Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 191.

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Freitag, den 29. September.

Joseph Coney. Roman von John Law . Aus dem Englischen von J. Cassierer.

( Schluß.)

1899

( Nachdruck verboten.) lag er da, und er erwachte nur daraus, wenn ein heftiger Schmerz ihn zum Husten zwang. Der Wind fuhr durch seinen alten Rock und seine zerfetzten Beinkleider, und er würde wohl gefroren haben, wenn er nicht so schläfrig gewesen wäre. Das Trinken hatte ihm eine scheinbare Kraft gegeben, die aber jetzt, Das Eichfätzchen glaubte, daß es im Wasser finge. Sie wo er feinen Schnaps mehr zu sich nehmen konnte, rasch wieder sprang hinauf und sah zu dem Gesicht der Sphyny empor. verflog. Aber auch das sonst so starke Verlangen nach Schnaps Die Laterne schien gerade darauf. Aber in ihrem unergründ- war vollständig geschwunden. lichen Lachen fonnte sie feinen Trost finden. Sie schlich sich zu dem steinernen Postament, dicht an der Brustwehr.

Der Nachmittag nahte heran, und noch immer lag Jos in seiner Grube, in abgefallenen Blättern halb vergraben, das Mit dem einzigen Schrei Ach Jos!" sprang das Eich- Gesicht nach unten gewandt. Hätte von den Dorfbewohnern fäßchen in den Strom. Ein Stampf, ein vergeblicher Versuch, jemand ihn so wie einen Hund oder ein Stück Holz liegen sich an der schlammigen Wand des Embankments festzuhalten, schen, so hätten sie wohl faum in ihm Joseph Coney, den ein unterdrückter Seufzer. Dann nahm sie die Themise in ihre jungen Zimmermann, erfannt, der vor einem Jahre so starken Arme, und sie war jetzt nicht mehr einfam und verhoffnungsfreudig nach London gewandert war. lassen". Endlich wurde es sieben Uhr und stockdunkel. Er stand XXI. jetzt auf und ging auf die Kirche zu. Während des ganzen Den nächsten Morgen erwachte Jos in der Sägegrube. Weges hielt er sich dicht an den Hecken und nur ganz Er konnte sich zuerst gar nicht entsimmen, wo er war, langjam fonnte er vorwärts kommen. Ab und zu blieb er denn der Wind blies durch die Zweige über seinem Kopfe stehen, um nach den erleuchteten Fenstern im Dorfe zu sehen. und trieb die abgefallenen Blätter gegen die Wände der Einmal sagte er laut vor sich hin: Ich hätte auch Grube. Es war ein recht trüber Noventbertag und kein ganz gern einmal den Platz besucht, auf dem ich früher ge­einziger Sonnenstrahl durchbrady die schweren, grauen Wolfen. arbeitet habe. Aber er fürchtete sich, zu nahe an die Häuser Jos versuchte aufzustehen, aber feine steif gefrorenen Glieder heranzugehen. Er nahut daher seinen Weg über ein Feld, gaben immer wieder nach, und er fiel auf den Blätterhaufen das sich bis zur Kirche erstreckte, und verbarg sich dort in zurück, nuter dem er geschlafen hatte. aders einem angrenzenden Gebüsch. Durch ein Fenster des füdlichen Seitenschiffes der Kirche strömte Licht heraus und erhellte gerade den Stein auf dem Grade jeiner Mutter. Seinen Blick nach der Kirche wendend konnte er sehen, wie sich auf dem Orgelchor Gestalten hin und her bewegten, undaná fingen hörte er. Es wurde eine lebung des Chores abge­halten. Der en bon sbtotaal 100 ilisat

Auf dem Kirchturm schlug es acht, und auch auf dem Gutshofe läutete es zum Frühstück. in der nächsten halben Stunde wurde die Stille durch nichts unterbrochen; aber dann hörte Jos Rädergeraffel, und indem er sich auf seine Arme stigte, fonnte er einen leichten Wagen rasch die Anhöhe hinunter fahren sehen. Zwei junge Leute, die wohl zu Markte fahren mochten, saßen darinnen und sangen.

Seine Mutter Tag unter einer alten Föhre, nicht weit von dem Begräbnisplatz der Kinder, jener fleinen Dinger, für Endlich glückte es ihm, auf die Beine zu kommen und er die er so manchen Sarg gemacht hatte. Jede Familie hatte ihren ging zu dem Fuß der Anhöhe. Von hier aus konnte er das eigenen Platz, der eingefriedet und mit Blumen bepflanzt war; Dorf liegen sehen. vad tim telimb aber für die Kinder, die durch ihre Schulkameraden zu Grabe Wenn es dunkel geworden sein wird", sagte er sich, will getragen wurden, war ein besonderer Platz frei gelassen. ich auf den Stirchhof gehen. Dann will ich weiter wandern, vielleicht wieder nach London zurück."

Er suchte dann nach einem Baume, in den er in früheren Jahren einmal seinen Namen Joseph Coney geschnitten hatte. Lange Zeit fonnte er ihn nicht finden, aber schließlich entdeckte er ihn doch auf der Rinde eines alten Stammes. Eines Sonntagsvormittags auf dem Heimweg von der Kirche hatte er den Namen dort eingeschnitten und dabei mit seiner Mutter von all' dem gesprochen, was er einst thun werde, wenn er erst ein Mann sei und sich sein eigenes Brot verdienen könne. Die alleinstehende" Frau hatte damals wohl nicht ge­ahut, wie es einst mit ihm kommen würde.

Fünf oder sechs Jahre, bevor er nach London ging, fie au Lungenentzündung gestorben.

war

Er gedachte des Tages, an dem man ihren Sarg die alte Treppe hinter trug. Die Nachbaren waren zu ihn gekommen, um ihn zu trösten, aber ihre Stimmen verhallten und er fühlte ich tief unglücklich. Ju der Kirche hatte er wie geistesabwesend dagestanden und ein Schaudern war durch seinen Körper, von Kopf zu Fuß, gegangen, als der Toten­gräber Erde auf den Sarg warf. Ueber die Gräber war er gestolpert, und während noch die Blocken läuteten, war er nach Hause gegangen, und in seiner Wohnung war es so leer gewesen.

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Die Richter wurden ausgelöscht und die Sänger gingen nach Hause. Nachdem das Kirchhofsthor geschlossen, und die Fußtritte verhallt waren, wagte er es, aus seinem Versteck hervorzukommien. Er tastete sich nach dem Grabstein, auf dem. geschrieben stand, Still und gerettet". Hier legte er sich hin. Erst streckte er einen Arm aus, dann ein Bein, so wie co die Leute auf dem Rasen in Londoner Barks thun, die Leute, für deren Dienste man keine Verwendung hat"; den Kopf legte er auf den Hügel, unter dem seine Mutter ruhte. Im Dickicht schrien die Eulen und im Dorfe bellten die Hunde, es war aber doch viel ruhiger, als in London . Der Wiid hatte sich gelegt.

Es war Jos auf einmal, als ob er Musik hörte, einen feierlichen Gesang, der aus dem Boden aufzusteigen und in der Luft ein Echo zu finden schien. Solche Mujit hatte er noch nie gehört, selbst nicht in der St. Pauls Kathedrale, die er oft, als er außer Arbeit" war, besucht hatte und in der er unter den traurigen Reihen jener Leute, deren Dienste man nicht brauchte"; fat.

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Unter den Zönen der Musik schlief er ein. Als er wieder aufwachte, war es schon Mitternacht geworden. Nur mit Mühe vermochte er, aufzustehen. Eine eisige Hand schien ihm die Kehle zuzuschnüren, und nur schwer konnte er Atem holen. Er fiel auf den Grabstein und von da auf Jos kehrte wieder in feine Sägegrube zurück, denn der den Rafen zurück. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn und Wald gehörte zu einem benachbarten Dorf und er wollte sich seine Glieder wurden starr. Wie in einem Spiegel fah er nicht von den Bewohnern feines Dorfes blicken laffen. Halb fein ganzes früheres Leben vor sich, und in der Zeit eines schlafend, halb wachend, fast ohne Bewußtsein, lag er hier einzigen Augenblickes kam jedes Wort, das er gesprochen, jede unter den Blättern. Einmal sah er auf, denn er hörte in Handlung, die er begangen, jeder Gedanke, den er gefaßt, in seiner Nähe das Hornsignal eines Jägers, und er wußte, feinen Geist zurüd. Dann verschwand diese Erscheinung daß, wenn dessen Hunde einen Landstreicher witterten, fie ihn ivieder. Wie ein Leichengewand hüllte falter Schweiß seinen zu Tode hezten. So hätten sie einmal beinahe eine alte Frau Körper ein, und die eisige Hand preßte seine Kehle so fest zu­zerrissen, die in der Nähe der Sägegrube Holz gelesen hatte. fammen, daß er zu röcheln begann. Aber die Hunde zogen weiter, die Nasen dicht an der Erde; und es dauerte gar nicht lange, so hörte er der Jäger aus kommen ivar. weiter Entfernung, aus dem nächsten That blasen. Er war zu schwach, um das Bedürfnis nach Nahrung zu empfinden,

Da wußte Josef Coney, daß seine letzte Stunde ge­

Um acht Uhr des nächsten Morgens schlug die Glocke

nur schlafen wollte er. In einem halb bewußtlosen Zustande auf dem Kirchturm zwanzigmal an und hielt dann inne.