Anterhaltungsblatt des Borwärts

Nr. 162.

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Sonntag, den 20. August.

( Nachdruck verboten.

Es lebe die Kunst!

Roman von C. Viebig .

Da waren die Alten, die schon alt gewesen, als Elisabeth noch ein Kind war; und da waren die Jungen, mit denen fie jung gewesen, die Buben und Mädchen, jegt Väter und Mütter, ihre Süngsten auf dem Arm; die größeren hingen sich hinten an den Wagen. Da waren viel lachende Gesichter, viel ausgestreckte Hände.' n Abend, Fräulein Elisabeth, ' n Abend!"

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1899

Himmel wär' ich! Oh Du Engelchen! Du Engelchen!" Sie füßte das Kind ab, daß es aufschrie. Fräulein Elisabeth, find Sie glücklich!" Ungern, fast widerwillig gab sie das Kind zurück, man sah es ihr an, sie fonnte es taum aus den Augen lassen.' nen guten Mann" sie nickte Ebel zu und so ' nen Jungen! Meiner wär nu" sie brach ab. Schluchzen erstickte ihre Stimme.

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Elisabeth war blaß geworden, so blaß, daß Ebel erschrat und den Arm hinter sie schob. Sie streifte ihn mit einem raschen, dankbaren Blick, und dann neigte sie sich über den Wagenschlag dicht zu der Jugendgespielin; ihr blonder Kopf Ebel bekam auch freundliche Grüße; in einer seltsamen schien fast deren schwarzes Kleid zu berühren, ihre Wange Bewegung fuhr er durchs Dorf. Hier war feine Elisabeth streifte die Schulter der Trauernden. Sie flüsterte ihr ins aufgewachsen. Er sah sie im Geist über das holprige Pflaster Ohr: Könnte ich Dir helfen, ach, wie gerne that ich's, liebe hüpfen und über die Pfützen im ausgefahrenen Fahrweg Marie! Weine nicht! Ich schicke Dir alle Tage meinen - wo der Schmutz am didsten war, mußte sie durch, die Jungen, ich" sie stockte, sie hatte den lebhaften Drang, zu wilde Hummel- ihre Wangen waren rot wie Aepfel, die helfen weiter fann ich ja nichts für Dich thun!" blonden Zöpfe flogen um die kräftige Kindergestalt. Da hatte sie mit den Dorfmädchen im Ringelreihen gespielt, da sich mit den Jungen geprügelt.

Ebel faßte ihre Hand und drückte sie zärtlich. Alles wie früher, nicht wahr?"

Sie schüttelte den Kopf. Ich suche meine Jugend," sagte sie leise, und-" fie stockte.

Der Kutscher hatte die Pferde angehalten, eine Frau war an den Wagen getreten. Im schwarzwollenen Trauerkleide, mit der breiten schwarzen Schürze stand sie als dunkler Fleck in der freundlichen Dorfstraße. Alles Licht schien ihre Ge stalt zu fliehen. Keunen Sie mich noch, Fräulein Elisabeth?"

Elisabeth sah sie verlegen an. Wer war das doch? Sie fonnte sich in diesen vergrämten Zügen nicht zurecht­finden.

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Ich bin die Marie Bauer Obst seine Marie!" Marie? Du?!"

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Ja, das glaub' ich wohl, daß Sie mir nicht erkannt haben!" Das Weib beherrschte sich mühsam, aber sie konnte es doch nicht hindern, ein paar Thränen tropften ihr über die Wangen. Ich habe mir gar zu fehr verändert. Vor ' nem Jahr is mein Mann gestorben. Sie wissen doch, wie Lang ich den Lindners Martin lieb gehabt, wir sollten doch absolut nicht zusammenkommen!" Sie weinte laut. Num hab' ich ihn endlich gekriegt, vor zwei Jahr auf Michaeli haben wir Hochzeit gemacht, so'n guter Mann- mum hat er sich im Frühjahr das Blut erkält, im Juli is er gestorben- mein Gott, mein Gott! Und mein Kleines hinterdrein! Ich hab' nichts mehr auf der Welt!" Sie hielt sich die Trauer­schürze vors Gesicht.

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Mile fing auch an zu weinen; voll tiefen Mitleids blickte Ebel auf die Trauernde und dann auf seine Frau. Er sah, fie rang nach Worten.

Sie nahm die Hand der Jugendgespielin. Marie! fagte fie stockend, liebe Marie!" Weiter nichts, ihre zitternden Lippen schlossen sich fest aufeinander, und sie unterdrückte die Thränen.

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,, Danke, danke!" Das vergrämte Gesicht der Frau hellte sich auf. Sie waren immer so gut! Ach, wenn das Kind kommt Birnen hab' ich schon, schöne reife, und Honig auch, und ein frisches Eichen wird ihm auch nicht schaden. Ach, was freu' ich mir!" Sie reichte noch einmal die Hand in den Wagen. Wenn das mein Martin wüßt, der hat Sie ja auch gut gekennt, Fräulein Elisabeth. Und der Herr Gemahl, so' n lieber Herr!" Sie schüttelte Ebel kräftig die Hand. Und die alte Mile-"

Na", sagte der Kutscher und drehte sich halb auf dem Sik um. Lindnern, die Pferde steh'n nich mehr. Hüh! Brrrrr! Brrrr!"

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Die Frau trat zurück. Viel Glück in der Heimat!"

,, Das ist die reichste Bäuerin hier' rum," sagte der Kutscher und wies mit dem Peitschenstiel über die Schulter. ,, Schiver reich! Aber was hat se dervon? Nu hat se nich Mann und nich Kind, und wenn sie' n Sack Geld in den Arm nimmt, das is doch nichts Lebendiges! He, Jda, alte Kaffe­rolle!"- er hieb auf das Handpferd- willste wohl! Ja, ja, alles in der Welt macht nich glücklich, mur de Liebe!" Stutscher Heinze war ein Philosoph; er räusperte fich, 30g die Augenbrauen hoch, nahm die Pfeife aus dem Mund und spuckte erst nach rechts und dann nach links. Bonach strebt der Mensch? Ja, fehn Se, Herr, er will gerne glücklich sein. Nu? Er is nic) glücklich, wenn er feine Liebe hat. Das steht ja auch schon in der Bibel geschrieben. Was mei'm Sohn seine älteste is, die Cilla, die hat's erscht gestern gelernt." Er wußte nicht recht, was und half sich mit einem: Nu, nu, dann wär alles nig. Die Cilla sagt es sehr scheene uf de Liebe is das größte", sagt fe."

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Arme Frau!" Elisabeth hielt den Kopf gesenkt und blickte unverwandt in ihren Schoß; nun wiederholte sie noch einmal leise:" Arme Frau!" Und dann schauderte sie.

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" Ja, ja," meinte Mile, da habt Ihr wohl recht, Heinze!" Sie philosophierte auch gern, in Berlin fand sie nur nicht das Bublifum dafür. Ach Gott, was is der Mensch?! Da is man versessen auf was und' s is einem doch nich zu gute. Als der alte Lindner tot war, haben sie sich gleich geheirat', Oh mein Gott, was macht man durch! Ich hab mir der hat's immer nich zugegeben, dem war die Obst's Marie hundertimal den Tod gewünscht!" Die Frau wischte sich mit nich reich genug. Nu hat sie gemeint, sie hat das Glück der Schürze die Thränen ab. Ich hab vom Förster gehört, zu Hauf, und was hat fie?" Sie stieß einen Seufzer daß Sie verheirat' find, Fräulein Elisabeth, das ist wohl aus. Ja, ja,' runterreißen läßt sich's nich vom Himmel! der Herr Gemahl?" Sie warf einen neugierigen Blick Gud , Wilhelmchen!" sie ließ das Kind auf ihrem Schoß auf Ebel. stehen da hat Deine Mamma gewohnt, da is sie' rum­gesprungen, und da von der Mauer is sie runtergefallen mant Milie stieß einen hellen Freut mich, freut mich sehr!" Die Frau knickste. Schenken die Scherbeln. Ach, mein Gott!" Sie mir doch die Ehr' da wohn ich!" Sie wies auf ein Schrei aus da liegt noch die alte, zerbrochene Eiferfette, stattliches Bauernhaus mit Scheune und Obstgarten dahinter, die hat immer da gelegen, da hat sich Deine Mamma ein mit steinerner Freitreppe und einer grüngestrichenen Bant Loch in den Kopf geschlagen!" vor der Thür. Da jizz ich abends immer, wenn ich müde Da war das Gutshaus mitten im großen Garten; fie bin, und dent an meinen Martin. Das is' ne Placerei, fuhren an der Mauer entlang, die es gegen die Landstraße wenn einer mit fremden Leuten schaffen muß, das is nichts zu umgab. Zwischen riesigen Baumwipfeln hindurch leuchtete Eigenes, und wenn sie auch gut sind. Ach, wenn ich meinen das rote Ziegeldach, so behaglich und doch so wetter­Martin noch hätt', da ständ' ich anders da!" fest schaute es durch das Grün. Hähne frähten, ein Hund bellte.

Er reichte ihr die Hand.

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Sie sah den Knaben auf Miles Schoß und heftete ihre thränengefüllten Augen verlangend auf ihn. Das liebe ,, Ach!" Elisabeth war aufgesprungen, sie stand im Wagen Kind!" Ehe fich's jemand verfah, hatte sie den kleinen und reckte den Hals; jetzt stieg sie auf den Sitz, mit einer Wilhelm aus dem Wagen gehoben und preßte ihn an sich. Hand stützte sie sich auf ihres Mannes Schulter. Ebel hieß Dich möchte ich habent, Du müßtest bei mir bleiben, wie im den Rutscher langsamer fahren.