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die Vögel auf den Bäumen singen hörte, sagte er zu sich: " Ich wünschte, ich wäre hier geblieben; wäre ich doch nicht erst nach London gegangen."
Die Zeit verstrich, während er den Park durchwanderte Oft setzte er sich hin, um auszuruhen, und wäre es nicht so falt und feucht gewesen, wäre er gewiß eingeschlafen. Endlich kam er aus dem Park heraus in ein Dorf, dessen Wirtshaus " Zum Punschnapf" dem Ausgang des Parkes gerade gegen über lag. " Ich werde sehen, daß ich in der Scheune schlafen und ein Glas Schnaps trinken kann," dachte Jos.
Er trat in das Gasthaus. Hinter dem Schänktisch stand der Wirt und unterhielt sich mit mehreren Gästen. Längs der Wand lief eine hölzerne Bank. Jos setzte sich hierhin, und einen Zinnbecher in der Hand haltend, hörte er der Unterhaltung zu. Hinter dem Schänkttisch, in einer Art Salon, faßen die Honoratioren des Dorfes, vor demselben standen oder saßen fünf bis sechs Fuhrleute und Bauern.
" Was ich wollte, hab' ich gesagt," meinte ein junger Mann im„ Salon", sich seine lange Pfeife ansehend, das Land geht zum Teufel, daher weg mit den Fremden." Ich würde sie schon ausjäten, aber damit müßte man hier unten in Windsor anfangen."
,, Aber wer soll denn hier die Fasanen schießen?" fragte ein alter, weißhaariger Mann, seiner Kleidung nach ein Wildhüter. Es ist nicht mehr so, wie es früher war. Wenn ich an all die großen Herren denke, die zu Zeiten des Prinz Gemahls hierher auf die Jagd kamen, dann sag' ich mir immer, hier ist etwas. nicht mehr in Ordnung".
" Die Fasanen schießen!" lachte der junge Mann.„ Lieber Euch selber erschießen. Ihr wißt ja selber, wie sehr Ihr aufpassen mußtet, als im vorigen Jahr ein fremder Prinz hier jagte. Diese fremden Herren verstehen nichts von der Jagd; sie sind ihr nur gefährlich."
Mag sein," bestätigte der alte Wildhüter.„ Es wurde mir ordentlich angst, wenn er eine Flinte in die Hand nahm; und doch that er mir leid; es schien ihm hier in Windsor nicht zu gefallen."
Ich hörte im Schloß, daß die Königin ihn nicht leiden mochte," warf der Wirt ein.
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Auf die Königin lasse ich nichts kommen," nahm der alte Wildhüter wiederum das Wort. Es sind jetzt fünfzehn Jahr, da lag ich am Rheumatismus darnieder, und da kam die Königin und besuchte mich. Nicht viele können von sich er zählen, daß die Königin sie besucht hat. Ich lag zu Bett und die Glieder thaten mir damals so weh, daß ich mich nicht rühren konnte. Sie wird jett alt, und wenn sie jetzt auch das nicht mehr thun kann, was sie sonst that, so bin ich nicht der Mann, der es vergißt, daß sie mich besuchte, als ich den Rheumatismus hatte."
,, Es hat ja mit der Königin nichts zu thun, wenn die Landwirtschaft nicht mehr rentiert und die Güter feine Pächter finden", meinte der Wirt. Sie hat ja mit dem Jubiläumsgeschäft ihr möglichstes gethan."
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Der junge Mann brach in ein schallendes Gelächter aus. Jm ganzen Jahr, das seitdem vergangen ist, hab' ich so etwas Schönes noch nicht sagen hören."
Der Wildhüter schüttelte den Kopf.
" Ihr jungen Leute wollt immer die Welt umdrehen," fagte er. Aber Gott sei Dant, daß Ihr es nicht könnt. Junger Mann, wenn Ihr erst so alt sein werdet wie ich, dann werdet Ihr auch anders denken."
Jos hörte dies nicht mehr, er hatte den Kopf an die Wand gelehnt, die Beine unter der Bank gestreckt und war eingeschlafen.
Der Wirt weckte ihn.
" Kann ich hier in der Scheune oder irgendwo sonst schlafen?" fragte Jos.
Ja," antwortete der Wirt ,,, da hinten ist Platz und liegt auch viel Stroh."
Am folgenden Tage wanderte Jos durch den Wald, und während des ganzen Tages begegnete er feinem Menschen, nur die entlaubten Bäume und der trübe, graue Himmel leisteten ihm Gesellschaft. Weder Hunger noch Durst empfand nur eine große Steifheit und Ermattung in seinen Gliedern. Der Wind heulte um ihn her und machte seine Zähne flappern und seinen zerfetzten Anzug an seinem Körper hin und her schlenkern.
er,
( Fortsetzung folgt.)
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Die Duse.
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Die Bildung muß doch eine Macht sein. Die weitverbreitete weisen. Als die Duse zum erstenmal nach Berlin kommen sollte, Furcht, für ungebildet gehalten zu werden, scheint mir es zu be langen begeisterte Hymnen an unser Ohr. In Wien schwammen die paar Leute, die sich alle Welt" zu nennen pflegen, in Wonne and Entzücken. In den Journalen kamen die Superlative jäh zu un verdienten Ehren. Mit der Duse beginne eine neue Epoche der Schauspiel funst, schrieben die verhältnismäßig Schüchternen. Temperament vollen Naturen konnte indessen ein so mattes Lob nicht genügen. Es handelt sich hier nicht um die Schauspielfunst, sondern um die ein neues künstlerisches Zeitalter. Schminke und Coulissen liegen Kunst überhaupt, schrieben sie und sagten sie. Mit der Dufe beginnt hinter uns. Alle Unnatur ist abgethan. Die Sonne einer neuen Beit ist aufgegangen. Die Dufe spielt....
Damit hatte eigentlich schon die Begeisterung den Punkt erreicht, no man einer weiteren Steigerung nicht ohne Sorge entgegensteht. cozdem fand sich ein Jüngling, der unerschrocken genug war, diese Sigerung zu vollziehen. Er löschte mit faltem Lächeln die bisSo bescheidene Kerzen wie herge Geschichte der Menschheit aus. Shakespeare und Goethe erloschen vor dem Hauch seines Mundes. r datiert die Kunst überhaupt erst von dem Auftreten der italienischen
gann kam diese epochemachende Dame nach Berlin . Die Billetpreise schnellten in die Höhe, und die Kenntnis der italienischen Sprache verbreitete fich wie ein Lauffeuer. Im Tiergarten hätte man schlechthi.nicht leben können, ohne die Duſe geſehen zu haben. Ein Familienvater, der seine Damen nicht zur Duse geführt hätte, wäre von der Mitwelt erachtet und von der Nachwelt mit Schaudern genannt worden. Man mußte ſie ſehen, und man sah sie und ließ sich begeistern. Denn es ist ungebildet, sich von einer berühmten Künstlerin nicht begeistern zu lassen. Und im Tiergarten sind die Leute nun einmal sehr gebildet.
Leider fand sich keine Kritik, die die dem wahnsinnigen und schließlich auch wirbelosen Spiel ein jähes Ende bereitet hätte. Ein paar energische Biteste ertranten in dem Posaunentlang des allgemeinen Lobs. er über getvisse Dinge den Verstand nicht verliert, hat keinen zu verlieren. Die Berliner Kritik verlor ihn über die Duse und bewies so negativ, daß sie an gewöhnlichen Wochentagen ein vernunftbegabt Besen ist.
In den Herzen der gutschen Schauspieler mag es wunderlich ausgesehen haben. Man tan am Theater auf mannigfache Weise berühmt werden. Einmal durch seine Kunst, was am längsten dauert und am unsicherstet ist. Dann durch ein paar kritische Vettern, durch seine Schuldet, durch einen sensationellen Kontratt bruch, durch seine Brillanten ind durch seine Liebhaber. Der Theaterruhm ist im allgemeinen billig zu haben. So billig aber, wie ihn die Duse erlangte, hat ihn unsires Wissens doch noch keine deutsche Schauspielerin erlangt. Jedes Mimenherz mußte durch diesen nur, um gleich wieder dem Elend der Ernüchterung zu verfallen. Die rasenden Preissturz auf dem Mart des Ruhms entzückt sein, freilich Berliner Kritik ist mir toll bei Nordfordwest. Im allgemeinen vermag sie sehr wohl einen Kirchturm on einem Laternenpfahl zu unterscheiden.
Oder war sie gar nicht toll? Vielleicht hatte sie insofern wirks lich mit Hamlet etwas gemein, als ihr Walusin mur Maske war. wir verkennen keinen Augenblick, daß Theatertorstellungen ein Ge fchäft sind. Auch reicht unser Verstand aus, umeinzusehen, daß hohe Billetpreise ein besseres Geschäft ergeben als niedrige. Vielleicht wägungen. Judes: wir sind in so feinen Dingen nicht zulagen hier und da hinter der wilden Begeisteruns höchst trockene Erständig.
Ueber den Künstlerischen Wert der Duse sich ein Irteil zu bilden, ist nicht leicht, auch dann nicht, wenn man die Stück, in denen fie auftritt, genau bis in die Einzelheiten kennt. Ich glauke, ihr Ruhm würde erbleichen, wenn sie sich einmal so weit wegwerfen sollte, deutsch zu lerner. Die Myftit ihrer Erfolge erklärt sich am Ende aus der simplen Thatsache, daß den meisten Theaterbesichern die aus dem Umstand, daß italienische Sprache auch ein Mysterium ist. Dann freiich auch von Künstlern, sondern immer in einer Truppe von untergeordleten daß man sie nie in einem Ensemble Handwerkern sieht. Aus dieser Umgebung herauszutreten, ist ine sehr bescheidene Kunst. Wir bekennen, daß wir in einige Verleges heit geraten, wenn wir unsere Meinung über die Duse niederschreibe! Wir haben so ganz und gar nichts Ungewöhnliches zu melden, weder im Guten noch im Bösen. Wir haben einfach über einen Theaterabend zu berichten, der vielfach interessiert, stellenweise ergreift, im allgemeinen aber doch tälter läßt, als beispielsweise eine gute Aufführung im„ Deutschen Theater".
rechten. Es ist eine Eigenheit ihrer Kunst, daß sie sich aus dem AbUeber die Wahl der Stücke wollen wir mit der Duse nicht hängigkeitsverhältnis heraussehnt, in dem sie schließlich doch einzig und allein gedeihen kann. Jeder Schauspieler sehnt sich nach dem Gut, das seine Kunst ihm grausam verweigert, nach Selbständigkeit. Er möchte sich von dem Stück emanzipieren, um ganz er selbst zu sein. Das gelingt ihm naturgemäß bei schlechten Stücken am besten. Je weniger ästhetischer Gehalt vorhanden ist, umso weniger toftet es ihnt, ihn ganz aufzuheben und die Dichtung in eine Rolle zu verwandelr. Mit Sudermann ist in dieser Beziehung leichter fertig zu werden als mit Jusen. Wenn die Duse also in der Wahl der Stücke sündigt,