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Wegen

Lande ganz allein gelaffen, unterbrach von Zeit zu Zeit die nächtliche Ruhe.

Jos schritt auf das Becken des einen von den beiden Springbrunnen, die auf dem Plaze stehen, zu und betrachtete darin den Wiederschein der Sterne. Als ob das Weltall nichts mit der Erde zu schaffen hätte und sie ihrer Kleinheit wegen verachte, als ob die Sterne sich über die Menschen lustig machen wollten, schienen sie hin und her zu tanzen. Er blickte zu den Sternen empor; sie waren in weiter Ferne und jedes Gefühles bar. Und jetzt lachte er; ein bitteres Lachen, das von Nelsons Denkmal widerhallte und dann unter den Säulen der National Galerie erstarb. Ein Schutzmann, der durch das Geräusch herbeigerufen wurde, sprach ein paar Worte, daß die Vagabunden doch lieber etwas vorsichtiger sein möchten. Jos drehte sich um und ging auf das Eichkäßchen zu. Er fühlte einen großen Durst in sich, und zwar einen Durst, den alles Waffer in den Springbrunnen nicht löschen konnte, einen Durst nach Schnaps. Den ganzen vorhergehenden Tag über hatte er nichts gegessen, und doch war er nicht hungrig, aber er fühlte, daß er einen Schnaps zu sich nehmen müsse. Er wußte, wie das Beug" in sein Fleisch einziehen und wie es sein Bewußtsein ertöten würde.

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Das Eichkäßchen besaß noch zwei Pence.

Er schritt auf den Platz zu, auf dem es zusammen­gefauert lag. Seine Augen waren geschlossen und auf seinem kleinen, blassen Gesicht schwebte ein Lächeln. Mit dem Rücken gegen die harten Steine gelehnt lag es da, und schien im Schlafen von glücklichen Träumen umfangen zu sein. Langsam ging er weiter. Als die Uhr eins schlug, sagte

er vor sich hin:

Geld hat doch weiter keinen Zweck. Die Schnapsbuden sind ja schon zu."

( Nachdruck verboten).

Wegen frechen Betragens

rutlallen."

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Eine Dienstbotengeschichte von Paul John. Marie war die Tochter eines Käthners in Westpreußen . As fie die Schule verließ, arbeitete sie zunächst ein paar Jahre auf dem benachbarten Gute. Dann aber zog es sie nach Berlin . Sie wollte ihr Leben nicht als Scharwerkerin" beschließen; wer aber von den neun Schwestern einmal beim Ableben der Eltern die alte Kathe übernehmen würde, das galt noch keineswegs als ausgemacht. Marie ließ sich zwei Jahre hintereinander für die Rübenernte in einer ostpreußischen Zuckerfabrik anwverben, obgleich Erfahrene ihr die Schwere dieser Arbeit schilderten und der Pfarrer nicht unter­ließ, fie auf die sittlichen Gefahren bei dieser Thätigkeit aufmerksam zu machen. Daß das junge Ding der schweren Arbeit gewachsen ivar, verdankte es neben seiner starken Konstitution vor allen Dingen dem Bewußtsein, daß keine andere Arbeit in derselben furzen Beit cinen Gewinn brachte, der die Reise nach Berlin ermöglichte.

Als sie dann das zweite Mal aus den Rüben" zurückkehrte und auch den Verdienst aus dem Vorjahre auf der Sparbank ab­gehoben hatte, trat sie in einer für westpreußische Begriffe geradezu glänzenden Ausrüstung und mit einigen ersparten Mark die Neije

nach der Märchenstadt an.

Auf dem Mietscomptoir rissen sich die feinen Damen um das dralle Ding, und Marie hatte den Triumph, rascher als sie je gedacht, einen Dienst als Mädchen für alles" bei einer Frau Kommissions­rat" zu finden.

Mit dem Fenereifer, der sie bei jeder Arbeit ausgezeichnet hatte, machte sich Marie auch an ihre neue Thätigkeit.

Aber schon der erste Tag sollte nicht schließen, ohne daß ein

bitterer Wermutstropfen in ihren Freudenkelch gefallen wäre.

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Am Abend, nachdem die Herrschaft in dem prachtvollen Speise­zimmer gegeffen hatte, schnitt ihr die Gnädige" zwei belegte Butter­brote und schloß dann mit einem energischen Ruck den Speiseschrank. Darauf wies sie dem Mädchen ihre Lagerstätte und rauschte mit ihrem flappernden Schlüsselbunde davon.

Nun war Marie allein.

Er streckte sich der Länge nach auf eine Bank nieder, und zwar mit dem Gesicht nach unten, so daß er die Sterne nicht sehen konnte, die sich über sein Elend luftig zu machen mit Schinken belegt und das andere mit einem pifanten Käse, den So feine Butterbrote hatte sie daheim nicht gehabt. Eins war schienen. Er schlief bald ein; als er wieder aufwachte, war sie noch nicht kannte. Aber zu Hause hatten Vater, Mutter und alle sein Kopf glühend heiß und seine Hände fieberten. Er hatte Geschwister mit am Tisch gesessen, und auf dem Gute und in der auch geträumt, und zwar hatte er seinen alten Pfarrer, John Rübenernte waren es gleichaltrige Arbeitsgenossen, die das durchaus Datchett, gesehen, wie er an einem offenen Grabe stand und nicht lukullische Wahl mit ihren Scherzen würzten. Hier fühlte sie aus einem Gebetbuche vorlas. Jemand hatte gejagt, man sich als die Ausgeschlossene. Zum erstenmale tam ihr die trennende nur für sie unsichtbar sollte doch einmal auf den Sarg sehen, und als er einen Schranke zum Bewußtsein, die Blick in die klaffende Grube, die seine einzige Verwandte auf Grunde doch schon immer zwischen ihr und den Besitzenden aufge= Erden, seine Mutter, umschlossen hielt, geworfen hatte, da richtet war. Daß man aber so deutlich sichtbar diese Schranke vor ihr aufrichtete und ihr klar machte, daß der Dienenden ein anderer habe er Blatz gebühre als der Herrschaft, schmerzte sic doch.

Schaudernd war er dann aufgewacht.

Vom Big Ben schlug es fünf, und die schwarze Finsternis mach te der grauen Morgendämmerung Platz. Jumer deut licher wurden die umstehenden Gebäude erkennbar und auch Big Ben mit seinem großen Zifferblatt wurde sichtbar. Das Eichfäßchen kam zu ihm heran. Es ist Zeit zu frühstücken."

Seine Glieder waren so steif, daß er nicht aufrecht stehen fonnte. Die Feuchtigkeit war in seine Gelenke geschlagen, denn der Hunger hatte ihn geschwächt und der Schnaps hatte seine Muskeln erschlafft. Nur mit großer Mühe konnte er dem Eichfäßchen folgen, und während dieses zwei Tassen Kaffee und zwei Scheiben Brot und Butter bestellte, wärmte er sich an einem Kohlenfeuer.

Vor einem Zelt, in dem ein alter Mann für einen Penny Frühstück verkaufte, drängte sich eine Menge Leute, die bereits feit früher Morgenstunde thätig waren, Arbeiter, Blumen­mädchen und ein heruntergekommener Gentleman standen hier und aßen ihr Butterbrot, zu dem sie schwachen Thee oder Kaffee tranfen.

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in ihr hervorrief. Wohl war es oft genug in ihrer Heimatshütte Es war aber nicht das allein, was eine herbe Bitterfeit vorgekommen, daß Schmalhans Küchenmeister war; aber so lange etwas vorhanden gewesen, hatte jeder gegessen, bis der Hunger gestillt war nie hatte man ihr etwas abgeteilt. Hier jedoch herrschte Ueberfluß, und dennoch verschloß man vor ihr vor chr licher Lente Kind!- den Schrank und teilte ihr das Effen zu..

Marie weinte sich an diesem Abend satt, und als sie sich in ihr

schmales Bett legte, blieben die schönen Butterbrote, ein summer, aber deutlicher Protest gegen die unwürdige Behandlung, unberührt

liegen.

Im übrigen fand sich das Mädchen mehr und mehr in seinen neuen Wirkungskreis hinein; als Marie die abendliche Ein­famkeit an einem der nächsten Tage benutzte, um über ihren neuen Dienst und das eigene Befinden einen Bericht an die Mutter zu er statten, lautete er verhältnismäßig günstig.

Am anderen Morgen war sie gewohnheitsmäßig in der Küche thätig, da fiel ihr auf dem Küchenschrante ein blantes Fünfzig­Pfennigstück in die Augen. Sie schob es beim Staubwischen zur Seite und ging ihrer Beschäftigung weiter nach.

Das Geld komite nur die Gnädige" versehentlich dort liegen gelassen haben; obgleich diese jedoch wiederholt in der Küche er­schien, nahm sie von dem Geldstid teine Notiz. Marie räumte das Schlafzimmer auf, bohnte den Salon, holte ein, aber immer noch lag das Geldſtück in der Küche.

Als schließlich am Abend die" Gnädige" zum letztenmale die Küche verließ, ohne scheinbar das Geld zu bemerken, wagte das Mädchen es endlich, sie darauf aufmerksam zu machen. Erleichtert atmete Marie auf, als nunmehr die Frau Kommissionsrat das Silberstid an sich nahm.

,, Wer bei mir einmal eine Tasse getrunken hat, kommt sicher wieder. Guter Thee und Kaffee. Beste Qualität" hatte der alte Mann an sein Zelt angeschrieben, und sein Esel rieb feinen Kopf an seinen gutmütigen Kunden und ließ sich von ihnen dafür, daß er ihnen das Frühstück brachte, mit Brot­trusten füttern. Als der heruntergekommene. Gentleman sein Frühstück beendet hatte, zog er gegen die Blumen mädchen seinen Hut und wünschte dem alten Mann einen Nach Art der einfachen Leute, die ihre Briefe mit allen mög guten Morgen". Sein Rock war fadenscheinig und schmierig, lichen wichtigen und unwichtigen Dingen zu füllen pflegen, fügte sie der Kragen, den er trug, war seit Wochen nicht gewaschen ihrem noch unvollendeten Briefe eine Mitteilung über das worden, aber er machte seine Verbeugung mit so vollendetem merkwürdige Fünfzig- Pfennigftüd hinzu und schloß: Das Wetter Anstande, als ob er im feinsten Salon stände; vielleicht ist sehr schön und hoffe ich von Euch dasselbe. Wiele Grüße von wollte er damit zeigen, daß er es verstände, die Armut mit Deiner lieben Tochter Marie.". Würde zu tragen. Die Blumenmädchen aber lachten ihn aus. ( Fortsetzung folgt.).

Lehmann an, der der Mutter einen ganzen Sonntagnachmittag und Am Dienstag in aller Frühe kam ein Brief an Fräulein Marie viele Thränen der Rührung und des Stolzes über ihre Tochter in Berlin gekostet hatte. Der pastorale Stil der frommen Ermahnungen,