Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Str. 180.

Donnerstag, den 14. September.

( Nachdruck verboten.)

17] Joseph Conen. Roman von John Law . Aus dem Englischen von J. Cassierer. Während der ganzen Dauer der Vorstellung zitterte das Eichkäßchen vor Aufregung. Jos beobachtete sie und trank sein Bier dazu.

Sie waren zu einander in die seltsamsten Beziehungen getreten. Wenn man sie zusammen fah, hätte man sie wohl für Geschwister halten können, obgleich sie fremde Züge hatte, und in ihren Augen noch schwache Spuren eines sonnigeren Klimas zu erkennen waren, während er ein ganz gewöhnlich aussehender junger Engländer war. Als sie an dem er­wähnten Abend auf dem Heimwege an seiner Seite ging, schenkte er ihr fast gar keine Beachtung. Er sah sie als ein liebes, gutes fleines, Ding an, das wenig besser als nichts war. Ab und zu streichelte er sie, das geschah aber in der Weise, wie wenn jemand mit der Hand über den Kopf seines Hündchens fährt. Sie schauderte jedesmal dabei zusammen, und ihr Gesicht zeigte dann einen mütterlichen Ausdruck, der fast lächerlich zu

nennen war.

Als was das Eichkäßchen Jos anfah, läßt sich gar nicht sagen. Von dem Augenblick an, in dem er die Penne" be­treten hatte, war sie unaufhörlich bemüht, für seine Bequem­lichkeit zu sorgen. Tag und Nacht arbeitete sie für ihn, überall ging fie ihm nach und sie bemutterte ihn in einer Weise, die geradezu komisch war.

Die Arbeit, die Jos in St. Kits und in den London Docks zu verrichten hatte, war dieselbe, wie sie es in den Tabakdocks gewesen war. Fässer und Ballen hin und her schaffen, sie wiegen, Muster daraus ziehen und so weiter; das ging den ganzen Tag in ununterbrochener Einförmigkeit. Ein paar Mal wurde er auch in die Nacht­schicht eingestellt und dann erhielt er eine besondere Ver gütung von einem Penny für jede Stunde. Von acht Uhr abends bis acht Uhr früh mußte er dann Ballen mit Wolle auf die Böden ungeheurer Magazine befördern und von dort andere Ballen wieder mit zurücknehmen, die in London blieben und dortigen Kaufleuten ausgefolgt werden sollten. Oft arbeitete er nicht in der Nachtschicht, denn diese Arbeit galt als eine besondere Vergünstigung, und die Leute, die zur Nachtschicht gehörten, wollten lieber vierundzwanzig, ja sogar sechsunddreißig Stunden ununterbrochen hintereinander arbeiten, als dieses Vorzuges verlustig gehen. Als aber einmal die Vorkehrungen für große Wollauftionen getroffen werden mußten, glückte es ihm doch, bei der Nachtschicht anzukommen und er hatte dann die gauze Nacht hindurch Trepp auf Trepp ab Lasten zu schleppen.

1899

geben können, war sein Freund, der Dockarbeiter gewesen. Aber gerade den wollte er jetzt nicht besuchen, denn als er ihn kennen gelernt hatte, war er noch nicht dem Trunfe berfallen. Die Arbeit wurde knapp.

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Und deswegen sagte damals das Eichkäßchen zu Jos: Wozu denn jede Nacht in der Penne vier Pence aus­geben?"

Das Eichfäßchen hatte in der Nähe des Trafalgar Square Blumen verkauft und wahrgenommen, wie verschiedene Ob­dachlose dort die Nacht verbrachten. Aus Lumpen hatten sie sich auf den Steinstufen des Denkmals ein Lager bereitet und schliefen dort unter den Augen der Polizei.

Hunderte von Leuten waren gestern nacht hier," erzählte sie Jos. Ich hörte, wie ein Blauer " das erzählte. Wir wollen lieber dort schlafen als in der Penne."

Sie werden uns ins Loch stecken," meinte Jos. ,, Nein, das werden sie nicht thun."

,, Von dort nach den Docks ist es aber sehr weit." Und wenn schon, wir können ja vorher frühstücken." Wenn auch noch nicht überzeugt, fo gab Jos doch nach und verabredete sich mit dem Eichkäßchen, sie des Abends in Charing Croß zu treffen. Auf dem Trafalgar Square begegnete er einem alten Bekannten, nämlich den Zimmermann Neeson, der sich auf dem Wege nach dem Arbeitshause befand.

Die Hände in den Taschen ging Reefon auf und ab. Die schmalen Lippen hatte er fest auf einander gepreßt nud sein viereckiges Kinn ließ deutlich seine Knochen sehen, Knochen an denen nur noch sehr wenig Fleisch war. Sein Gesicht war ganz blutlos, und sein graues Haar stand borstenartig in die Höhe, so wie es bei Leuten der Fall ist, die sich in heftiger Gemütserregung befinden. Ab und zu warf er einen Blick auf seine Frau, die auf einer der Stufen, die zum Denkmal hinauf führten, saß.

Die Hände in ihrem Schoß gefaltet, saß sie da und fah aus, als ob sie in ihrem Leben nicht mehr würde weinen können, selbst nicht einmal bei einem Armenbegräbnis. An ihrer Seite lag ein Bündel, das ihr ganzes irdisches Hab und Gut enthielt, ein paar alte Lumpen, zwei Plakate- den Alten Orden der Druiden" und den Erhabenen Orden der Buffaloes" betreffend und die Photographien ihrer ver­storbenen Kinder.

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Du hier?" redete Reeson Jos an, als er ihn erblickte. Und dann gingen die beiden Männer den großen Blazz zusammen auf und ab, ohne ein Wort zu reden, in gemessenem Schritt und ihre Blicke unausgefekt in die Ferne richtend. Die Nacht brach herein.

Reefon streckte sich auf die Steinstufe, auf der seine Frau saß, der Länge nach nieder und ließ sich ihr Bündel als Kopf­tissen dienen. Dicht daneben, wie eine Kugel zusammen ge­rollt, lag das Eichfäßchen, das keinen Blick von Jos ließ. Wagen und Equipagen, in denen das Publikum aus den Theatern und Konzerten nach Hause fuhr, rollten vorbei.

Auf der großen Uhr von Big Ben , wie der große Turm des Parlamentsgebäudes vom Volke genannt wird, schlug es zwölf.

Wurde dann zur Frühstückszeit die Nachtschicht abgelöst, so ging er bisweilen an die Themse hinunter, bevor er sich auf dem Weg nach dem Asyl machte. Er sah dort sehr gern die Sonne aufgehen, denn das erinnerte ihn an sein Heimats­dorf; auch die fremdländischen Matrosen interessierten ihn sehr, und ihrem Kauderwelsch hörte er gern zu. Auch die großen Schiffe, die Dampfer, die aus fremden Ländern kamen, und die Barken, die die für England bestimmten Waren ans Jezt füllte sich der Platz rasch mit allerhand Leuten. Land schafften, erregten seine Aufmerksamkeit. Mit besonderer Kräftige Schußleute bezogen ihre Posten, um gewissermaßen Vorliebe aber verweilte er in den Magazinen. Da waren als Schildwachen den Platz besetzt zu halten. Das Gesetz Speicher, auf deren Fußboden Elfenbein aufgestapelt war, sagte: Es ist jetzt Zeit, die Kneipen zu schließen", und ganze Zimmer, die mit Mammutzähnen voll gestapelt waren, Männer und Weiber, die kein anderes Heim als die Schnaps­die mit Perlmutter angefüllt waren und so weiter. Alles dies buden hatten, tamen nun hierher, um auf den hölzernen nahm seine Wißbegier in Anspruch. Alles Erdenkliche, was Bänken, die hier standen, auf den steineren Stufen, die zum überhaupt nur zu effen ging, alles Mögliche, was man über- Denkmal hinaufführen, und auf den Fliesen, die den Platz haupt nur trinken konnte, befand sich in diesen Magazinen. bedeckten, die Nacht zu verbringen. Verschiedene hatten Sack Und immitten all diesen Reichtumes arbeiteten die hungrigsten Leinwand und alte Decken mitgebracht. Andere breiteten alte Leute von ganz England, während man glatt gestriegelten Zeitungen aus und hüllten sich in Annoncen- Beilagen ein. Kaufleuten, die hierher kamen, Einkäufe zu machen, mit Wenige waren so glücklich, in kleinen Zelten, wie sie die Elektricitäts­Erfrischungen aufwartete. Ihm erschien es eine furchtbare arbeiter bei Verrichtung ihrer Arbeiten aufschlagen, Zuflucht zu Ungerechtigkeit, daß Leute, deren Magen vor Hunger knurrte, finden, und darinnen hatten fie ihre Kinder und ihr bißchen alle diese schönen Sachen nicht nur sahen, sondern Strimsframs untergebracht. Sechshundert von der Gesellschaft sogar mit ihnen zu thun haben sollten. Warum Ausgestoßene hatten hier endlich ihre Nachtruhe gefunden, und dies eine Ungerechtigkeit sein sollte, darüber war er sich nicht als Jos hier auf und ab ging, hörte er weiter nichts als ganz flar, und er behielt seine Gedanken für sich, denn er schweres Atemholen; nur das Husten einiger unglücklichen fürchtete sehr, daß man ihn zu leicht auslachen könnte. Schwindfüchtigen oder das Weinen eines Kindes, das wohl Der einzige, der ihm hierüber wohl Aufklärung hätte glauben mochte, seine Mutter habe es in einem fremden