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Wir wollen uns hier ein bißchen ins Gras feken," fagte] Geht aufs Land und sehet selbst, wie die Sachen stehen. Höret er zu Polly, als sie endlich in den Park gekommen waren. nicht auf das, was Euch die Stadtlente sagen, die nicht einmal Nein," entgegnete Polly." Ich möchte lieber die Leute weiße Rüben von Möhren, jungen Kohl von Oberrüben unter­sehen und die Musik hören." scheiden können."

So gingen sie mit der Menge bis hinter dem Teich mit den Enten, auf dem die Boote lagen, zur Musik. Auf dem Wege standen Verkaufsstände, in denen Süßigkeiten und Kuchen feilgeboten wurden, und Trinkhallen, in denen Ingwerbier und Limonade ausgeschenkt wurden.

" Ich bin hierher gekommen, um zu lernen", redete ein Jüngling mit sanften Augen einen begeistert drein schauenden fleinen Prediger an, und ich kann das eine nicht begreifen. Sie sagen, Gott muß gerecht sein, aber er kann auch gnädig fein. Wie vertragen sich diese beiden Sachen mit einander. Sie sprechen von der Freiheit des Willens und glauben dabei doch an Vorherbestimmung. Vielleicht können Sie mir erklären, wie Menschen, deren Bestimmung es ist, zur Hölle zu fahren, doch in den Himmel kommen können."

( Fortsetzung folgt.)

Sonntagsplanderri.

Der Victoriapark gehört zu den wenigen Orten in London . an denen das Publikum des Sonntags seiner Liebe zur Musik nachgehen kann. Die Herren in den hohen Hüten, welche dort ihre Streichinstrumente spielen, rufen sicherlich größeres Ver­gnügen hervor, als es die berühmtesten Opernsängerinnen bermögen, denn ihr Publikum ist nicht so kritisch und so an­spruchsvoll, wie es die Damen und Herren sind, welche etwa 20 Mark für ihre Plätze in Parkett und Logen ausgeben können. Müde Mütter lagerten dort unter den grünen Bäumen, lauschten auf die einfachen Töne und über ihre Babis gebeugt, Alljährlich, am 28. August, begiebt sich in Frankfurt a. M. eine schlummerten sie ein. Knaben und Mädchen spielten auf dem gar anmutige Feier. Das Geburtshaus Wolfgang Goethes ist in Rasen, Männer rauchten ihre Pfeife und plauderten. Junge feiner wohlhabenden Beschränktheit des 18. Jahrhunderts erhalten Mädchen und junge Leute, alte Männer und alte Frauen geblieben, so wie darimen einst Frau Rat schaltete und ihr Bube träumten von der Zukunft und der Vergangenheit. Aus den spielte. Unten hat man freilich einen modernen Briefkasten an­feineren Vierteln, aus dem West End war hier niemand zu eindringlich daran, gebracht, und das Eintrittsgeld, das man erhebt, erinnert sehen, kein fein gekleideter Herr und keine Dame in elegantem die Pietät gemünzte Zinsen heden man heutzutage es versteht, selbst Tassen. Die rechte Kleide, nur Arbeitsleute waren hier und freuten sich ihres Goethestimmung freilich umweht der Sehenswürdigkeiten Jäger Erholungstages, der wenigen Stunden in der ganzen Woche, wohl weit stärker in dem nahen Wetzlar , wo man noch immer, die sie ihr eigen nennen durften. wie der junge Werther - Goethe, die Steinstufen zu dem laubüber­Polly war bisher noch nie im Victoria Park gewesen, wölbten Brunnen hinabsteigt und wo man in Lottens Staatsstube und sie wußte nicht, ob es erlaubt sei, daß eine Musikkapelle mit ihrer rührend naiven Bracht das Haus ist sinnig als ein Kinderheim in Nuzung des Sonntags nachmittags weltliche Weisen spiele. Sie nahm zirpenden Glaston entlocken kann. dem schmalen Spinett noch heut den In Weglar fühlt man den sich vor, darüber ihren Lehrer, bei dem sie zur Bibelstunde genialischen Stürmer, aus deffen Werther die Fülle ungebrochener ging, zu fragen, und wenn er sagen sollte, daß dies nicht Leidenschaft, die Kraft tief unter den Waffern wurzelnden Empfindens gestattet sei, nicht mehr herzukommen. in alle Ewigkeit quillt, wie das Brünnlein unter dem grünen Aeste­dach. Frankfurt ist eher die Geburtsstadt des Geheimrats Goethe, des würdig- Thätigen.

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Da sie aber nun einmal da war und auch fühlte, daß ihre Gegenwart dabei keinen Unterschied machte, das heißt, wenn sie auch weggegangen wäre, würde die Kapelle doch wie gewöhnlich weiter gespielt haben so hielt sie es für das richtigste, Jos' Freude nicht zu stören und ihm von ihren Gewissensbedenken lieber gar nichts zu sagen.

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,, Wie spät mag es wohl sein?" fragte sie ihn. Jos steckte seine Hand in die Tasche, zog sie aber bald wieder heraus und sah Polly ganz verlegen an.

" Ich hab' meine Uhr verloren", antwortete er zögernd. ,, Verloren?"

" Nun, ich will sagen, ich hab' sie nicht bei mir", fuhr Jos fort, und ich weiß nicht, ob ich sie jemals wieder be­tomnien werde."

" Jos", rief Polly," Du hast sie verfekt!" Und wenn schon", entgegnete Jos und sah seine Geliebte ruhig an.

Nichts", antwortete Polly, indem sie ihre Augen nieder­schlug und weiter ging. Wir wollen uns einmal ansehen, was dort unter den Bäumen, wo die vielen Leute stehen, los ist. Ach, da predigt ja ein Herr."

Sie famen zu den Bäumen und sahen dort dicht gedrängte Gruppen von Männern und Frauen, welche sich um einzelne Herren Scharten, die die verschiedensten Themata, die mit der Religion und Politik nur etwas zu thun hatten, besprachen und Vorträge hielten.

Lieben Freunde!" sagte ein Redner, ein Neger, der eine Blume im Knopfloch trug und seinen Hut auf dem Hinterkopf gesetzt hatte. Ich bin hierher gekommen, um Euch über die Entwickelung Gottes zu belehren. Ohne die Kenntnis dieser großen wissenschaftlichen Wahrheit kann man nichts begreifen. Ich habe mich entwickelt; Ihr habt Euch entwickelt; Gott hat sich entwickelt."

" Kameraden!" schrie ein anderer. ,, Wie lange noch wollt Ihr Euch diese Unterdrückung gefallen lassen? Wißt Ihr denn nicht, daß die Leute, die über Euch herrschen, nur wenige an Zahl und gar nicht zu fürchten sind? Seid Ihr Männer, dann erhebt Euch! Fordert Eure Rechte! Bengt Euch nicht unter der Knute der Gutsbesitzer und Kapitalisten, solcher Wetter­fahnen wie Chamberlain und solcher Tyrannen wie Salisbury ! Zeigt, daß Ihr Männer seid!"

" Ihr könnt mir's als einem, der selber auf dem Lande ge­boren und erzogen worden ist, glauben, das Land lohnt gar nicht, es überhaupt zu besitzen," ließ sich ein konservativer Arbeiter bernehmen. Mein Vater hätte sich die Hand abschneiden laffen, wenn er damit Land zu dem Preise hätte kriegen können, zu dem ich es haben kann, und ich will es noch nicht einmal dafür nehmen.

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Geburtstage des großen Hicfigen, dem Frankfurt es verdankt, daß Jene alljährliche Frankfurter Goethefeier mun besteht darin: Am die ganze fultivierte Erde gleichjam der Stadt eingemeindet ist, hat die verehrliche Einwohnerschaft zu den Heimathaus freien Zutritt, sofern nur der Besucher ein Blumenstränßchen als Augebinde mit bringt. Und da die Frankfurter , insonderheit die Frankfurterinnen, gefchäftsflug genug sind, um zu berechnen, daß im August ein paar Blumen billiger zu erstehen sind, als das Eintrittsgeld für aller die Blumenlosen betragen würde, so pilgern in Frühe Frankfurts junge Mädchen und Frauen mit ihren Blumen zum den bunten kleinen Gewinden besteckt wird, so daß das Gemöbel gar Goethehaus, dessen altväterischer Hausrat dann mit zierlich lebende, leuchtende und duftende Leisten und Schnörkel er­hält. Diese zarte, ein wenig schaltische, einfache Huldigung, in ihrer Mischung von jugendlicher Verehrung und altem Geschäftssinn, dürfte dem Gefeierten wohl mehr behagen, als der übliche hochgelehrte Vortrag, den dann irgend ein Meister vom Philologenstuhl auf Ge­heiß des Frankfurter Hochftifts in der Mittagsstunde vor nüchternen Mägen hersagt, zumal Frankfurts weibliches Jungblut den schönheits­begehrlichen Augen des Dichters mancherlei Anlaß zu erquicklichem Wohlgefallen zu geben vermöchte.

Heuer, da sich eine runde Zahl seit Goethes Geburt vollendet, wird wohl die stille Blumenfeier ins großartige schweifen und der letzte Hauch eines volkstümlichen Gedenkens abgestreift sein. Es wird eine Parade der Eingeladenen sein, ein Zusammenlauf der Bevorzugten, die Equipagen werden sich drängen und man wird ,, unter den Anwesenden bemerken" die Honoratioren des Geldes, Amtes und Geistes. Hätte der Geist des jungen Goethe Muskeln, befördern gleich dem mütterlichen Borzellan, das der Knabe in jauch­so würde er die ganze Geburtstagsgesellschaft zum Fenster hinaus­zendem Uebermut einst auf die Gasse warf.

Unsere bürgerliche Welt vermag teine Feste zu feiern: keine volkstümlichen; denn es fehlt ihnen das Volk, die Volts gemein= fchaft- feine fünstlerisch- würdevollen; dem unser ganzes Leben ist ohne Stil. So bliebe denn als die reinste, echteste Goethe- Fcier, daß sich der einzelne tief und still versenkt in die Welt, die der Genius in seiner Schöpfermacht erzeugte: Goethe wahr­hat gerade in diesen Tagen dazu Zeit, haft feiern, heißt Goethe lejet. Aber freilich, iver wo man nicht weiß, wie man all den gesellschaftlichen Verpflichtungen, welche die Goethefeier- Influenza auferlegt, gerecht werden soll. Und über­haupt, Goethe ist schon aus dem Grunde heute unlesbar, weil er freieste Muße fordert, einfames Verweilen, hingebende Andacht. Goethe ist immer noch keine Eisenbahnlektüre, und diesem Litteraturs zweig allein vermögen wir Genüge zu leisten und gerecht zu werden. So ist der Goethetag ein Fest ohne Goethe.

Schwungs und der echten allesbeherrschenden Begeisterung entbehren. Noch aus einem anderen Grunde muß diese Gedenkfeier des großen Stein Ideal unjeres gewaltigen gesellschaftlichen Stampflebens findet an diesem Tage Anregung und Auslösung. Wir dienen nicht unserer erhabenen Sehnsucht, indem wir Goethes gedenken, unsere schweren,