volkes einen segensvollen Lohn finden möge.
In seiner Antwort führte der Kaiser aus:
Er komme von einem schönen militärischen Bilde zurück. Was er von den Truppen dieses Landes gesehen habe, habe ihn mit großer Befriedigung erfüllt, und er könne den Großherzog und das Land nur herzlich dazu beglückwünschen. Er sei felsenfest überzeugt, daß der Teil des gesamten deutschen Heeres, der dem Lande angehöre, an seinem Teil dazu beitragen werde, für den Frieden zu sorgen. Ehe die Theorien des ewigen Friedens zur allgemeinen Anwendung gelangen, würde noch manches Jahrhundert vergehen. Vorläufig sei der sicherste Schutz des Friedens das Deutsche Reich und seine Fürsten und das von diesen geführte Heer.
In Wiesbaden hat der Kaiser beim Beginn des Haager Kongresses zum Geburtstag des Zaren in einem Trinkspruch den Wunsch ausgesprochen, Nikolaus II. möchte mit den Erfolgen der Friedenskonferenz zufrieden sein können. Jezt gewahrt man, daß der Kaiser eine weit abweichende Ansicht über den Frieden hat als der Zar.
Der Umsturzbund der Landwirte. Bei der Beratung der Köllerschen Umsturzvorlage wie des Recke - seligschen Vereinsgesetzes wurde oft darauf hingewiesen, daß die konservativen Agrarier gelegentlich durch die Bestimmungen getroffen werden könnten, durch die man die Socialdemokratie zu drangsalieren wünschte. Trotzdem haben die Junker stranim für jene Gesezentwürfe geworben und gestimmt. Wären sie aber Gesetz geworden, so würden sie jetzt zweifellos gegen den Bund der Landwirte von strebsamen Staatsanwälten angewandt werden.
Das Pojener Tageblatt" meldet:
11
Der Erlaß des Staatsministerium über das Verhältnis der Staatsbeamten zum Bunde der Landwirte ist in der That bereits vor einigen Tagen ergangen. Er ist an alle Oberpräsidenten und und den Regierungspräsidenten in Sigmaringen gerichtet und streng setret. Was darüber in mehreren Blättern verlautet, ist danach mit Vorbehalt aufzunehmen. In dem Erlaß soll den Landräten und andern politischen Beamten verboten werden, dem Bunde der Landwirte anzugehören und seine Bestrebungen zu unterstützen, den Kreisblättern soll die Aufnahme von Publikationen des Bundes der Landwirte untersagt werden u. dergl."
An der Richtigkeit dieser Meldung ist nicht zu zweifeln; das geht schon aus dem Ernst hervor, mit dem die bündlerische Presse die Angelegenheit behandelt. Der Bund der Landwirte ist damit unter die Vereine aufgenommen, vor denen sonst nur die Unterbeamten gewarnt" werden.
-
Landrat, Kreisblatt, Bund der Landwirte, Konservative das ist auf dem Lande seit längerer Zeit eine Klique. Die Kreisblätter treiben vielfach unter amtlichem Siegel die agrardemagogische Politik des Bundes. Wird ihnen jetzt eine gouvernementale Politik anbefohlen, so geraten sie in einen ergöglichen Konflikt der Geschäftsinteressen. Sie leben von dem Monopol der amtlichen Anzeigen( Holzverkäufe usw.) und exorbitante Ungenauigkeit und Unvollständigkeit in den machen dadurch eine unabhängige Lokalpresse finanziell Angaben über die mitgeteilten Streifs. Bei einer unmöglich. Andererseits sind ihre Abonnenten zum großen Reihe von Streifs, die im zweiten Quartale be- Teil Landwirtsbündler. Wie also soll man jezt verTreten sie für Bund sie für den endet sind, werden über die Zahl der Streitenden entweder fahren? ein, entzieht die Unteramtlichen Inserate. gar keine oder entschieden zu niedrige Angaben gemacht. Wir die Regierung ihnen nennen hier nur folgende: stüßen sie die Regierung, so laufen ihnen die Abonnenten fort. In beiden Fällen werden sie geschädigt. Es wird ein lustiges Schauspiel sein, zu beobachten, wie sich die leider immer noch recht einflußreiche volksverdummende Kreisblattpresse aus der Klemme ziehen wird.
Beim Bäckerſteit in München wird keine Zahl der Streifenden angegeben. Sie beträgt etwa 457. Beini Maurerstreit in Blankenburg , der 122 Streifende zählte, fehlt eine Angabe. Ferner fehlen die Angaben der Streifenden bei folgen den Streifs( in Klammern ist die ungefähre Zahl der Streifer Für den Bund der Landwirte würde diese amtliche Verunfererseits verzeichnet): Maurer in Weißenfels ( 179), Gold. fehmung eine Straftprobe bedeuten können, wie weit die schläger in Schwabach ( 250), Tischler in Stuttgart ( an 1000), agrarische Bewegung aus eigenen Mitteln ohne behördlichen Maurer in Augsburg ( ca. 800), Maurer in Dresden Schuß sich zu entfalten vermag. Das innerlich Starte und ( gegen 3000), Flaschner in Stuttgart ( 150). Wir könnten noch Berechtigte wächst ja unter Verfolgungen. Freilich allzu eine Liste von Streits mit offensichtlich ungenauen Angaben schlimm wird die Sache nicht werden. Die Bündler werden aufstellen, da wir über die betreffenden Ausstände von be- eben so wenig Gelegenheit erhalten, wirklich Märtyrer teiligter Seite genaue Angaben haben. Aber wir glauben, ihrer Ueberzeugung zu werden, wie es die mit vollem Gehalt die bisherigen Angaben genügen. Insgesamt schäßen wir, in Ruhestand versetzten Landwirte nötig haben, betteln zu daß die Zahl der Streifenden im zweiten Quartale gut und gehen. gerne um 12-13 000 zu niedrig in der Gesamtaufstellung Die Deutsche Tageszeitung" schreibt ganz angegeben worden ist. Prozentual ergiebt sich dann, daß nicht umstürzlerisch: etwa nur 17,4 Proz. aller Streifenden, wie oben berechnet, sondern mindestens rund ein Drittel in der amtlichen Streitstatistik ausgefallen ist.
Dies der Thatbestand; in einem zweiten Artikel wird seine Würdigung folgen.
Politische Nebersicht.
Berlin , den 8. September. Wilhelm II. und der ewige Frieden. Gelegentlich der Kaiserparade hielt der Oberbürgermeister von Karlsruhe , Schnegler, eine start militaristisch gefärbte Ansprache an den Kaiser.
Er bezeichnete den Kaiser als den obersten Kriegsherrn des Reiches und stark bewehrten Hüter und Wahrer des Friedens; Gerechtigkeit und Tugend könnten derzeit in den Kämpfen
" 1
Wir wollen bleiben, was wir gewesen sind. Unsere Gegner sollen nicht den Triumph erleben, daß die Maßregeln uns in ein anderes Fahrwasser getrieben hätten. Von unsern Ueberzeugungen geben wir nicht ein Titelchen preis. Was wollen so kleine, so fleinliche Maßregeln sagen gegen die große Bedeutung unserer Sache, gegen die gewaltigen Stämpfe, die wir in erster Linie zu führen berufen sind! leber solche Dinge schreitet die Geschichte ehernen Fußes hinweg, und sie richtet auch darüber. Wir überlassen ihr das Gericht."
Auch sonst umwittert schlimme Umsturzluft die ordnungsstützigen Bündler. Die braven Stadtverordneten in Dramburg haben Einspruch erhoben gegen den Fackelzug zu Ehren des gemaßregelten Landrats v. Brockhausen. Die hiergegen an den Regierungspräsidenten von Köslin gerichtete Beschwerde lautete:
Morgen Abend soll hier in der Stadt mit polizeilicher Gea nehmigung ein Fadelzug dem Landrat z. D. v. Brodhausen dar